9punkt - Die Debattenrundschau

Diese verratenen Milieus

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.09.2016. Leistungsschutzrecht ist die falsche Medizin für ein echtes Symptom, meint Julia Reda in Zeit online. Ähnlich sieht es FAZ-Digitalchef Mathias Müller von Blumencron in der Presse.  Aber so oder so will Österreich Google und Facebook für die Presseförderung anzapfen, berichtet der Standard. Spiegel-online-Kolumnist Jan Fleischhauer fragt ARD und ZDF mit Blick auf IOC, FIFA und Co., ob sie bei der "Auswahl der Geschäftspartner" nicht etwas sorgfältiger verfahren sollten. Netzpolitik erzählt eine Geschichte über Youtube, Juncker und eine junge Bloggerin, die trotzdem zu fragen wagte.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.09.2016 finden Sie hier

Medien

Jan Fleischhauer macht in seiner Spiegel-online-Kolumne die Beobachtung, dass die himmelschreiende Korruption in den internationalen Sportverbänden unter anderem durch unsere Fernsehgebühren finanziert wird und fordert mit Blick auf die öffentlich-rechtlichen Sender, "dass Organisationen, die in den Rang eines Verfassungsorgans erhoben wurden, in besonderer Weise an die Werteordnung des Grundgesetzes gebunden sind. Das Verfassungsgericht hat die Rundfunkanstalten mit Befugnissen ausgestattet, die ansonsten nur Finanzämter haben. Sollte man da nicht erwarten dürfen, dass sie bei der Auswahl der Geschäftspartner etwas sorgfältiger verfahren?" Mehr auch im Perlentaucher: "Ohne Transparenz keine WM-Gelder".

Leistungsschutzrecht ist eine falsche Medizin für das echte Problem der Zeitungen mit ihrem Geschäftsmodell, schreibt die Europaabgeordnete Julia Reda bei Zeit online: "Durch die Digitalisierung ist dieses Geschäftsmodell unter Druck geraten - mit dem Urheberrecht hat das aber nichts zu tun. Wenn eBay den Kleinanzeigenmarkt, StepStone die Stellenanzeigen und SeLoger den Wohnungsmarkt aufmischen, wird keine Änderung des Urheberrechts das Publikum und seine Aufmerksamkeit zurück an eine Zeitung binden und die Mischkalkulation vergangener Tage wiederaufleben lassen."

Ähnlich sieht es FAZ-Digitalchef Mathias Müller von Blumencron im Interview mit der Presse: "Wir haben einen Umbruch beim Geschäftsmodell, keine Krise des Journalismus. Die gedruckten Auflagen gehen zurück, die Anzeigenerlöse auch. Dafür gewinnen wir im Digitalen. Mit unseren digitalen Abos etwa, auch bei der Vermarktung. Immer mehr Qualitätszeitungen offerieren kostenpflichtige Zusatzangebote, die von den Lesern angenommen werden. Wir kommen sehr gut voran." Von einem europäischen Leistungsschutzrecht, für das das FAZ-Feuilleton seit Monaten trommelt, hält Müller von Blumencron übrigens nichts: "Das Leistungsschutzrecht, das in Deutschland und Spanien eingeführt wurde, hat keinen Erfolg gehabt. Leider genau, wie es die Kritiker vorausgesagt haben. Und ich kann mir im Moment nur schwer vorstellen, wie wir auf europäischer Ebene mit einem Leistungsschutzrecht zu erheblichen neuen Einkünften kommen sollten."

(Via turi2). Der österreichische Medienminister Thomas Drozda will dagegen die großen Internetkonzerne anzapfen, um die Presseförderung des Landes auszustaffieren, berichtet die österreichische Agentur APA (hier im Standard): "'Google, Facebook und Konsorten' seien über die Mittel des Leistungsschutzrechts, des Urheberrechts und der Steuergesetzgebungen einzubeziehen. Allein aus den Titeln Werbeabgabe und Umsatzsteuer würde die Dotierung der Presseförderung um 10 bis 15 Millionen Euro steigen, schätzt Drozda. Derzeit beträgt sie rund neun Millionen Euro."

