9punkt - Die Debattenrundschau

Netzgenuine Vorgänge

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.02.2016. In dramatischen Farben schildert Pankaj Mishra im Guardian die Umtriebe der Hindu-Nationalisten, die nun sogar Arundhati Roy mit Gefängnis bedrohen. Die SZ erstellt eine Psychopathologie von AfD und Pegida und begegnet dem Thymos mit den Listen der Rhetorik. Silke Burmester legt in der taz offen, wie Gruner und Jahr mit den festen Freien umgeht. Nein, Twitter ist noch nicht am Ende, ruft Will Oremus in Slate. Und in der Berliner Zeitung fragt Götz Aly: "Wer macht denn die Arbeit? Die Politiker oder ich?"
Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.02.2016 finden Sie hier

Politik

Das Todesurteil gegen den saudi-arabischen Dicher und Ausstellungsmacher Ashraf Fayadh ist aufgehoben, meldet Spiegel online. Das Urteil sei "in eine achtjährige Haftstrafe umgewandelt worden, teilte sein Anwalt Rahman al-Lahim mit. Zudem drohen dem Lyriker nun wegen 'Abwendung vom Glauben' 800 Peitschenhiebe, und er muss in staatlichen Medien einen formellen Widerruf veröffentlichen."

In dramatischen Farben schildert Pankaj Mishra im Guardian das Treiben der Hindu-Nationalisten aus der indischen Upper Class, die immer mehr die Medien beherrschen, Dozenten niedriger Kasten aus Unis rausschmeißen und Autoren wie Arundhati Roy denunzieren. Roy ist inzwischen von einer Gefängnisstrafe bedroht, so Mishra, weil sie sich angeblich einem Gericht widersetzte: "In Wirklichkeit bestand Roys 'Missachtung' des Gerichts in einem Artikel aus dem Mai letzten Jahres, wo sie die Aufmerksamkeit auf einen schwer behinderten Dozenten namens Saibaba lenkte, einen Englischprofessor an der Delhi University, der von der Polizei wegen seiner 'antinationalen Aktivitäten' geknidnappt worden war. Roy hatte nebenbei bemerkt, dass ein Rollstuhlfahrer mit gefährdeter Gesundheit wohl auf Kaution freigelassen werden könne, wenn dieses Privileg auch Modis Weggefährten, die Dutzender Morde beschuldigt sind, gewährt wird."

Außerdem: In der taz warnt Georg Seeßlen vor dem Verfall der Demokratie in Deutschland.
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Europa

Jens Bisky versucht sich in der SZ in einer Psychopathologie der AfD und von Pegida und findet einen Hebel im Begriff des "Thymos", den Marc Jongen, einstiger Assistent Peter Sloterdijks und heutiger Hauptdenker der AfD einer Schrift Sloterdijks entlehnt. Thymos heißt so etwas wie Zorn, den es nun zu züchten gelte: "Dieser Selbstbeschreibung zufolge geht es darum, Zorn und Wut politisch nicht nur zu bewirtschaften, sondern zu erzeugen, kurz: auf Revolte hinzuarbeiten. Die Gefahren einer solchen Psychopolitik sind allen, die von Thymos reden, bewusst. Jongen und andere rechtfertigen sie mit dem angeblich bestehenden Notstand, der Gefahr des Verschwindens der Deutschen. Der Verleger Götz Kubitschek, einer der wichtigen Köpfe des rechten Lagers, spricht von der 'Revolte gegen den Großen Austausch'." Lothar Müller schlägt ebenfalls in der SZ als Mittel gegen solche Radikalisierungsstrategien die "Listen der Rhetorik" vor.

Die Kritik an der Flüchtlingspolitik Angela Merkels ist nicht nur maßlos, sie setzt auch an der falschen Stelle an, schreibt Richard Herzinger in der Welt: "Die tendenzielle Hilflosigkeit des Rechtsstaats gegenüber importierten terroristischen und kriminellen Machenschaften ist eine Spiegelung der Passivität des freien Westens gegenüber der Offensive freiheitsfeindlicher Mächte in der weltpolitischen Arena. Man kann nicht die internationale Ordnung vor die Hunde gehen lassen und erwarten, dass die innere Sicherheit intakt bleibt."
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Medien

Silke Burmester unterhält sich in der taz mit einem anonymen freien Mitarbeiter von Gruner und Jahr, der dem Verlag schwere Vorwürfe macht. Hintergrund ist, dass die Freien auf Scheinselbständigkeit geprüft werden und nun insgesamt um ihren Status bangen. Der Verlag schlägt ihnen offenbar vor, kleine GmbHs oder Unternehmergesellschaften zu gründen, um so den rechtlichen Status ihrer Mitarbeit anzupassen: "Wird Scheinselbstständigkeit festgestellt, ist die UG oder die GmbH dran und nicht der Verlag. Dies als Chefredakteur einem freien Mitarbeiter vorzuschlagen, ohne Beratung, ohne zu sagen, was das bedeutet, um als Verlag aus der Sache rauszukommen, ist nicht nur ein völlig unlauterer Vorschlag, das ist Aufforderung zum Rechtsbruch."

