9punkt - Die Debattenrundschau

Stets dieselben Bilder verbrannter Schulbänke

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.05.2014. Kein Interesse an den verschleppten Mädchen in Nigeria?, fragt Bettina Gaus in der taz an die Adresse der großen Medien. Caroline Fourest erklärt auf huffpo.fr den Unterschied zwischen Putins Rechtsextremen und den Rechtsextremen aus der Ukraine. In der SZ schlägt Horst Bredekamp eine Blauhelmtruppe für den antiwestlichen wie auch antiislamischen Hetzraum und Hort widerwärtiger Pornografie namens Internet vor. Cory Doctorow spricht sich dagegen im Guardian gegen Überwachung aus. Per Video binden wir eines der seltenen intelligenten Wesen auf dem Planeten ein.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.05.2014 finden Sie hier

Medien

Seit Tagen sind über 200 Mädchen in Nigeria entführt, weil sie zur Schule gingen (und weil sie großenteils Christinnen sind, so scheint es). Bettina Gaus kommentiert in der taz: "Noch immer haben die Mädchen für die Öffentlichkeit keine Gesichter und keine Biografien, es gibt keine Interviews mit verzweifelten Eltern, keine Gespräche mit Freundinnen aus den Dörfern. Zu allen Meldungen werden stets dieselben Bilder verbrannter Schulbänke gezeigt. Was bedeutet: Auch zahlungskräftigen Medien scheint die Geschichte nicht bedeutend genug zu sein, um ein Reporterteam loszuschicken."

James Estron interviewt auf seinem Fotoblog bei der New York Times die Fotografin Ami Vitale, deren Foto eines afrikanischen Mädchens mit dem #bringbackourgirls-Hashtag auf Twitter verknüpft ist und sich dann viral verbreitet hat. In Wirklichkeit zeigt das Foto ein Mädchen aus Guinea-Bissau und wurde schon im Jahr 2000 aufgenommen.

Michelle Obama wird morgen zum ersten Mal die wöchentliche Radiorede ans Volk halten, die normalerweise vom Präsidenten bestritten wird. Es soll um die Mädchen in Nigeria gehen, meldet die BBC: "Michelle Obama ist oft an der Seite ihre Ehemanns zu der wöchentlichen Rede erschienen, die im Radio ausgestrahlt, aber online auch in einer Videoversion gezeigt wird. Dies ist das erste Mal, dass sie selbst redet."

Da es nicht allzu viele Informationen über die barbarische Terrortruppe Boko Haram gibt, nützt vielleicht ein Link auf eine ältere Geschichte, den Teju Cole auf Twitter setzt. Alex Preston war im Norden Nigerias unterwegs und hat für GQ im Februar eine lange Reportage über Boko Haram geschrieben.
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Europa

Eine sehr erregte Kolumne über die Ukraine schreibt Caroline Fourest auf huffpo.fr. Sie gesteht zunächst ein, in einem Blogpost über Folter von Separatisten an ukrainischen Soldaten fehlerhaft berichtet zu haben, bleibt aber bei ihrer Meinung und sagt an die Adresse vieler linker Autoren, die die Ukraine des Faschismus beschuldigen: "Der große Unterschied zwischen den Rechtsextremisten auf Seiten Putins und den Rechtsextremisten aus der Ukraine, ist, dass die ukrainischen Ultras immerhin einer Regierung angehören, die das Volk am 25. Mai abstimmen lassen will. Wenn sie Verbrechen begehen, wie in Odessa, dann verlangt die EU eine Untersuchung. Putin dagegen unterstützt die von den Separatisten begangenen Gräueletaten, denn sie dienen seinem Imperialismus und seinen Interessen - und seinem Ziel, die Wahlen am 25. Mai zu verhindern."
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Internet

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp beschreibt das Internet im Interview mit der SZ als "rechtsfreien Raum", den es eigentlich gar nicht geben dürfe: "Das Internet ist als künstlich geschaffener Naturzustand absoluter Freiheit im Sinne des Philosophen Thomas Hobbes in manchen Bereichen ein antiwestlicher wie auch antiislamischer Hetzraum und ein Hort widerwärtiger Pornografie. Um das zu lösen und das Internet auch wieder von den Geheimdiensten zu trennen, bräuchte es Blauhelme, eine von der UN legitimierte digitale Weltregierung."

Weitere Artikel: Mladen Gladic fühlt sich in der Welt noch immer etwas überwältigt von dem überbordenden Informationsangebot auf der re:publica. In der FAZ macht sich Fridtjof Küchemann unter der Überschrift "Facebook verkauft seine Nutzer" Sorgen um das neueste Teufelszeug von Zuckerberg: das Nutzeranalysetool "Audience Insights". Und in der SZ macht sich Bernd Graff Sorgen um das "Internet der Dinge", den Internetverkehr von Bots (mehr bei The Atlantic).
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Kulturpolitik

In der Welt fordert Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, endlich ein bundesweit gültiges Rückgabegesetz in Deutschland zu schaffen: "Alle Museen sollten verpflichtet werden, ihre Bestände umfassend auf mögliche Raubkunst zu prüfen und die Ergebnisse dieser Recherchen zu veröffentlichen. Transparenz ist hier von zentraler Bedeutung."
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Gesellschaft

(Via Boingboing) Dieses Video beweist, das wir doch nicht die einzigen intelligenten Wesen auf dem Planeten sind. Ein Tiintenfisch dreht ein Marmeladenglas von innen auf:

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Überwachung

Seit die Debatte über Überwachung läuft (und das ist seit 2006, als erste Informationen über die Kooperation von NSA und AT & T herauskamen) haben ihre Befürworter keine Beweise dafür vorgelegt, dass sie etwas bringt, schreibt Cory Doctorow in seiner Guardian-Kolumne. Aber es gibt noch ein gewichtigeres Argument gegen Massenüberwachung, meint er, und greift ein Argument Edward Snowdens auf, der die Amoralität von Überwachung mit der von Folter gleichsetzt: "Das 'instrumentelle' Argument gegen Folter - das sie nicht effizient ist - lädt zur Folgerung ein, dass Folter überall dort, wo sie dennoch funktioniert, nicht verwerflich wäre. Aber der Hautgrund, auf Folter zu verzichten, liegt nicht in der Frage der Effizienz. Der Hauptgrund ist, dass Folter barbarisch ist. Sie ist amoralisch. Sie ist falsch. Sie zerfrisst Gesellschaften von innen. Und mit der Überwachung steht es ebenso."

"Es ist eine Schande für die westliche Welt, diesen Aufklärer ausgerechnet in Moskau, dem Hort der Gegenaufklärung, schmoren zu lassen", schreibt Christian Rath in der taz zum Thema Edward Snowden. Er erinnert daran, dass Snowdens Aufenthaltsfrist bald endet und dass er in Moskau nicht aussagen darf, weil sein Asyl an die Bedingung geknüpft ist, das er den USA nicht schadet: "Frei aussagen kann Snowden nur, wenn er einen dauerhaften Aufenthalt in einem sicheren Land hat. Da in der Bundesrepublik das Bedürfnis an Aufklärung am größten ist, läge Deutschland nahe. Viel hängt jetzt davon ab, dass Snowden seinen Wert als Zeuge belegt oder zumindest andeutet."

Mashable meldet unterdessen, dass der ehemalige NSA-Chef Keith Alexander in eine private Cybersecurity-Firma in Washington eintritt, um Finanzinstitutionen mit seinem Spezialwissen zu versorgen.
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