9punkt - Die Debattenrundschau

Auch das einfache Volk fand Gefallen am Balewudscherln

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.10.2014. Nun gerät auch noch das Internet über eine Steuer in den Würgegriff der ungarischen Zensoren, fürchtet die taz. Es ist Zeit, die PKK als Alliierten anzusehen, ruft Bernard-Henri Lévy in der New Republic. Die Zeitungen der VG Media kuschen vor Google, aber nicht vor den kleineren Suchmaschinen, schreibt Lawblogger Thomas Stadler. In der Welt setzt Wolf Lepenies Hoffnung in die tunesische Demokratie. Und die NZZ macht sich Sorgen um das Wienerische.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.10.2014 finden Sie hier

Politik

Ja, die PKK war einst eine terroristische Organisation, aber sie hat der Gewalt vor 15 Jahren abgeschworen, schreibt Bernard-Henri Lévy in der New Republic, und wenn wir heute "die AKP des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan mit Oclans PKK vergleichen, den zunehmend radikalen Islam der einen und den zunehmend antiradikalen Islam der anderen, das Doppelspiel Erdogans, der die Konvois für die Kopfabschneider passieren ließ, und dem Heroismus der Frauen und Männer, die diesen Kopfabschneidern, unterstützt von Nato-Luftangriffen, Einhalt gebietet, dann müssen wir zugeben, das der Terrorismus vielleicht nicht länger dort ist, wo wir ihn vermuten."

Die taz resümiert in einem großen Dossier den Siegeszug der IS-Miliz: "Es ist dieser alte Konflikt zwischen den beiden großen islamischen Religionsgemeinschaften, auf dem schon al-Qaida im Irak gedieh", schreibt Inga Rogg im Hauptartikel.

In Tunesien wird am Sonntag gewählt. Wolf Lepenies möchte in der Welt zwar nicht gerade in Optimismus ausbrechen, wenn er auf das Land blickt, sieht aber durchaus Hoffnung für die junge Demokratie: "Nicht der Islam einigt heute das Land - was die Tunesier verbindet, ist der Patriotismus, wie die Historikerin Leyla Dahkli es in einem Beitrag für das Onlinemagazin Jadaliyya eindrucksvoll beschrieben hat. Tunesien mit seinen 10 Millionen Einwohnern ist ein kleines Land - und gerade deshalb kann es seine Einzigartigkeit betonen, die niemanden bedroht."

Weiteres: In der taz greift Rudolf Walther die Berichte über den französischen Journalisten Éric Zemmour auf, der in einem Beststeller Vichy verteidigt und gegen die nihilistische Verhöhnung von Arbeit, Familie und Vaterland wettert. (mehr hier)
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Internet

Ralf Leonhard berichtet in der taz, dass Ungarns Regierung von Viktor Orban eine Internetsteuer einführen will, und zwar von 150 Forint (50 Cent) auf ein begonnenes Gigabyte Datentransfer. Die Ungarn sind entsetzt: "Je mehr der staatliche Würgegriff die traditionellen Medien auf Einheitskurs bringt, desto wichtiger werden die alternativen Onlinemedien. So wurde binnen 24 Stunden die Facebook-Seite "Hunderttausend gegen die Internetsteuer" von über 100.000 Usern aufgesucht. Viele von ihnen wollen sich am Sonntag um 18 Uhr auf dem József-Nádor-Platz in Budapest einfinden, um gegen gegen die "Internetadó" zu protestieren."
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Gesellschaft

In der NZZ bedauert Ingeborg Waldinger, dass das Wienerische immer mehr Hochglanz bekommt, aber seine alte Lebendigkeit und Offenheit einbüßt: "In ihm hallen die Zuwandererströme der k. u. k. Zeit nach, etwa "Netsch" für Kleingeld oder "barabern" für hart arbeiten. Es ist ein Wortschatz der kleinen Verhältnisse. Doch auch das noble Französisch hinterließ Spuren. Schon Madame de Staël staunte über die extreme «francisation» des Wiener Hofs: "On croit trop à Vienne qu"il est de bon goût de ne parler que français." Die Bourgeoisie zog nach und veredelte ihr Hochdeutsch durch französisches Wortgut, eine nonchalante Dehnung und nasale Tönung. Heraus kam das "Schönbrunnerdeutsch". Auch das einfache Volk fand Gefallen am "Balewudscherln" (von "parlez-vous français")."

