9punkt - Die Debattenrundschau

Logik tribaler Zugehörigkeit

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.11.2016. Nach einer historischen Entscheidung des High Court, der dem britischen Paralement sehr wohl zugesteht, über den Brexit mitzubestimmen, streitet der Guardian über die Frage, ob die Parlamentarier den Brexit noch verhindern sollen. Der amerikanische Wahlkampf spitzt sich in den letzten Tagen mit immer neuen Ungeheuerlichkeiten zu, die die Washington Post resümiert. Libération analysiert das religiöse Element am Rechtspopulismus.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.11.2016 finden Sie hier

Europa

Der Londoner High Court hat nach der Klage einer Bürgerin entschieden, dass das britische Parlament sehr wohl über den Brexit abstimmen muss. Die Regierung musste wie alle Regierungen zu ihrer Überraschung feststellen, dass eigentlich das Parlament der Boss ist. Im Guardian wird nun gestritten, ob die Parlamentarier versuchen sollten, den Brexit zu stoppen. "Die Remain-Mehrheit im Unterhaus macht es möglich", schreibt Jonathan Freedland. "Wenn die MPs gegen den Brexit stimmen, wird das öffentliche Vertrauen noch weiter sinken", wendet Dreda Say Mitchell ein.  Alice Ross porträtiert außerdem die Geschäftsfrau Gina Miller, die mit eigenem Geld eine Anwaltsfirma anheuerte, um beim High Court zu klagen. Schließlich resümiert Claire Phillips die wenig entspannten Reaktionen (siehe Cover-Abbildung) der Brexit-Presse.

Theresa May versucht den Brexit verdaubarer zu gestalten, indem sie den Briten verspricht, ihr Land zur Steueroase zu machen. Dummerweise ist es das aber längst, schreibt Ulrike Herrmann in der taz, denn die Steuerparadiese im Ärmelkanal und der Karibik werden von London aus bespielt: "Das Problem stellt sich genau anders herum dar, als es von May präsentiert wird: Falls die Briten die EU verlassen, würde ihre Steueroase nicht größer - sondern dürfte kollabieren. Schon jetzt haben diverse EU-Staaten die britischen Kanalinseln und Überseegebiete als 'nicht kooperative Jurisdiktionen' gelistet - aber bisher konnte Großbritannien stets verhindern, dass Sanktionen folgten. Nach dem Brexit wäre es damit vorbei."

Konrad Litschko zieht in der taz die These in Zweifel, dass die NSU-Mörder isoliert agiert hätten. Er zitiert hier auch auch die Grünen-Obfrau im NSU-Ausschuss, Irene Mihalic "'Nach unseren Erkenntnissen gab es ein Umfeld, gab es Netzwerke. Auch V-Leute des Verfassungsschutzes spielen hier eine nicht unerhebliche Rolle.' (...) In Rostock lag der Tatort, ein Döner-Imbiss, so versteckt zwischen Wohnblöcken, dass selbst Bundesanwältin Greger einräumte, dieser sei für Ortsunkundige eigentlich nicht zu finden." Der Artikel ist Teil 5 einer sehr verdienstvollen Serie über die NSU-Morde, die die Fragen zu dem Geschehen übersichtlich resümiert. Mehr zum Thema in efeu.
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Politik

China ist der lachende Dritte, während sich die politischen Lager in den USA zerfetzen, schreibt Kai Strittmatter in der SZ: "Die KP erklärt seit Jahrzehnten jede Wahl in den USA zur betrügerischen Show, die Demokratie nur vorgaukle, während China mit seiner Ein-Parteien-Herrschaft gut bedient sei. Aber in diesem Jahr, da sich auch in westlichen Partnerdemokratien das Publikum angewidert abwendet vom Trump'schen Treiben, wo das Entertainment die Substanz und die Lüge die Wahrheit ersetzen, wo der Kandidat selbst in alle Mikrofone brüllt, dass das System nur Lug und Trug sei im Dienste einer korrupten, manipulativen Elite in Washington - da schreibt sich die Propaganda von selbst. "

Die ganze Panik des Moments fasst ein viel retweeteter Leitartikel Paul Waldmans für die Washington Post zusammen. Er zählt die bisherigen Ungeheuerlichkeiten des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA auf - Das FBI macht Politik für einen Kandidaten, eine ausländische Macht sowieso - und verspricht auch für die Fortsetzung nichts Gutes: "Hochrangige republikanische Politiker schlagen nun vor, gleich nach der Wahl Clintons Amtsenthebung zu betreiben. Dies gilt nicht nur für irgendwelche Clowns von der Hinterbank, sondern für Leute mit echtem Einfluss wie Ron Johnson, dem Senator aus Wisconsin, Michael McCaul, Sprecher des Homeland Security Committee, und Parlamentsveteranen wie James Sensenbrenner und Peter King. Weiterverbreitet wird die Botschaft von Trump-Megafonen wie Rudy Giuliani."


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Religion

Nadia Marzouki und Duncan McDonell analysieren für Libération das religiöse Element im Rechtspopulismus Trumps und europäischer Kandidaten, der immer nach dem gleichen Muster funktioniert: "Die Religion der Populisten ist keine Sache des Glaubens oder der Werte, sondern ein identitäres Unterscheidungsmerkmal, das zwischen jenen, die einbezogen sind und jenen, die aus der politischen Community auszuschließen wären, trennt. Darum stimmen die Rechts-Evangelikalen für Trump, auch wenn sein Lebensstil nichts Religiöses hat. Man muss diese Unterstützung im Kontext einer Zuspitzung verstehen, in der das Votum für eine Partei eher einer Logik tribaler Zugehörigkeit als einer vernünftigen Entscheidung folgt." Die beiden Autoren haben zusammen mit Olivier Roy ein Buch zum Thema publiziert.
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Medien

Auch der deutsche Ableger der gülenistischen Zeitung Zaman (die in der Türkei zur Zeit des Bündnisses der Bewegung mit Erdogan riesige Auflagen erreichte) wird eingestellt, berichtet   Markus Sehl in der taz - unter anderem, weil die Redaktion und Anhänger der Bewegung auch in Deutschland unter Druck gesetzt werden.
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Stichwörter: Gülen-Bewegung