9punkt - Die Debattenrundschau

Seitdem wechsle ich ständig die Autos

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.12.2014. Im New York Magazine erklärt Chris Rock den Unterschied zwischen weißem Fortschritt und schwarzem Fortschritt. Huffpo.fr erzählt, wie das ägyptische Militärregime mit der Verfolgung Homosexueller Punkte machen will. Die FAZ porträtiert den deutschen Rapper Denis Cuspert, der heute zur Leitungsebene der IS-Miliz gehören soll. Die SZ spricht mit Edward Snowdens deutschem Anwalt Wolfgang Kaleck über den alternativen Nobelpreis für den Whistleblower. In der taz schildert die Journalistin Farida Nekzad ihre Arbeitsbedingungen in Afghanistan.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.12.2014 finden Sie hier

Gesellschaft

Boingboing präsentiert eine Fotoserie des Fotografen Kevin Kelly, der in Tokyo nach Farben suchte und sie auch fand:



(Via Boingboing). In einem Interview mit Frank Rich im New York Magazine hält der Komiker Chris Rock nach Ferguson noch mal für alle fest, was in den Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß in den USA als Fortschritt zu gelten hat: "Zu sagen, schwarze Leute haben Fortschritte gemacht, würde ja heißen, dass sie verdient haben, was ihnen vorher geschah... Zu sagen, Obama ist ein Fortschritt, hieße, dass er die erste schwarze Person ist, die qualifiziert ist, Präsident zu werden. Aber es geht hier nicht um den Fortschritt der Schwarzen. Es geht um den Fortschritt der Weißen!"

In Ägypten werden durch das Al-Sisi-Regime zusehends Homosexuelle verfolgt. Zuletzt wurden einige Männer, die ein Video über eine angebliche "erste Homoehe in Ägypten" verbreiteten, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, berichtet Najma Kousri Labidi von der tunesischen Huffpo auf französisch in Huffpo.fr: "Einerseits bezweckt dieser Kreuzzug eine Rehabilitation des Sicherheitsapparats, der seit der Revolution vom 25. Januar von den Massen verachtet wird, andererseits geht es um Kontrolle und Überwachung des Privatlebens. Viele Aktivisten bestätigen auch, dass das plötzliche Interesse für die Schwulenszene diese Minderheiten nur instrumentalisiert, um dem Regime eine wohlanständig konservative Fassade zu geben."
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Religion

Deutsche spielen bei der IS-Miliz eine wichtige Rolle (mehr hier). Zu den wichtigsten gehört Denis Cuspert alias Deso Dogg, der zur Leitungsebene der Miliz gehören soll. Mehmet Ata porträtiert für faz.net Cusperts Freund Inan, der ihm erzählt, wie Cuspert abdriftete: "Als Inan bei Youtube ein Video sah, klingelten bei ihm die Alarmglocken. Der bekannte Salafist Pierre Vogel interviewte darin Denis. Es ging um Hiphop und den Islam. "Normalerweise war Denis bei Interviews angespannt", sagt Inan. Doch nicht so bei Vogel. "Während des Interviews sind Leute ins Zimmer rein- und rausgelaufen, das hat ihn nicht gestört. Er hat sich wie zu Hause gefühlt.""
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Politik

Die sich abschwächende Protestbewegung in Hongkong muss nach der Klage des Busunternehmens All China Express weitere Bereiche der Stadt räumen, um wieder Durchfahrt zu ermöglichen, berichtet Lily Kuo in Quartz.com: "Hongkongs Politiker nutzen diesen Moment der Schwäche, um wieder eine härtere Linie zu fahren. "Ich rate jedem, der weiterhin Protestplätze besetzt halten oder dahin zurückkehren möchte, vor allem jungen Studenten, die Toleranz der Polizeikräfte nicht als Unfähigkeit misszuverstehen, mit den Protesten fertig zu werden", sagte Polizeichef CY Leung Reportern. "Verwechseln Sie die Zurückhaltung der Polizei nicht mit Schwäche."" Drei Anführer der Bewegung wollen mit einem Hungerstreik antworten, berichtet Libération.
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Medien

Im taz-Interview mit Anne Fromm berichtet die afghanische Journalistin Farida Nekzad, warum sie das Land verlassen musste: "Ich erhalte seit fast zehn Jahren regelmäßig Drohungen, per Mail und Telefon. 2003 wurde ich im Taxi beinahe entführt, weil meine Agentur gerade eine Geschichte über Warlords geschrieben hatte. Ich habe nur überlebt, weil ich aus dem fahrenden Auto gesprungen bin. Seitdem wechsle ich ständig die Autos, wenn ich in Afghanistan unterwegs bin. Anfang des Jahres ließen Taliban auf dem Flur vor meinem Büro eine Bombe explodieren."

