9punkt - Die Debattenrundschau

Eine sehr schlechte Nachricht

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.11.2016. Die Katastrophe ist eingetreten: Donald Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Die New York Times hat es im Aufmacher zur Kenntnis genommen: Es sei der "bestürzende Höhepunkt einer populistischen Kampagne gegen die Institutionen und die lange hochgehaltenen Ideale der amerikanischen Demokratie". Herausgestellt hat sich auch, dass der Sexismus in Amerika noch schlimmer ist als der Rassismus, so der Komiker Patton Oswalt in einem viel zitierten Tweet. Auch die Medien sind mit schuld, sagen die New Republic und die Washington Post. Wir bündeln erste Reaktionen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 09.11.2016 finden Sie hier

Politik

Schwerpunkt amerikanische Wahlen
Auch für die New York Times ist es klar. Die ersten Sätze eines historischen Editorials: "Donald John Trump was elected the 45th president of the United States on Tuesday in a stunning culmination of an explosive, populist and polarizing campaign that took relentless aim at the institutions and long-held ideals of American democracy."

Rot ist die Farbe der Republikaner: Screenshot der New York Times-Homepage um 8.40 Uhr.







Paul Krugman wirft in der New York Times einen ersten Blick auf die wirtschaftlichen Konsequenzen der Katastrophe, obwohl "das Desaster für Amerika und die Welt so viele Aspekte hat, dass die ökonomischen Verwerfungen ganz am ende meiner Liste der Sorgen stehen." Dennoch: "Einen verantwortungslosen, ignoranten Mann und seine schlimmsten Ratgebern mit der Führung der wichtigsten Ökonomie der Welt zu betrauen, ist auf jeden Fall eine sehr schlechte Nachricht. Was es im jetzigen Moment noch schlimmer macht, ist der fragile Zustand der Welt acht Jahre nach der großen Finanzkrise." In einem zweiten Artikel klingt Krugman noch deprimierter: "We thought that the great majority of Americans valued democratic norms and the rule of law. It turns out that we were wrong."



Jonathan Freedland hatte es im Guardian schon vor ein paar Tagen an die Wand gemalt: "Ein Präsident Trump wird das Leben der Menschen weit über die USA hinaus verändern. Ein amerikanischer Führer, der glaubt, dass Klimawandel ein chinesischer Schwindel ist, dass Terrorverdächtige gefoltert und ihre Familienmitglieder getötet werden sollten, der glaubt, dass Saudi Arabien Atomwaffen haben sollte und selbst von der 'Zerstörungsmacht' von Atomwaffen fasziniert ist und immer mal wieder fragt, warum die Vereinigten Staaten sie eigentlich nicht nutzen; ein Mann, der sagt 'ich liebe Krieg', der vor Bewunderung vor Wladimir Putin vergeht und dessen Verachtung für die Nato und Weigerung einzuschreiten, wenn ein angegriffenes Natomitglied angegriffen wird, würde Moskau geradezu einladen, in einen der baltischen Staaten einzumarschieren - solch ein Mann würde uns alle in ein Zeitalter der Finsternis stürzen."

In der New York Times erklärt Mark Leibovich, warum die Demokraten und Clinton es verdient haben, die Wahl zu verlieren und warum Trump es nicht verdient hat zu gewinnen: "Konnte die Republikanische Partei, deren Führung bereit war, ihre weiße männliche Basis zu diversifizieren, wirklich jemanden nominieren, der Mexikaner in seiner Antrittsrede als 'Vergewaltiger' beschimpfte, Frauen als 'fett' und 'hässlich' und seine eigene Tochter als 'Stück Arsch' bezeichnete? Aber in gewisser Weise war es perfekt, stimmts? Natürlich würde die erste Frau, die in das ultimative männliche Heiligtum der amerikanischen Präsidentschaft einbrechen würde, erst jemanden bekämpfen müssen, der sich auf einer Bühne der  Republikaner öffentlich mit der Größe seines Schwanzes brüstet."


