9punkt - Die Debattenrundschau

Typische Kunsthändlerkollektion

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.12.2014. Die französische Huffpo nimmt die ideologischen Widerprüche innerhalb des Front national auseinander. Gerüchteweise sollen Wolfgang Büchner im Spiegel ab- und Jürgen Kaube im FAZ-Feuilleton antreten. Die Welt findet die Gurlitt-Sammlung gar nicht so aufregend.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 01.12.2014 finden Sie hier

Europa

Sehr interessant nimmt Geoffroy Clavel in der huffpo.fr die ideologischen Widersprüche innerhalb des Front national auseinander, dessen Chefin Marine Le Pen gerade bestätigt wurde. Nicht nur, dass sie mit Linkspopulisten um Jean-Pierre Chevènement kokettiert. Sie fährt auch sonst eine "republikanische" Linie, die auch saure Mienen provoziert: "Die Verteidigung des Gesetzes von 1905 über die Trennung von Staat und Kirche hat dem Front national einen neuen Angriffspunkt gegen die muslimische Religion gegeben... Aber diese ultralaizisitische Linie sorgt für Unmut in der rechtsextremistischen Partei, die in den Siebzigern aus der Vereinigung ultrakatholischer Strömungen mit Vichy-Anähngern und Anhängern des OAS entstanden ist. "Marine muss ihrem katholischen Flügel zeigen, dass sie mehr als laizistisch ist", betont Jean-Marie Le Pen, dessen Reden gespickt sind mit christlichen Referenzen."

Außerdem: Gina Thomas erklärt in der FAZ, was es mit dem "White van man" auf sich hat, dem Typus des selbstbewussten Prolls, der die britischen Rechtspopulisten von der UKIP wählt. In der taz versucht der Soziologe Erhard Stölting mit geopolitischen Mitteln, den Konflikt mit Russland einzudämmen.
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Medien

Der Spiegel hat gegenüber turi2 Handelsblatt-Meldungen halbherzig dementiert, dass Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner noch diese Woche abgesetzt werden solle: "Die "Vermutungen" des Handelsblatts seien "Spekulation", es hätten "keine Gespräche mit Wolfgang Büchner über eine Ablösung stattgefunden". Kai-Hinrich Renner hat im Handelsblatt geschrieben, "dass Büchners Demission noch diese Woche bekanntgegeben werden wird".

Der Spiegel meldet unterdessen, dass Jürgen Kaube als Feuilleton-Herausgeber der FAZ Frank Schirrmacher beerben soll - angeblich soll die Entscheidung am 9. Dezember beanntgegeben werden: "Die Herausgeber waren zu einer Stellungnahme nicht bereit oder nicht erreichbar. Jedenfalls sorgt die Personalie in der Feuilleton-Redaktion bereits für Unmut. Kaube gilt als Mann des klassisch-konservativen Feuilletons - das Gegenbild des von Schirrmacher gepflegten Debattenfeuilletons."
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Ideen

Jürgen Kaube verteidigt in der FAZ den Historiker Jörg Baberowski gegen Vorwürfe einer marginalen Gruppe von Trotzkisten, die ihm Geschichtsrevisionismus und Kriegstreiberei vorwerfen ("Wer Baberowskis Schriften kennt, weiß um die Haltlosigkeit solcher Verdächtigungen").
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Kulturpolitik

Hans-Joachim Müller ist in der Welt nach Durchsicht der Inventarlisten nicht so begeistert über die Gurlitt-Sammlung wie andere: "Der Gesamteindruck ist durchwachsen, über weite Strecken wenig aufregend und kaum dazu angetan, Cornelius Gurlitt oder seinem Vater eminente Sammlerleidenschaften nachzusagen. Es ist eine typische Kunsthändlerkollektion, die verwahrt hat, was erreichbar war, was auf welche Art auch immer ins Haus kam, und die sich, weil sie ja Jahrzehntelang geheim bleiben sollte, bequem in Mappen, Schubladen und Schränken verstecken lassen konnte."
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Politik