In der Welt gratuliert Feuilletonchef Andreas Rosenfelder seinem Kollegen Jürgen Kaube, der dem Vernehmen nach Nachfolger Frank Schirrmachers als FAZ-Herausgeber werden soll. Ueli Custer resümiert in der NZZ eine Studie zur Nutzung von Smartphones unter jungen Menschen.
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Internet

Ex-Pirat Christopher Lauer antwortet bei Zeit online auf Jeff Jarvis" Polemik gegen die deutsche "Technikpanik" (unser Resümee) und nimmt die deutsche Medienbranche in Schutz: "Einen Widerspruch zu dem von ihm propagierten freien und unregulierten Internet scheint (Jarvis) nicht zu sehen. Ein Internet nach Regeln deutscher und europäischer Gesetzgeber ist laut Jarvis schlecht. Ein Internet, das aufgrund von Googles Monopolstellung nach Googles Regeln funktioniert, ist gut. Dass Google durch sein Eindringen in den Werbemarkt eine über Jahrzehnte gewachsene Branche ins Schwanken bringt, findet er in Ordnung." Springer-Lobbyist Christoph Keese äußert sich auf Twitter zufrieden über Lauers Artikel.

Weiteres: (Via Wolfgang Blau) Die Zeitschrift Nature berichtet, dass sie sämtliche Forschungspapiere in einer nur lesbaren PDF-Version im Netz frei zugänglich macht.
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Europa

Klaus-Helge Donath weist in der taz darauf hin, dass Putin nicht nur im Osten der Ukraine eine Politik der Destabilisierung betreibt, sondern auch im Kaukasus - in Armenien oder in den einst georgischen Separatistengebieten Südossetien und Abchasien: "Vergangene Woche unterschrieben Abchasien und Russland ein "Abkommen über Beistand und strategische Partnerschaft", das im Laufe der nächsten drei Jahre eine Harmonisierung der Bereiche innere und äußere Sicherheit vorsieht. Nicht nur in Georgien sehen Kritiker dahinter eine schleichende Einverleibung der Republik - dabei wollen die Abchasen im Gegensatz zu den Südosseten selbstständig bleiben. Im Sommer wurde Präsident Alexander Ankwab zum Rücktritt genötigt. Er hatte das Abkommen nicht unterzeichnen wollen. Mit Raul Chadschimba übernahm ein früherer KGB-Geheimdienstler das Präsidentenamt."

In der SZ versichert der Völkerrechtler Michael Bothe den Ukrainern auf der Krim, dass in der Theorie ihre Grundrechte auf jeden Fall geschützt sind, egal ob der Westen die Annexion anerkennt oder sie weiter als kriegerisch besetztes Gebiet gelten.
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Überwachung

Bei der Verleihung des Alternativen Nobelpreises an Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger und Edward Snowden in Stockholm hat Silke Bigalke für ein Interview in der SZ den 83-jährigen Daniel Ellsberg getroffen, der 1971 die Pentagon-Papiere veröffentlichte, und Snowdens Anwalt Wolfgang Kaleck. Letzterer betont vor allem eines: "Egal welche Regierung ihm Einreise und einen sicheren Aufenthalt anbietet - es wurde dafür nichts im Tausch angeboten. Snowden hat uns allen bereits sehr viel gegeben , ohne dafür etwas zurückzufordern. Jetzt ist es an uns, etwas für ihn zu tun. Von den Deutschen wünsche ich mir, dass sie auf eine europäische Lösung gegen Massenüberwachung und einen europäischen Schutz für Whistleblower hinarbeiten. Aber auch der politische Preis dafür, Snowden einreisen zu lassen, wäre nicht so hoch, wie manche sagen. Spionage ist ganz klar eine politische Straftat, eine Auslieferung an die USA ist damit ausgeschlossen."

Die Reden und auch Snowdens Videobotschaft gibt es auf der Seite des Right Livelihood Awards.

Außerdem hat Glenn Greenwald für sein Buch "Die globale Überwachung" gestern in München den Geschwister-Scholl-Preis erhalten, wie Jörg Häntzschel in der SZ berichtet.
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