9punkt - Die Debattenrundschau

Ein weiterer kleiner Tyrann

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.04.2014. Cornelius Gurlitt erhält seine Bilder zurück, aber Hermann Parzinger hängt das Kokoschka-Gemälde in seinem Büro wegen Raubkunstverdachts vorsorglich ab, meldet der Tagesspiegel. In der Welt erklärt Natalja Kljutscharjowa anhand von Dostojewski die russische Psyche. Mit dem SWR-Sinfonieorchester steht die Zukunft der Musikkultur auf dem Spiel, appelliert die FAZ. Die taz fragt, warum eigentlich Clemens Binninger den Vorsitz im NSA-Ausschuss übernommen hat.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.04.2014 finden Sie hier

Gesellschaft

Die Russen sind ein von ihren Führern gedemütigtes Volk, schreibt in der Welt die 1981 in Perm geborene russische Autorin Natalja Kljutscharjowa. Und darum brauchen sie verzweifelt etwas, worauf sie stolz sein können. Dostojewski habe das gut beschrieben. Vernünftig denkende Menschen "gibt es weder in den Reihen der 'Volksmassen' noch unter den Regierenden. Denn auch an der Macht sind bei uns die nämlichen Dostojewski-Figuren, Erniedrigte und deshalb durch Minderwertigkeitskomplexe hoffnungslos Deformierte. Und was geschieht, wenn ein Erniedrigter an die Macht gelangt, darüber hat Dostojewski auch sehr viel geschrieben. Zum Beispiel im Roman 'Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner'. Es kommt nichts Gutes dabei heraus. Ein weiterer kleiner Tyrann und feiger Diktator."
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Internet

Vorige Woche warf der Internetunternehmer Robert M. Maier Google in der FAZ vor, Suchergebnisse im eigenen Interesse zu verfälschen. Ohne auf den konkreten Vorwurf einzugehen, antwortet heute Googles Ex-CEO Eric Schmidt an derselben Stelle mit einem allgemeinen Statement gegen die Internet-Abwehr in Deutschland: "Das Wichtigste, was Google Verlagen bringt, sind: Leserinnen und Leser. Monat für Monat leitet Google mehr als zehn Milliarden Klicks an Verlage weiter."
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Kulturpolitik

Gerhard Rohde macht in der FAZ noch einmal deutlich, dass es beim Erhalt des eigenständigen SWR-Sinfonieorchesters nicht um Pfründe geht, sondern um die Zukunft der Musikkultur: "Bei diesem Orchester erreicht das Engagement für einen Komponisten eine Intensität, wie man sie sonst nur bei den Spezialensembles der Neuen Musik, beim Ensemble Modern, beim Pariser Ensemble Intercontemporain oder beim Wiener Klangforum, antrifft. Wenn dieses Orchester aufgelöst wird und untergeht, dann geht damit zugleich eine großes Stück Musikgeschichte der Nachkriegszeit unter, wozu, wegen der geographischen Nähe, auch ein Versöhnungsgestus gegenüber Frankreich gehört hatte. Diese spezielle Zuneigung der französischen Musikfreunde zum SWR-Sinfonieorchester wirkt bis heute unverändert nach: In Paris werden die Musiker ebenso gefeiert wie die Wiener oder Berliner Philharmoniker."

Während die Staatsanwaltschaft Augsburg die Beschlagnahmung der Gurlitt-Sammlung aufhebt und dem Kunsthhändlersohn unbelastete Bilder zurückgibt, hat Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in seinem eigenen Büro ein Kokoschka-Gemälde wegen des Verdachts auf NS-Raubkunst abgehängt, berichtet Christiane Peitz im Tagesspiegel: "Das Kokoschka-Bild mit dem Brandenburger Tor in Parzingers Büro stammt mutmaßlich aus der Münchner Galerie der jüdischen Kunstsammlerin und Galeristenwitwe Anna Caspari, die von den Nazis deportiert und ermordet wurde... Stiftungspräsident Hermann Parzinger weiß nach Angaben seiner Sprecherin seit ungefähr zwei Wochen von der Herkunft des Gemäldes und hat eine Untersuchung veranlasst. Nun fragt man sich: Wieso erst seit zwei Wochen - wo die Preußen-Stiftung doch seit Jahren die Provenienz ihrer Bestände erforscht."

Weitere Artikel: In der Welt hat Mara Delius moralische Bedenken gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, Cornelius Gurlitt seine Bilder zurückzugeben. Anwalt Udo Vetter gratuliert in seinem Blog dagegen den Anwälten von Gurlitt: "Es kommt nicht sehr häufig vor, dass Verteidiger in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft ausdrücklich gelobt werden. Diese hätten, so heißt es wörtlich, eine 'fundierte Beschwerde' erhoben." In der SZ wissen Hans Leyendecker und Georg Mascolo Einzelheiten, wie und warum die Beschlagnahme von Cornelius Gurlitts Bilder-Sammlung aufgehoben werden musste. Im Dossier der Zeit beschreiben Cathrin Gilbert und Stefan Willeke Cornelius Gurlitt als Trickster, der nicht halb so weltfremd ist wie er tut, ohne ihm allerdings irgendetwas neues vorwerfen zu können.
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Überwachung

Nach nicht einmal einer Woche hat Clemens Binninger den Vorsitz des NSA-Untersuchungsausschusses hingeschmissen. Als Begründung gibt er an, er habe die Kompromissbereitschaft der Opposition überschätzt, die nicht von ihrer Forderung abzurücken bereit ist, Edward Snowden als Zeugen vorzuladen. In der Welt verwahrt sich Binninger gegen den Verdacht, er sei seitens der Regierung unter Druck gesetzt worden: "Es gab von niemandem Druck. Ich habe diese Entscheidung definitiv alleine getroffen." Astrid Geisler bringt in der taz Verständnis für Binningers Entscheidung auf, sich nicht zwischen den Fronten zerreiben zu lassen: "Hier die Kanzlerin und deren Sorge um die transatlantische Partnerschaft, die Geheimdienste mit ihrem Informationsbedarf aus den USA - und dort die Opposition, die ihn im Zweifelsfall zum Dank noch als Blockierer vorgeführt hätte. Verständlich, dass Binninger darauf wenig scharf war. Unverständlich, wieso er den Posten als Ausschusschef dann überhaupt übernahm."
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