9punkt - Die Debattenrundschau

Das Recht auf eine Revolution

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.02.2014. In der FAZ fordert der ehemalige BGH-Richter Wolfgang Nešcović eine radikale Kontrolle der Geheimdienste. Die österreichische Gema fordert eine Vergütungspflicht für Hyperlinks, mit denen Videos eingebettet werden, meldet futurezone. Die Bibel ist kein Unterdrückungsinstrument, ruft die feministische Theologin Claudia Janssen in der taz allen Schwulenhassern zu. Und in der Welt fragt Henryk M. Broder die deutsche Friedensbewegung: Über wieviel Leichen willst du gehen?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.02.2014 finden Sie hier

Urheberrecht

Nach einem Urteil des Landgerichts Köln muss künftig der Urhebervermerk für ein Bild direkt in die Bilddatei kopiert werden. Der Grund: Bilder lassen sich oft über einen Webbrowser direkt aufrufen, dann sind die Bildrechte nicht zu sehen, meldet Spon. Im lawblog fasst sich Rechtsanwalt Udo Vetter an den Kopf: "Es ist nicht nur technisch unbedarft (was andere besser beurteilen können), sondern auch juristisch. Nur einer von vielen Aspekten: Der angeblich so simple Urhebervermerk auf dem Bild wäre juristisch auch höchst problematisch. Gerade so Leute wie der klagende Fotograf können in der Veränderung des Bildes eine unberechtigte Veränderung ihres Werkes sehen - was wiederum das Urheberrecht verletzten kann." Rechtsanwalt Thomas Stadler findet im Blog Internet-Law durchaus Gründe, die für das Urteil sprechen. Im konkreten Fall allerdings drängt sich ihm der Verdacht auf, "dass der Fotograf, der seine Bilder selbst und kostenfrei ins Netz stellt, versucht, auf dem Abmahnweg Kasse zu machen".

Die EU-Kommission führt derzeit unter den Bürgern Europas eine Konsultation zur Zukunft des Urheberrechts durch. Nicht nur Verbände und Interessensgruppen, sondern auch Nutzer können Vorschläge einreichen. Die Frist, gerade verlängert, läuft noch bis zum 5. März, meldet irights.info. Die Verbände sind bereits äußerst aktiv. So setzt sich die österreichische Verwertungsgesellschaft AKM derzeit für eine Vergütungspflicht für Hyperlinks ein, mit denen Online-Videos in Websites eingebunden werden, berichtet Patrick Dax im österreichischen Blog futurzone. "In dem von der Verwertungsgesellschaft an ihre Mitglieder versandten Konsultationsdokument der EU wurden die Antwortmöglichkeiten 'Nein' oder 'Keine Meinung' von der Rechtsabteilung der AKM entfernt und einzig die Antwortmöglichkeit 'Ja' belassen. In einer für die Mitglieder vorformulierten Antwort, die praktischerweise gleich in das Dokument kopiert wurde, wird ein 'angemessener Ausgleich' für Musikvideos gefordert, die 'in fremde Websites eingebettet' werden."

Leonhard Dobusch hat für Netzpolitik bei der Gema nachgefragt, ob sie das ähnlich sieht. Antwort von Gema-Mitarbeiterin Ursula Goebel: "Wir sehen das wie die AKM. Im Gegensatz zu einfachen Hyperlinks, die für uns keine relevante Nutzungshandlung darstellen, sollte Embedded Content lizenziert werden. Denn hier ist für den Nutzer nicht klar ist, dass die Datei von einer anderen Seite stammt."
Archiv: Urheberrecht

Internet

(via lesen.net) Im Logbuch, einem Blog des Suhrkamp Verlags, reitet der Buchgestalter Friedrich Forssmann eine Attacke gegen das Internet im Allgemeinen und Ebooks im Besonderen: "Mein Bücherregal ist ein Abbild dessen, was ich gelesen habe und was ich noch lesen möchte, es ist ein vergnüglich durchstöberbares Archiv, in dem auch thematisch passende Grafiken, Fotos und Schneekugeln Platz haben und durch das ich für diejenigen, die ich in meine Wohnung lasse, erkennbar bin, was mir recht ist, für diejenigen, die leider draußen bleiben müssen, aber anonym bin, was mir noch lieber ist. Das E-Book dreht dieses Verhältnis um."