"Schande über uns Medien" betitelte schon gestern Brian Beutler seinen Artikel für die New Republic. Die Medien seien mit Trump nicht fertig geworden. Es sei viel zu wenig über die Programme gesprochen worden. Die irrelevante E-Mail-Affäre Hillary Clintons hätte genauso viel Raum eingenommen wie Trumps horrende Verfehlungen. Die beiden Kandidaten seien als gleichwertig behandelt worden: "Trump gleicht den politischen Führern der demagogischen Rechten in Europa, und seine Anhänger lieben ihn aus genau diesem Grund. Aber so wurde er in der Regel nicht porträtiert - und seine Anhänger erst recht nicht. Die Unfähigkeit der politischen Medien, die Asymmetrie zwischen den Parteien zu verarbeiten und darzustellen, ist Ausdruck einer tiefen Krise der Branche und unserer politischen Kultur. Wenn Trump Präsident wird, so ist das, glaube ich, eine Folge dieser Krise."

Ähnlich schreibt Margaret Sullivan in der Washington Post nach der Niederlage Clintons: "Um es ganz klar zu machen: Die Medien hatten die Story nicht verstanden. Am Ende wollte ein riesiger Anteil der Wähler etwas anderes. Und obwohl die Wähler es riefen und herausschrien, haben die meisten Journalisten nicht zugehört. Sie haben's nicht kapiert. Sie haben nicht kapiert, dass die riesigen enthusiastischen Menschenmengen bei Trumps Wahlkampfveranstaltungen tatsächlich genauso vielen Stimmen entsprechen würden. Sie konnten nicht glauben, dass das Amerika, das sie kannten, jemanden küren könnte, der sich über einen behinderten Mann lustig macht, der sich der sexuellen Beläsitung von Frauen rühmt, der Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus ausspuckt."




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In einem bewegenden Artikel in The Morning News beschreibt Andrew W. Jones die prekäre Lage für in der Türkei lebende Kurden. Es geht um Fremdenhass und Selbstmordattentäter, Unterdrückung, erschossene Aktivisten und Erdogan. Und um Aida, ein kurdisches Mädchen auf einer Schule in Istanbul, die das all das mitbekommt, teilweise sogar am eigenen Leib. "'Wenn ich meinen Namen anders ausspreche, dann klingt er eher türkisch als kurdisch' erklärt sie. Nach dem ersten Tag änderte sie also die Aussprache ihres Namens - und damit auch ihre Identität."
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Europa



Victor Orbans Versuch, eine Verfassungsänderung in Ungarn durchzuziehen, um die EU-Flüchtlingsquote ablehnen zu können, ist gescheitert. Das ist im wesentlichen der rechtsextremen Jobbik-Partei zu verdanken, erklärt Ivo Mijnssen in der NZZ: "Sie wollte sich nicht damit abfinden, dass der Fidesz ihr Garantien verweigerte, ein höchst intransparentes staatliches Programm zur Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen an reiche Ausländer gegen Geld abzuschaffen. Jobbik stellt das Programm als Sicherheitsrisiko für Ungarn dar und wirft der Regierung vor, das Land dem IS auszuliefern, da auch Arabern Bewilligungen erteilt wurden. Das Hickhack zeigt, wie eng es im rechten Lager geworden ist".

Alex Rühle wollte sich für die SZ mit dem französischen Soziologen und Islamismus-Experten Gilles Kepel über den islamistischen Terrorismus unterhalten und lernt dabei als erstes, dass Kepel von Bodyguards bewacht wird, weil sein Name auf mehreren Todeslisten steht. Die französische Politik hat bis jetzt noch keinerlei Antworten auf den Terrorismus gefunden, meint Kepel: "Die Regierung verlängert den Ausnahmezustand immer noch mal um ein paar Monate, hat aber keinerlei inhaltlichen Plan. Wir Fachleute werden marginalisiert und ignoriert, stattdessen verschärft man die Rhetorik im Präsidentschaftswahlkampf und übt sich in Aktionismus. Das ganze Bildungssystem müsste umgestellt werden, wir brauchen Jobs für die postindustrielle Welt, ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland - nichts davon ist in Sicht."
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Überwachung