Ein Reporter von Glenn Greenwalds Internetmagazin The Intercept hat offenbar Zitate erfunden und gefälscht, berichtet J.K. Trotter in Gawker, der sich auf eine redaktionelle Notiz in The Intercept bezieht.
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Internet

Es ist fatal zu glauben, Sicherheit sei im Netz implementierbar, meint der Medienwissenschaftler Bernhard Dotzler in der NZZ. Deep Packet Inspection und Tracking und Profiling sind dem Netz immanent, "es sind dies durchaus höchst netzgenuine Vorgänge. Zu der Funktionsweise des Internets - der Aufteilung all seiner Datenflüsse in Datenpakete - gehört, dass sogenannte Metadaten generiert und verwendet werden. Jedwede Internetnutzung ruft dergestalt nicht nur Daten aus dem Internet ab, sondern reichert es zugleich mit Daten an. So und nur so funktioniert das Netz, und was aus meiner Sicht nach Missbrauch meiner Daten aussehen mag, ist vom Netz her betrachtet schlicht deren bestimmungsgemäßer Gebrauch." Welche Folgen der Nutzer daraus ziehen soll, bleibt in Dotzlers Kommentar allerdings etwas unklar: "Äquivalente für das, was die bürgerrechtlich organisierte Zivilgesellschaft gewesen sein wird", müssten "erst völlig neu erdacht werden".

Man sollte endlich aufhören, Twitter an Facebook zu messen, schreibt Will Oremus in Slate in einer Antwort auf Joshua Topolsky im New Yorker, der schon das Ende von Twitter beschwor (unser Resümee): "Twitter ist nicht wie Facebook, denn es ist nicht eigentlich ein soziales Netzwerk. Es ist auch nicht wie Snapchat, WhatsApp oder WeChat, die in erster Linie Messengerdienste sind. Es ist auch nicht wie Instagram, wo es darum geht, Fotos zu teilen. Twitter ist in seinem Kern ein öffentliches Forum für Information, Konversation und Ideen. Das ist ein ganz anderes Konzept, das für bestimmte Segmente der Bevölkerung wichtig ist, zum Beispiel Prominente, Aktivisten, Unternehmensmarken und Medien."
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Ideen

Globalisierung bedeutet Freiheit - jedenfalls auf dem Feld der Kunst, ist Philipp Meier in der NZZ überzeugt. Er blickt dabei auf Kunst aus Afrika, Lateinamerika oder Asien, die zu Höchstpreisen gehandelt wird, die "westliche" Techniken übernommen hat, daraus aber etwas ganz eigenes schafft, wie er an verschiedenen Beispielen beschreibt. Am Ende resümiert er: "Die überaus vielfältige Kunstproduktion von heute ist nicht zuletzt auch ein Ausdruck von Freiheit, wie wir sie im Westen leben. Diese Form von Freiheit blüht nun aber auch vielerorts in den Kunstszenen anderer Länder dieser Welt. ... Blickt man auf die weltweite Gegenwartskunst, so erscheint der Globalisierungsprozess jedenfalls nicht als jene oft kritisierte Gleichmacherei westlichen Zuschnitts, sondern als eine Entwicklung, die der kulturellen Diversität unseres Planeten starke Impulse verleiht. Globalisierung folgt hier nicht so sehr einem Diktat der Notwendigkeit, sondern bewegt sich vielmehr mit großer kreativer Kraft im Reich der Freiheit."
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Gesellschaft

Sind es wirklich die Politiker, die in ihrem Elfenbeinturm nichts mit den "echten" Problemen der Menschen zu tun haben, oder ist es nicht genau umgekehrt? In einem raren Anfall journalistischer Selbstkritik gibt Götz Aly in der Berliner Zeitung zu, dass er selbst mit dem Flüchtlingsproblem kaum konfrontiert wird. Da werde Kritik zunehmend billig: "Wer macht denn die Arbeit? Die Politiker oder ich? Wer sucht die Kompromisse? Wer beschafft neue Unterkünfte und organisiert das Mindeste? Wer streitet sich mit empörten Bürgern? Wer muss dafür geradestehen, wenn, wie in Köln geschehen, etwas schiefläuft? - Ich jedenfalls nicht. Soweit sie in der Bundesregierung oder in den Länderregierungen, in Gemeinden und Landkreisen Verantwortung tragen, verdienen unsere Politiker Respekt für das, was sie im vergangenen halben Jahr für Hunderttausende Flüchtlinge geleistet haben."

Außerdem: In der NZZ denkt Cora Stephan über den "postheroischen Mann" nach, der ihrer Ansicht nach in Köln eine ziemliche Schlappe erlebt hat.
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