9punkt - Die Debattenrundschau

Dass es im eigenen Haus brennt

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.08.2015. Die Welt erklärt, warum der Mord an dem  Archäologen Khaled Asaad eine programmatische Tat ist. Stephan Russ-Mohl sticht in seinem Blog in die Filterblasen des Journalismus. Die Kritik an den Symbolen der Konföderierten darf nicht zum Bilderstrum werden, warnt die NZZ. Die SZ beleuchtet die Lage der Blogger in Bangladesch. Und Navid Kermani macht in der FAZ den Bischof Huber traurig: Denn Protestantismus findet Kermani fad.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 21.08.2015 finden Sie hier

Kulturpolitik

Der Mord an dem Archäologen Khaled Asaad ist eine programmatische Tat, schreibt Berthold Seewald in der Welt: "Er erhob seine Stimme gegen das zynische Kalkül der Terroristen, zum einen mit der Zerstörung von Antiken die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, zum anderen mit dem schwunghaften Handel mit ihnen ihren Krieg zu finanzieren. Längst gilt der Schwarzhandel mit antiken Kunstwerken als wichtigste Finanzierungsquelle des IS-Terrors und kann sich mit dem Drogenhandel messen. Nur der Handel mit Menschen ist lukrativer."
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Gesellschaft

Musikagent Berthold Seliger empört sich in der Jüdischen Allgemeinen über die Ausladung des Reggae-Musikers Matisyahu beim spanischen Rototom-Sunsplash-Festival - Matisyahu hatte sich nicht gegen Israel und für die BDS-Boykottkampagne aussprechen wollen: "Die Gesinnungsschnüffelei betraf einzig Matisyahu, und zwar einzig deshalb, weil er Jude ist. Und die Ausladung des Künstlers hat einzig damit zu tun, dass er sich als US-amerikanischer, jüdischer Musiker nicht gegen Israel aussprach." Laut Martin Dahms in der FR ist Matisyahu inzwischen wieder eingeladen.

Die Welt meldet unterdessen, dass das Osloer Filmfestival Human Rights Human Wrong einen Film des israelischen Regisseurs Roy Zafrani über behinderte Kinder in Tel Aviv auslädt, weil Zafrani sich nicht ausreichend von der israelischen Politik distanziert. Mehr dazu in der New York Times.
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Europa

Deutschland muss als europäischen Zentralmacht die divergierenden Kräfte in der EU zusammenhalten - da gibts kein Rausreden mehr, meint Herfried Münkler in einem kurzen Kommentar in der FAZ. Erforderlich wäre jetzt aber eine gesellschaftliche Debatte, "in der Chancen und Risiken der Zentralmachtrolle offen angesprochen und diskutiert werden. Daran jedoch mangelt es in Deutschland bislang, und dass dem so ist, ist weniger das Versagen der Politiker als vielmehr das der sonst so debattenfreudigen Intellektuellen, die sich um diese Frage notorisch herumdrücken."
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Religion

Die Ermordung kritischer Blogger ist für Islamisten inzwischen eine Art Volkssport in Bangladesch, berichtet Tim Neshitov in der SZ. Von dem nach München geflohenen Blogger Ananya Azad, dessen Vater in München unter offenbar ungeklärten Umständen Selbstmord beging, erfährt er einiges über die Hintergründe: So ermordeten 1971 pakistanische Milizen mehr als drei Millionen Bengalen, weil diese sich von Pakistan abspalten wollten. "Auch bengalische Milizen mordeten. Aus Rache. ... Atheistische Blogger fordern heute nicht nur Frauenrechte ein, sondern auch harte Strafen für die alten Islamisten. "Todesstrafen", präzisiert Ananya Azad. "Ein Mensch, der nachweislich für den Mord an 337 Menschen verantwortlich war und 36 Frauen vergewaltigte, verdient den Tod.""

In der FAZ bespricht Ex-Bischof Wolfgang Huber das Buch "Ungläubiges Staunen" des Büchner-Preisträgers Navid Kermani - und ist nicht hundertprozentig froh, wil Kermanis ästhetizistische Liebe zum Christentum den Protestanismus ein bisschen fad aussehen lässt. So findet er bei Kermani "nicht die Theologie des Kreuzes (die keineswegs auf eine "Entlastung Gottes" zielt), nicht die gewissensbestimmte Freiheit eines Christenmenschen, nicht die Mündigkeit aller Glaubenden, nicht die Inkulturation des Christentums in die Moderne."
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Geschichte

Ronald D. Gerste stimmt in der NZZ der Entfernung des der Konföderiertenflagge von öffentlichen Gebäuden zu, aber er warnt auch vor einem "Bildersturm", der Denkmale, die an die gefallenen Soldaten der Südstaaten der USA erinnern, gleich mit schleifen will: "Dass diese mehrheitlich dem weißen Proletariat angehörten und zu arm waren, um Sklaven zu halten, und dass es auch schwarze Soldaten in konföderierter Uniform gab (die der Süden in verzweifelter militärischer Lage bewaffnete und denen er nach dem unwahrscheinlichen Sieg die Freiheit versprach), wird nicht zur Kenntnis genommen; auch dass die Gefallenen letztlich ebenfalls Opfer des Krieges waren, ist ein Gedanke, der nicht opportun ist."
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Medien

Markus Böhm testet für Spiegel Online die Betaversion des Mediendienstes Blendle, der eine Art Itunes für Zeitungsartikel sein will: "Aktuell gibt es etwa die aktuelle Stern-Titelgeschichte und ein Brigitte-Ernährungsdossier für jeweils 65 Cent. Die Seite Drei-Reportage der Süddeutschen Zeitung kostet 79 Cent, eine Welt-Kurzmeldung 15 Cent. Kauft man einen Einzelartikel, sinkt auch der Gesamtpreis des Hefts, für den Fall, dass man anschließend gern doch den Rest hätte."

(Via turi2) Journalisten leben in ihrer eigenen Filterblase, meint Medienforscher Stephan Russ-Mohl im Blog seines Instituts: "Wie kann es sein, dass ausgerechnet ein Berufsstand, der davon lebt, dass er seine Antennen weit ausfährt und jeden Trend aufspürt und aufbauscht, die Warnsignale so lange überhören konnte? Dass es im eigenen Haus brennt, wollen ja auch jetzt Viele noch nicht so richtig wahrhaben, obschon im Netz längst Shitstorms gegen die Mainstream-Medien toben und "draußen" auf der Straße nicht nur Pegida-Anhänger "Lügenpresse" skandieren."
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