9punkt - Die Debattenrundschau

Die berüchtigte Berliner Schießscharten-Architektur

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.06.2015. Warum lässt Südafrika den sudanesischen Despoten Omar al-Baschir entkommen?, fragt La Règle du Jeu. Die FR beschreibt, mit welchen Mitteln der Kreml die russischen Medien auf Linie gebracht hat. In der Berliner Zeitung protestiert Filmemacher Volker Heise gegen die Berliner Schlossattrappe. Und darf sich Rachel Dolezal zur Farbe Schwarz bekennen? Und Hannah Pool zur Farbe Rosa?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.06.2015 finden Sie hier

Politik

"Südafrika hat seine Ehre verloren", schreibt Bernard Schalscha in La Règle du Jeu. "Die Regierung des Landes unter Präsident Jacob Zuma - der nicht aufhört, das Erbe seines Gefährten Nelson Mandela zu verraten - hat den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir friedlich heimkehren lassen. Der blutige islamistische Militärdiktator wird vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen gesucht. Er hat am 14. Juni an einem Gipfel der Afrikanischen Union in Johannesburg teilgenommen. Südafrika hätte ihn als Unterzeichner des Vertrags von Rom, auf den der Gerichtshof beschlossen wurde, festnehmen müssen."

Auffällige Veränderungen in dem von Aljaksandr Lukaschenka autokratisch regierten Weißrussland notiert Ingo Petz in der FAZ: "Seitdem der russische Präsident Putin beschlossen hat, die Ukraine durch die Annexion der Krim, durch Propaganda und Krieg zu erniedrigen, bringt Lukaschenka das Weißrussische immer häufiger als neue Staatskultur ins Spiel." Zuvor hatte sich Lukaschenka gerade nicht auf das Weißrussische als Identität des Landes bezogen.
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Medien

In der FR beschreibt Stefan Scholl, mit welchen Mitteln der Kreml die russischen Medien auf Linie gebracht hat - mit einigen Ausnahmen wie die von der Gorbatschow-Stiftung unterstützte Nowaja Gaseta. "Auch der Radiosender Echo Moskwy und der Moskauer TV-Kanal TV Doschd wagen sich noch an Tabuthemen wie russische Soldaten im Donbass oder die mögliche Verwicklung des Kremls in den Mord an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow. Mehrheitlich gehört Echo Moskwy dem Staatskonzern Gasprommedia. Chefredakteur Wenjamin Benediktow, dem Putin schon vorhielt, er überschütte ihn "von morgens bis abends mit Durchfall", lässt außer Regimekritikern auch ständig kremlnahe Akteure zu Wort kommen, um den Unmut des Kremls zu mildern."

Nach Facebook und Google will nun auch Apple mit einer eigenen News-App in den Journalismus einsteigen. In der SZ können Claudia Tieschky und Max Hägler beim besten Willen nicht sagen, ob es dem Journalismus nützen wird, mit den mächtigen Konzernen zusammenzuarbeiten: "Unklar ist bislang: Sind die beiden Freund oder Feind? Arbeiten sie gegeneinander oder ergänzen sich die Geschäftsmodelle, weil man auf dem Weg über die Konzerne eine Mega-Publikum erreichen kann?"
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Kulturpolitik

In der Berliner Zeitung will sich Filmemacher Volker Heise nicht mit der Berliner Schlossattrappe abfinden: "Es ist ja nicht nur das Schloss. All die Baulücken und Baugruben der Stadt, die du einmal mit deinen Träumen gefüllt hast, sind verbaut, und meistens ist nicht mehr herausgekommen als die berüchtigte Berliner Schießscharten-Architektur mit Traufhöhengarantie. Und mit jedem neuen Gebäude ist aus der Stadt der schönen Möglichkeiten eine Stadt der traurigen Tatsachen geworden."

Im Tagesspiegel meldet Ulrich Amling, dass Jürgen Flimm als Intendant der Berliner Staatsoper abgesetzt wird: "Dem Vernehmen nach handelt es sich bei seinem Nachfolger um Matthias Schulz, den derzeitigen künstlerischen und kaufmännischen Geschäftsführer des Salzburger Mozarteums."