Heutige Datenschutzvorschriften gaukeln uns noch vor, dass ein Recht auf Privatheit noch existiert. In Wahrheit, meint der Rechtsanwalt Tomas Poledna in der NZZ, glauben wir selbst nicht mehr daran, wenn wir im Netz ellenlange Einverständniserklärungen über die Verwendung unserer Daten abnicken, die eh kein Mensch versteht. "Faktisch haben wir ja ohnehin nur noch diese Wahl - oder dann den kümmerlichen Entscheid, sozialer Eremit zu werden. Das Datenschutzrecht hat sich nicht nur weit von der gelebten Realität entfernt und steckt in einem Dilemma, es beruht auch auf einem veralteten, selektiven Schutzkonzept und wird von den Verpflichteten mehr als Last denn als selbstverständlicher, einer inneren Überzeugung entspringender Vorgang begriffen. Die 'Geschützten' wiederum haben sich an nicht zur Kenntnis genommene Einverständniserklärungen gewöhnt, mit denen zwar dem Buchstaben des Gesetzes, nicht aber dessen ursprünglicher Idee nachgelebt wird."
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Stichwörter: Datenschutz

Kulturmarkt

Hanns-Georg Rodek gibt einen deprimierenden Einblick in das Filmgeschäft, das mittlerweile von Finanzinvestoren oder internationalen Konzernen beherrscht wird: Heute soll entschieden werden, ob die - ungeliebte, aber eigentlich sehr erfolgreiche - Produktionsfirma Constantin gegen ihren Willen verkauft wird: "Dies ist keine Belegte-Schnittchen-Hauptversammlung wie die meisten anderen. Vielmehr geht es darum, ob die letzte marktrelevante deutsche Filmproduktion, die sich ein Bewusstsein dafür bewahrt hat, dass sie auch ein verantwortlicher Teil dieser Gesellschaft ist, zum Renditeobjekt degradiert wird. So ändern sich die Zeiten. Wer hätte gedacht, dass man sich einmal für die Constantin in die Bresche werfen würde."
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Urheberrecht

Ein Bild, das nur ein anderes gemeinfreies Bild möglichst genau kopiert, kann eigentlich nicht unter weiterem Schutz stehen, hat der BGH schon vor einiger Zeit entschieden. Dennoch mahnen die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim die Wikipedia und Internetnutzer ab, die ursprünglich vom Museum gefertigte Reprografien gemeinfreier Werke im Netz verbreiten. Marcus Engert prangert diese empörende Praxis in einem Gastkommentar für die Website des Monopol Magazins an: "Man hat ganz offenbar in Mannheim weder die Rechtsprechung des BGH noch den Stellenwert von freiem Zugang zu Kunst und Wissen in einer digitalisierten Welt verstanden. Das ist bedauerlich. Man hat sich überdies entschieden, gleich im Dutzend gegen Nutzer des Bildes vorzugehen. Das ist unverantwortlich."
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Religion

Die Kritik, die Kardinal Reinhard Marx und Bischof Heinrich Bedford-Strohm entgegenschlägt, weil sie auf dem Tempelberg "aus Höflichkeit gegenüber ihren muslimischen Gastgebern" ihre Kreuze abgelegt haben, hat "Salafistenniveau", meint in der Welt Lucas Wiegelmann. Dient alles dem Frieden. "Der Tempelberg wird von der muslimischen Religionsstiftung Waqf verwaltet. Nichtmuslimen ist der Zugang nur durch ein bestimmtes Tor und zu bestimmten Zeiten möglich. Auf dem Areal zu beten, ist ihnen verboten. Juden werden teilweise offen beschimpft, wenn sie sich auf dem Berg sehen lassen. Diese muslimische Intoleranz im Großen spiegelt sich in der Intoleranz im Kleinen, die deutschen Bischöfe um das Entfernen ihrer Kreuze zu bitten. Keine Frage: Es wäre schöner gewesen, wenn die Waqf auf ihren wenig gastfreundlichen Wunsch verzichtet hätte. Aber die Waqf ist nun einmal, wie sie ist." Und deshalb müsse man es schon als Erfolg werten, dass sie die beiden Christen überhaupt durch den Felsendom führte.
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