Der einstige Alphablogger Andrew Sullivan muss feststellen, dass ihm das Internet - wie Frank Schirrmacher einst sagte - das Hirn zermatscht hat. "Ich versuchte, Bücher zu lesen, aber diese Fähigkeit hatte mich verlassen. nach ein paar Seiten, griffen meine Finger zu einer Tastatur. Ich versuchte Meditation, aber mein Geist wehrte sich, wenn ich ihn abkühlen wollte." Für einen Posten als Starautor beim New York Magazine reicht's aber noch. Und für frömmlerische Einsichten nach langen Seiten der Klage auch: "Die Moderne schwächte nach und nach die Spiritualität, zum Teil absichtlich, zum Teil unabsichtlich, zugunsten des Kommerzes."
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Urheberrecht

Das Bundesbildungsministerium hat am Dienstag ein Strategiepapier vorgestellt, das Open Access zum Standard in der Projektförderung erklärt. Im Interview mit der Welt weist Bildungsministerin Johanna Wanka darauf hin, dass diese Regelung vor allem Zeitschriften betrifft, die die Bibliotheken mit zum Teil jährlichen Preissteigerungen von zehn Prozent ausbluten. Und sie verteidigt das Prinzip des freien Zugangs zu staatlich gefördertem Wissen: "Die Gesellschaft würde sich doch selbst hemmen, wenn wir zwar sehr viele wissenschaftliche Erkenntnisse haben, diese aber nicht jederzeit entsprechend vorhandener Möglichkeiten verfügbar machen. Wir fördern gerade den Aufbau von Lehrstühlen für Mathematik in Afrika. Da wäre es doch wunderbar, wenn die Kollegen an alle wichtigen Dokumente herankommen und international vernetzt forschen könnten."
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Internet

Hendrik Obelöer von Netzpolitik kann es kaum fassen: Drei junge Youtube-Stars haben EU-Kommisionspräsident Jean-Claude Juncker getroffen. Die Initiative ging auch von Google aus. Eine der Bloggerinnen, Laetitia Birbes, hat heimlich festgehalten, wie sie von einem Youtube-Mitarbeiter gebrieft wurde. Sie sollte möglichst keine Fragen nach Junckers luxemburgischer Steuerpolitik stellen, anderfalls gebe es eine rote Flagge. Eine rote Flagge? "Du stellst Mr. Juncker schon sehr schwierige Fragen, du sprichst über Lobbying von Unternehmen. Du möchtest nicht auf der falschen Seite von YouTube, der Europäischen Kommission oder den Leuten, die dir vertrauen, stehen … außer dir ist eine lange Karriere auf YouTube egal." Aufgebracht haben die Geschichte New Europe (hier) und Politico.eu (hier).
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Ideen

Im Gespräch mit Jost Maurin von der taz wendet sich der Philosoph Norbert Hoerster, Autor eines Buchs über Tierethik, gegen die Thesen der Veganer und besteht auf einem Unterschied zwischen der Tötung eines Tiers und eines Menschen: "Menschen sind von Natur aus anders ausgestattet als Tiere. Tiere haben nicht dieses für Menschen typische Weiterlebensinteresse. Tiere leben einfach im Hier und Jetzt. Menschen jedoch haben ein starkes Bedürfnis, auch morgen oder in einem Jahr noch zu leben - Menschen haben Ziele und Pläne, die weit in die Zukunft reichen."
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Stichwörter: Tierethik, Veganismus

Europa

Jan Feddersen fordert in der taz ein breites politisches Bündnis gegen die Rechtspopulisten, für deren Hochkommen er allerdings vor allem eine politische Kraft verantwortlich macht: "Die Erfolge von Rechtspopulisten in Europa haben eine wichtige Voraussetzung. Sie profitieren von der Schwäche sozialdemokratischer Parteien. Diese linken Formationen haben ihren Markenkern verraten, und das sind Gerechtigkeitsfragen. Etwa in der Bildungs- und Sozialpolitik. Sie sind kaum mehr Repräsentanten gesellschaftlichen Aufstiegs- und Äußerungswillens. Rechtspopulisten haben diese 'verratenen Milieus' erobert."

Noch ein Kommentar zu den Berliner Wahlen:

Schaut auf diese Stadt.

Die schottische Begeisterung für die Unabhängigkeit lässt nach, beobachtet Peter Geoghegan in politico.eu. Einer der Gründe: "Die Öleinnahmen sind kollabiert: Steuereinnahmen aus der Nordsee sond von 11 Milliarden Pfund in den Jahren 2011-12 auf gerade mal 60 Millionen Pfund im letzten Jahr gefallen. Das schottische Defizit - die Differenz zwischen Regierungsausgaben und - einnahmen - hat sich auf 9,5 Prozent des Bruttosozialprodukts geschraubt, im übrigen Britannien sind es 4 Prozent."
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