9punkt - Die Debattenrundschau

Sonst würden wir die Krise kriegen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.09.2014. In Le Monde erklärt die schottische Autorin A.L. Kennedy, warum sie für das schottische "Ja" stimmen würde, wenn sie nicht dummerweise in London wohnte. Die SZ erkundet den Ursprung des Schottenrocks aus dem Geist der Moderne. In Dänemark sprach Herta Müller Klartext über Putin. In einem Video können wir sehen, wie deutsche Ingenieure aus allen Wolken fallen:  NSA und GCHQ kennen ihre Passwörter.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.09.2014 finden Sie hier

Europa

Rupert Murdochs Familie ist schottischer Herkunft, und Murdoch versteht sich bestens mit dem Anführer der Ja-Kampagne, Alex Salmond, obwohl dieser eher links ist, berichtet Michael Crick in Mashable. Murdochs schottische Zeitungen hatten Salmond bereits 2011 in seinem Wahlkampf unterstützt: "Er könnte Salmond nun wieder unterstützen. Es wäre eine seltsame Entscheidung, denn die heutige Ausgabe der englischen Sun ist ausführlich und deutlich in ihrer Gegnerschaft zur Unabhängigkeit."

In Le Monde spricht sich die schottische Autorin AL Kennedy in nicht ganz unschizophrener Weise für das schottische "Ja" aus: "Ich kann an der Abstimmung nicht teilnehmen, denn ich wohne in London, und nur Menschen, die in Schottland wohnen, können abstimmen. Aber seit meinem Umzug nach England frappiert mich die hier herrschende politische Apathie. Der wirtschaftsliberale Diskurs wird nicht mehr in Frage gestellt. In Schottland gibt es ein anderes ökonomisches und politisches Modell." Nur lebt man da nicht so gern! Auch im Tagesspiegel äußert sie sich zum Thema.

Außerdem: Herta Müller war ins Kopenhagener Louisiana Museum eingeladen und hat dort auch über die Ukraine geredet. Hier ein zweiminütiger Auszug, den das Museum online gestellt hat (allerdings nicht so, dass man es einbetten kann). In der FAZ schildert Jürg Altwegg die trüben Aussichten der französischen Kulturpolitik unter der neuen Ministerin Fleur Pellerin. In der NZZ schreibt Eduard Kanterian über die Aufarbeitung des Kommunismus in Rumänien, die trotz der Brutaliät des Regimes von Anfang bis Ende so gut wie gar nicht stattgefunden hat.
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Geschichte

Es ist wie so oft: Angebliche Traditionen sind Folklorismus - also Konstruktionen der Moderne. Alexander Menden geht in der SZ der Geschichte des Schottenrocks nach und erlebt einige Überraschungen. Der klassische Kilt wurde erst im 18. Jahrhundert von einem Engländer erfunden und im 19. Jahrhundert von Sir Walter Scott, Mitbegründer der Celtic Society of Edinburgh und Zeremonienmeister beim Besuch George IV. 1822 in Edinburgh zum Nationalsymbol stilisiert. Mit weitreichenden Folgen: "Walter Scotts Vision treue, kämpferische, heimatliebende "Scottishness" wurde bald Gemeingut. Ihr volkstümlicher Glamour war so verführerisch, dass viele Schotten sie nach und nach übernahmen. Und das nicht nur, weil sie dem Tourismus förderlich war, sondern weil sie ihnen eine Identität verlieh, mit der sie sich deutlich vom übermächtigen Nachbarn England abgrenzen konnten."