Die jüngsten Terrorattacken in Israel wurden unorganisiert und mit Waffen ins Werk gesetzt, die gerade zur Hand waren: Messer, Äxte, Autos. Die Angst der Israelis vor diesen spontanen Hassausbrüchen kann der Autor Yali Sobol in der NZZ gut verstehen, nicht aber die Reaktionen in Politik und Gesellschaft: "Über Israel geht derzeit eine unerhörte Welle aus Vorurteilen, Angst und Wut hinweg, die häufig in offenen Rassismus umschlägt. Das Unerhörte daran ist die Tatsache, dass diese Gefühle ganz unverhüllt und allerorten präsent sind. Es ist, als wäre in den letzten Wochen eine Art Schutzwehr aus Scham zusammengebrochen, die Hass und Rassismus bis da eingedämmt hatte."

Die Theologin Katajun Amirpur zieht in der FAZ Hoffnung aus einer kritischen Rede, die die jordanische Königin Rania an die Adresse des arabischen Publikums gehalten hat. Und sie verweist, wie neulich in der NZZ, auf einen Brief konservativer Islamgelehrter, die ihre ganze theologische Kompetenz aufbieten, um den Recken des IS klarzumachen, dass es "verboten ist, Sendboten, Botschafter und Diplomaten zu töten; somit ist es auch verboten, alle Journalisten und Entwicklungshelfer zu töten." Im Perlentaucher hat Peter Mathews Amirpurs Hoffnungen nicht teilen mögen.
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Gesellschaft

Die Autorin Gertraud Klemm erzählt im Standard von den Strapazen, die sich Eltern bei einer Auslandsadoption unterziehen müssen: "Die meisten leiblichen Eltern gehen nun zum Verkehr über; Adoptivwerber treten in die Phase der Inquisition. In aller Kürze: Blut, Harn, Besitz, Einkünfte, Wohnverhältnisse. Präsentation der Psyche: die eigene Kindheit, Fehlgeburten, Nervenzusammenbrüche, Ehekrisen. Wir lernten, unsere Narben herzuzeigen. Ich fand die Inquisition erst beim zweiten Kind schlimm."

Lässt sich die westliche Mode von den Trachten des Dschihad inspirieren, fragt Mareike Nieberding in der FAS: "Das neue Schwarz ist gleichzeitig im Mainstream des Dschihad und den Einkaufszentren der Welt angekommen. Die Ähnlichkeit stiften ein paar wenige Teile: Bart und Pluderhose kommen aus dem Orient, Hoodie und Turnschuhe aus dem Okzident. Schwarz ist international. Alles vermischt sich."
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Stichwörter: Adoption, Dschihad, Narben, Orient

Religion

Jan-Heiner Tück stellt in der NZZ klar, dass auch aus theologischer Sicht Selbstmordattentäter keine Märtyrer sind: "Vielmehr sind gerade die Opfer des Jihadismus häufig Märtyrer, da sie ihre religiösen Überzeugungen auch unter Todesandrohung nicht zur Disposition stellen."
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Internet

Richtig sauer ist Herbert Braun von heise.de, wenn er an die Internetregulierungspläne der europäischen Institutionen denkt: "Das Internet ist oft gierig und hässlich, es ist maßlos in seinem Hunger nach privaten Daten und schnellen Reizen und es fördert die schlimmsten Eigenschaften mancher Exemplare des homo sapiens zutage. Trotzdem: Wenn die Politik das Internet zerstören will, weiß ich, auf welcher Seite ich stehe."

Heute setzt Facebook per Judotrick seine neuen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Kraft. In der SZ erinnert Johannes Boie daran, dass auch im übrigen Netz die privaten Anbieter quasi Hausrecht genießen: "Das Netz ist fast ausschließlich aus privaten Ressourcen erbaut. Das betrifft nicht nur Facebook und Google und die anderen privaten Websites, die Teilöffentlichkeiten bilden, sondern auch die zugrunde liegende Infrastruktur. Kabel, Server, Seekabel, selbst viele Router im Wohnzimmer der Nutzer sind in der Hand privater Firmen. Es ist diese technische Ebene, auf der die Debatte gerade so relevant wird wie nie zuvor. Was wird wie schnell durch die Kabel geleitet werden? Wer bestimmt, welche Inhalte wichtig sind?"
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