Außerdem: In der NZZ korrigiert Uwe Justus Wenzel Sascha Lobos Klage in der FAS über seine Netzernüchterung.
Archiv: Internet

Gesellschaft

In der Welt nimmt Henryk M. Broder die deutsche Friedensbewegung aufs Korn, die jede Intervention in Syrien ablehne, auch wenn dort schon über 100.000 Menschen ums Leben gekommen seien: "Nichts wird in Deutschland konsequenter verdrängt als die Tatsache, dass weder die Friedensbewegung noch Gebete das Dritte Reich aus dem Weg geräumt haben, sondern eine militärische Intervention der Alliierten, ohne die der Pazifismus in Deutschland heute so gedeihen würde wie Sonnenblumen im Dunkeln. Deutsche Pazifisten sind die Trittbrettfahrer des Zeitgeistes, sie profitieren von Zuständen, deren Herbeiführung sie verhindert hätten, wenn sie dazu in der Lage gewesen wären."

Dass die Friedensbewegung in dieser Frage gespalten ist, zeigt Lisa Schnell in der taz. Sie hat die 79-jährige radikalpazifistische Laura von Wimmersperg getroffen, die jede Intervention ablehnt, und den 32-jährigen Elias Perabo, dessen Organisation Adopt a Revolution auch Geld an Gruppen gibt, die mit der Freien Syrischen Armee (FSA) kooperieren: "Auch er denkt, dass die UNO manchmal benutzt wird, doch nur weil der Westen für etwas ist, muss er nicht dagegen sein. Von Wimmersperg nennt ihn naiv. Er sagt, wer immer nur frage, von welchen Interessen die USA getrieben sind, der verliere den Blick für das, was in Syrien passiert. Was dort passiert ist für von Wimmersperg zu kompliziert, als dass wir uns anmaßen dürften, einzugreifen."

in der taz meldet sich Palliativmediziner P. Markus Deckert zur Sterbehilfe-Debatte zu Wort. Ganz energisch widerspricht er seinem Kollegen Michael de Ridder (hier). Er fragt: Wer fordert den Freitod vom Arzt ein? "In der großen Mehrzahl sind dies Patienten, die von der letzten Lebensphase noch weit entfernt sind und ihre Autonomie und deren befürchteten Verlust aus der Perspektive ihres bisherigen Lebens beurteilen. Ist die Situation aber tatsächlich da, wird selbst unter belastendsten äußeren Bedingungen dieser Wunsch nur noch äußerst selten geäußert und sogar ausdrücklich widerrufen. Im Rahmen einer auch nur einigermaßen guten Palliativversorgung haben wir noch keinen Patienten erlebt, der seine letzte Lebensphase abkürzen wollte."

Im Gespräch mit der taz lehnt die feministische Theologin Claudia Janssen - trotz einiger eindeutiger Passagen - die Vereinnahmung der Bibel gegen die Gleichberechtigung Homosexueller ab: "Die Ängste kommen nicht aus der Bibel. Sie kommen von Menschen, die Ängste erzeugen wollen und dabei die Bibel als Unterdrückungsinstrument benutzen. ... Ich kann darlegen, warum ich mein Handeln im Gegenüber zur biblischen Weisung verstehe, warum mir Werte aus meiner christlichen Tradition heraus wichtig sind, aber ich kann die Bibel nicht als autoritatives Gesetzbuch heranziehen."

Ebenfalls in der taz berichtet Michael Braun aus Avellino, wo italienische Transsexuelle bei den Messen zu Ehren ihrer selbsterkorenen Schutzheiligen Maria ausgelassen mitfeiern.
Archiv: Gesellschaft

Europa

Stephan Ruß-Mohl macht sich in Gegenworte (online in Eurozine) mal wieder Gedanken, über etwas, das es nicht gibt, aber geben sollte, die "europäische Öffentlichkeit". Allerdings begrenzt er Öffentlichkeit dabei auf den üblichen Journalismus und Europa auf die EU. Er stellt fest, dass der Journalismus den lokalen Horizont kaum je überscheitet - auch und gerade bei der Berichterstattung über Brüssel. Sein Lösungsansatz: "Jede Strategie, die dem Projekt Europa aufhelfen möchte, hätte zunächst bei den Kommunikatoren anzusetzen. Nur wenn es gelingt, unter Journalisten und anderen Medienschaffenden weiterhin eine weltoffene europäische Grundorientierung zu verankern, wird das Projekt Europa auch in den nächsten 50 Jahre florieren." Und dafür fordert er Geld. Natürlich aus Brüssel.