In der Welt schreibt Dankwart Guratzsch über eine Ausstellung im Mannheimer Reiß-Engelhorn-Museum zur Geschichte der Naturkatastrophen: "Schon das Plakat mit dem Feuer speienden Vesuv, von dem Lavaströme ins Tal schießen und ganze Landstriche überschwemmen, löst furchterregende Assoziationen aus." (Bild: Pierre-Jacques Volaire, Vesuvausbruch © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe)
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Politik

Der inflationäre politische Gebrauch des Begriffs "Krise" geht Matthias Heine in der Welt ziemlich auf die Nerven, insbesondere wenn eigentlich "Krieg" gemeint ist: "Was in der Ukraine passiert, heißt immer noch Krise und nicht Krieg, obwohl dort seit Monaten geschossen und gebombt wird, obwohl Kampfflugzeuge und Raketen im Einsatz sind und jetzt wirklich niemand mehr zweifelt, dass russische Soldaten dort im blutigen Kasperletheater Separatisten spielen. Aber wenn es Krieg genannt würde, könnten wir es schlechter verdrängen, und deshalb wird die Semantik unseren Ruhebedürfnissen angepasst. Denn sonst würden wir die Krise kriegen."

Die Berufung von sieben liberal-konservativen Vizepräsidenten durch Jean-Claude Juncker in die EU-Kommission wird den Einfluss Brüssels stärken, jenen Deutschlands hingegen schwächen, glaubt Christoph B. Schiltz in der Welt. Die Vizepräsidenten seien das eigentliche Machtzentrum der Kommission: "Juncker gelingt mit der neuen Matrix-Organisation eine bessere Kontrolle: Sie verhindert, dass "einfache" Kommissare primär die Interessen ihrer Heimatländer durchsetzen. Zugleich stellt der neue Kommissionschef durch die liberal-konservative Gesinnung seiner Vizepräsidenten sicher, dass Liberalisierung und Wachstum und nicht Gender-Politik und penibler Regulierungswahn Priorität haben."
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Gesellschaft

Hannes Stein schreibt in einem Essay in der Welt über eine neu entbrannte Feminismusdebatte in Amerika, in deren Zentrum die Website Women against Feminism steht. Während amerikanische Feministinnen lautstark ihren Unmut äußern, glaubt Stein durchaus an die Berechtigung der Bewegung: "Sie glauben, dass die herrschende Strömung des heutigen amerikanischen Feminismus zumindest latent männerfeindlich ist und Frauen herabwürdigt."

Außerdem: Im Standard denkt der Psychotherapeut Diethard Leopold darüber nach, wie uns das Altern zu unduldsamen und intoleranten Menschen macht.
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Stichwörter: Altern, Feminismus, USA

Überwachung

NSA und GCHQ kennen keine Grenzen. Zeit online resümiert die jüngsten Berichte des Spiegel: "Die US-amerikanischen und britischen Geheimdienste NSA und GCHQ verfügen offenbar über Zugänge zu den Netzen der Deutschen Telekom, berichtet das Magazin Der Spiegel. Auch das Kölner Kommunikationsunternehmen Netcologne sei betroffen."

(Via The Intercept) Dieses Video von Laura Poitras zeigt, wie einige Ingenieure der Firma Stellar PCS, die Internet per Satellit bereitstellt, auf die neuesten Enthüllungen reagieren. Sie staunen nicht schlecht, als sie entdecken, dass nicht mal ihre Passwörter sicher sind.

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Internet

Marco Jorio, Chefredakteur des "Historischen Lexikons der Schweiz", erklärt in der NZZ, wie sich Lexika gegen die Wikipedia behaupten können: Indem sie sich spezialisieren. Die FAZ bringt eine Rede der Softwarepionierin Shoshana Zuboff, die erklärt, "warum wir uns gegen den Überwachungskapitalismus von Big Data mit aller Macht wehren müssen".
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Medien

Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage zeitigt erste Konsequenzen, hat Stefan Niggemeier herausgefunden: "Wer die Internetsuche von web.de, GMX oder T-Online nutzt, bekommt keine Ergebnisse mehr von Bild, Welt, Hannoversche Allgemeine, Berliner Zeitung und zahlreichen weiteren Online-Angeboten von Zeitungen angezeigt. Die drei Portale haben jene Verlage, die in der VG Media organisiert sind, um Ansprüche aus dem neuen Presse-Leistungsschutzrecht geltend zu machen, ausgelistet."
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