In der SZ besucht Thorsten Schmit die Ausstellung zur Beschneidungsdebatte "Haut ab!" im Jüdischen Museum in Berlin. In der Hauptsache sei das ein ganz "unaufgeregtes Beschneidungskunden-Abc", meint Schmitz. Auch die Gegner kommen vor: "Zwei Drittel der schwedischen Juden etwa verzichten auf die Brit Mila. In den USA wirbt die Vereinigung der "Jews Against Circumcision" (Juden gegen Beschneidung) für eine Abschaffung des Rituals, da es unvereinbar sei mit dem modernen Judentum. Auch in Israel sprechen sich Juden gegen die Beschneidung aus." Im Tagesspiegel berichtet Claudia Keller, im Freitag schreibt Ulrike Baureithel.

Weiteres: In Deutschland, aber auch europaweit werden im Zuge der Innenstadtverdichtung immer mehr leer stehende Büro- und Fabrikgebäude zu Wohnungen umgebaut, berichtet Dankwart Guratzsch in der Welt. Alan Posener empört sich ebenda über die Abschiebung der Alten nach Polen, da offenbar gerade das zweite Altersheim in Zabelkow in der Nähe von Kattowitz entsteht.
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Medien

Gestern meldeten wir, dass die Verlage der VG Media gegenüber Google eingeknickt sind und akzeptieren, dass der Suchkonzern Snippets aus ihren Inhalten präsentiert, ohne Lizenzgebühren zu zahlen. Der Springer Verlag hat sich nun aber entschieden, zumindest zum Teil auf die Snippets zu verzichten, meldet Steffen Grimberg bei ndr.de: "Axel Springer, wichtigster Promoter des Leistungsschutzrechtes... will "ein Zeichen setzen". Zwar soll Springers Melkkuh Bild bei Google News weiter kostenlos mit Snippets und Thumbnails gefunden werden. Aber bei den Online-Angeboten von Welt, Auto Bild, Sport Bild und Computer Bild besteht Springer auf Bezahlung und erwartet, dass Google News die Fundstellen deshalb auf die Überschrift herunterkürzt."

Thomas Stadler merkt in seinem Lawblog an, dass die VG Media auf dem Spielplatz der Leistungschutzrechte nur dem großen bösen Buben Platz macht, die anderen hält sie weiter am Genick: "Die jetzige Ankündigung der VG Media führt .. zu dem absurden Ergebnis, dass von Google vorläufig keine Lizenzzahlungen mehr gefordert werden, während kleine Suchmaschinen und Aggregatoren weiterhin bezahlen sollen. Sollte die VG Media dieses Vorgehen fortsetzen, könnte die Sache doch noch ein Fall für das Bundeskartellamt werden, allerdings anders als von den Verlagen erhofft."

Weitere Artikel: Vincent Coquaz meldet in dem französischen Medienblog arretsurimages.net zugleich, dass sich die europäische Allianz der Zeitungsverleger gegen Google, die sich ausgerechnet "Open Internet Project" (OIP) nennt und von Murdoch bis Springer die großen Konzerne umfasst, gegen die "Searchbox" von Google wendet, die durch eine eingeblendete Suchbox eine Suche zum Beispiel im Perlentaucher ermöglicht, ohne diesen zu besuchen und ihm Klicks zu bescheren. Ausgerechnet mit dem ehemaligen FAZler und heutigen Verschwörungstheoretiker Udo Ulfkotte, der in seinem jüngsten Buch die Korruption von Journalisten anprangert, setzt sich offenbar der neu erscheinende Krautreporter in einem bisher nur annoncierten Artikel auseinander. Einen Vorgeschmack gibt Stefan Niggemeier, der das Dementi des von Ulfkotte attackierten FAZ-Auslandchefs Klaus-Dieter Frankenberger resümiert. In der FR berichtet Julia Gerlach aus Ägypten, dass zumindest in den Fall der zu langen Haftsrafen verurteilten Al-Dschasira-Journalisten bewegung zu kommen scheint.
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