In der taz erklärt die ukrainische Schriftstellerin Larysa Denysenko, dass die Ukrainer Janukowitsch zur Not auch mit Gewalt absetzen werden: "Die UN-Menschenrechtserklärung beinhaltet, dass die Menschen im Falle einer drohenden Diktatur und anhaltenden Machtmissbrauchs das Recht auf eine Revolution haben, wenn keine anderen Mittel zur Verfügung stehen. Ich würde zwar lieber friedliche Optionen wählen, aber leider schreibe ich hier nicht das Drehbuch. Wenn eine Regierung systematisch die Menschenrechte und die Verfassung verletzt, kann es zu einem legitimen Volksaufstand kommen." Von der EU fordert Denysenko Sanktionen gegen die Regierung.

In der Berliner Galerie okk sind derzeit Fotografien von Yevgenia Beloruset zu sehen, auf denen die Fotografin die Proteste in der Ukraine im Dezember festgehalten hat. Für den Freitag hat sich Juliana Löffler die Bilder angesehen: Sie "sind Momentaufnahmen dieses Protestalltags und zeigen vor allem das Dazwischen - Momente des Innehaltens und Versuche, etwas Ruhe zu finden. Auf einem Bild spielt ein Mann Gitarre, neben ihm auf dem Tisch stehen Blumen in einer Vase, auf der Protestsymbole aufgeklebt sind. Es ist ein provisorisches Einrichten im Protestalltag. Die Idylle, welche die Bilder teils austrahlen, ist trügerisch."
Archiv: Europa

Überwachung

In der FAZ fordert der ehemalige Richter am BGH Wolfgang Nešcović auf einer ganzen Seite, die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste "radikal" zu reformieren: "Eine Kontrolle, die ihrem Anspruch gerecht wird, setzt zumindest folgende Reformen voraus: eine deutliche Verbreiterung der Informationsbasis der Abgeordneten, eine erhebliche Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten, die Schaffung effizienter Sanktionen und eine qualitative Veränderung des Kontrollpersonals."
Archiv: Überwachung
Stichwörter: Geheimdienste

Kulturpolitik

In der Welt sieht Barbara Möller mit dem Abgang des Berliner Kulturstaatssekretärs André Schmitz wegen Steuerhinterziehung die Kulturpolitik Berlins ordentlich aufs Glatteis gelegt. Der Fehler sei von vornherein gewesen, den Posten des Kultursenators 2006 zu streichen, meint Möller: "Weil der Kulturstaatssekretär de facto der Kultursenator war, gibt es nach Schmitz' schmählichem Abgang nicht mal einen Kulturstaatssekretär, der den Job jetzt interimistisch machen könnte. Die Verantwortung für alle Ursachen dieses Desasters trägt Klaus Wowereit."

In der FAZ würde Andreas Kilb wohl lieber Berlins Regierenden Wowereit als den Kulturstaatssekretär Schmitz gehen sehen. Steuerhinterziehung hin oder her: "André Schmitz hat ein Amt, an der sich nicht wenige seiner Vorgänger verhoben haben, mit Geschick und Leidenschaft ausgeübt."

Außerdem: In der Berliner Zeitung berichtet Nikolaus Bernau von der Diskussionsveranstaltung über Pläne für das Berliner Kulturforum, das künftig der Kunst des 20. Jahrhunderts mehr Platz bieten soll. In Sachsen-Anhalt treffen Einwohnerschwund und Überschuldung die Theater und kulturellen Einrichungen besonders hart, berichtet Michael Bartsch in der taz.
Archiv: Kulturpolitik