Der Londoner Germanist Daniel Wilson erinnert in der SZ, wie die Goethe Gesellschaft 1933 ihre jüdischen Mitglieder abservierte.
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Gesellschaft

Hannah Pool macht im Guardian ein schwerwiegendes Bekenntnis: "Ich betrachte meine Vorliebe für Rosa - je heller, desto besser - als ein Versagen vorm Feminismus, so wie auch meine Liebe zu "Wer wird Millionär" und fragwürdigem Hiphop. Darum habe ich jahrelang versucht, die Farbe Rosa zu verdrängen. Ich habe versucht, mir das ehrwürdige Violett der Suffragetten anzueignen. Im Moment flirte ich ein wenig mit Orange. Aber immer wieder falle ich auf Rosa zurück. Warum ist das wichtig? Es ist nicht die Farbe, sondern was sie symbolisiert."

Die angloamerikanische Identitätsobsession wird seit einigen Tagen durch die Geschichte der Rachel Dolezal, die sich "als schwarz identifiziert", auf absurde Höhen getrieben - allerdings nicht nur durch sie, sondern auch durch ihre Gegner. Während im Transgender-Diskurs behauptet wird, geschlechtliche Orientierung sei eine Konstruktion, wird Identität bei "Rasse" wie ein religiöses Dogma verteidigt. Für den Guardian sind solche Identitätsfragen essenziell. Die schwarze Autorin Syreeta McFadden schreibt: ""Transracial" heißt nicht, was manche weiße Amerikaner wie Dolezal offenbar gern hätten. Der Begriff kommt von Adoptiveltern und aus Unis und soll die gelebte Erfahrung von Kindern beschreiben, die ihre Kindheit in einem Elternhaus verbrachten, das phänotpyisch und kulturell von ihrer Herkunft abweicht."

Auf der FAZ-Medienseite bringt Patrick Bahners ein ausführliches Porträt über Dolezal. Und in der Welt beschreibt Matthias Heine die verworrenen Frontverläufe zwischen weißen und schwarzen, linken und rechten Aktivisten.

In der taz fragt sich Georg Seeßlen, wie feministisch ein Mann korrekterweise sein kann. Komplizierte Sache das, meint er: "Bedingungslos feministisch kann ein Mann bei dem sein, was man den politischen Feminismus nennen kann. Die Voraussetzungen sind einfach: Gleiches Recht für alle. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Bedingungslose Chancengleichheit. Es gibt im öffentlichen Leben nichts, was ein Mann kann, soll oder darf, was eine Frau nicht auch kann, soll oder darf... In diesem politischen Feminismus spukt also ein Klasseninteresse. Ich gestehe es: Es macht mich wütend, wenn mehr von der weiblichen Besetzung von Vorständen die Rede ist als von der Situation in Supermärkten, Fabriken und Friseursalons."

Überraschende Beobachtungen macht Filip Piatov in der Welt unter den vielen jungen Israelis in Berlin: "Die Israelszene Berlins ist überwiegend links. Doch nicht gemäßigt links, wie Israel selbst es in weiten Teilen ist. Es ist die Speerspitze der linken Bewegung, die in Berlin anzutreffen ist."
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Überwachung

Ein ziemlich witziges CNN-Interview hat Adam Weinstein in Gawker aufgepickt und transkribiert. Darin muss Tom Harper, der Autor einer Sunday-Times-Geschichte über Edward Snowden zugeben, dass er schlicht und einfach die Regierungsversion der Geschichte abgedruckt hat und sie durch keinerlei eigene Recherche stützen kann. Die Geschichte behauptet, dass britische und amerikanische Agenten wegen Snowden aufgeflogen seien. Der CNN-Reporter ist ziemlich fassungslos, drückt es aber höflich aus: "Im wesentlichen berichten Sie also nur, was die Regierung sagt, was Beweise angeht, sind Sie aber nicht in der Lage zu erklären oder zu kommentieren, ist das richtig?" Ja, genau, das ist richtig.

Schon vorgestern hatte Christian Stöcker bei Spiegel online geschrieben: "Belege bleibt der Artikel schuldig, ebenso wie jede namentlich zuzuordnende Bestätigung der Behauptungen. Neben der unklaren Quellenlage weist der Text eine Reihe von Ungereimtheiten auf."
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Stichwörter: CNN, Gawker, Snowden, Edward