9punkt - Die Debattenrundschau

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Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.01.2014. In der Ukraine geht es nicht allein um Europa, sondern vor allem um Widerstand gegen Diktatur und Usurpation, meint Serhij Zhadan in der SZ. In der FAZ erklärt der Stuttgarter Kultusminister Andreas Stoch, wie man als Bürokrat zugleich unfromm und nett zu den Kirchen sein kann. Alastair Philip Wiper besucht für sein Blog das größte Schlachthaus Dänemarks: 100.000 Schweine wöchentlich. Das NYMag porträtiert den chinesischen Oligarchen Chen Guangbiao, der die New York Times kaufen will. Viel berichtet wird über das Filmförderurteil des Bundesverfassungsgerichts.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 29.01.2014 finden Sie hier

Kulturpolitik

In der Welt schreibt Hanns-Georg Rodek zum Karlsruher Urteil in Sachen Filmförderung. Dass das Bundesverfassungsgericht die Rechtmäßigkeit der Kinoabgabe auch für die großen Ketten bestätigt hat, begrüßt er zwar, dennoch sieht er ganz grundsätzlich dringenden Reformbedarf. Beispiele, wie es besser gehen könnte, findet er im Ausland: In Frankreich "wird mit Jurys gearbeitet, die mehr oder minder jährlich wechseln, und vor allem sitzen darin bekannte Regisseure, die dann ein Jahr eine Auszeit nehmen, um ihren Job sorgfältig erledigen zu können. In Österreich (...) lädt der Chef der Filmförderung jedes Jahr die wichtigsten Produzenten ein, um mit ihnen über all ihre Projekte zu diskutieren."

Im Großen und Ganzen erleichtert nimmt auch Daniel Kothenschulte in der FR die Entscheidung zur Filmförderung auf, allerdings meint er, legten die Richter "auch den Finger auf die eigentliche Wunde - nämlich die in der Branche derzeit viel diskutierte Frage, ob die deutsche Filmförderung nicht längst vor lauter Wirtschaftsförderung die Filmkunst aus den Augen verloren hat."

In der SZ wertet Wolfgang Janisch ebenfalls positiv: "Karlsruhe nimmt kulturelle Betätigung von den Gesetzen der Marktwirtschaft aus, denen zufolge das individuelle Gewinnstreben den Gesamterfolg sichert. Kultur benötigt einen geschützten Raum, in dem Qualität zählt, nicht Kasse.

Kürzungen und Verzweiflung beim Theater in Dessau: Die sachsen-anhaltinische Kulturpolitik macht sich vor allem durch die Kahlschlagsmentalität von Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) einen Namen. Bald ist da aber gar nichts mehr zu kürzen, berichtet Dorion Weickmann in der SZ: "Allein das Oberzentrum Dessau-Roßlau seit den Nachwendejahren knapp ein Fünftel seiner Einwohnerschaft verloren."
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Medien

Er nennt sich selbst das "größte lebende Vorbild und den prominentesten Menschenfreund Chinas". Für das NYMag trifft Jessica Pressler den Mann, der die New York Times kaufen will, den Recyclingkönig und Möchtergernmedientycoon Chen Guangbiao. Bei der Times ist man nicht froh. Schließlich ist bekannt, dass China sich eine "gute Presse", gern einfach erkauft, in Afrika etwa. In so einer Zeitung steht dann nichts mehr über Tiananmen oder Tibet, und die Staatsgeschäfte blühen, meldet die für Pressefreiheit streitende NGO Freedom House. Doch sind das wirklich Chens Absichten? "Sein wahres Ziel könnte sein, Aufmerksamkeit zu erregen und gegen die in China seit 1999 verbotene Falun Gong Bewegung zu agitieren, die in den USA viele Anhänger hat … Auch, wenn er das nicht erreichen wird, die Aufmerksamkeit hat er schon." Was hiermit bewiesen wäre.
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Gesellschaft

(Via Andrew Sullivan) Dänemark ist einer der größten Fleischexporteure in Europa. Alastair Philip Wiper hat für sein Blog das größte Schlachthaus Dänemarks besucht, das Danish Crown Slaughterhouse: "2004 erbaut, werden in dem Schölchthaus heute ungefähr 100.000 Schweine wöchentlich getötet. 1420 Menschen sind hier angestellt, und das Schlchthaus empfängt täglich 150 Besucher. Es ist als Schlachthaus mit bewusst offener Politik konzipiert - eine Zuschauergalerie folgt jedem Schritt der Produktion, von der Ankunft der Schweine, zum Töten, dem Schlachten und Verpacken."

Die Cover Story des New York Magazines widmet sich dem Versuch einer feindlichen Übernahme. Offenbar ist New Yorks Fauna um einen Vertreter einer besonders robusten Spezies reicher. Periplaneta japonica, die japanische Kakerlake hat es geschafft, den Pazifik zu überqueren, und sie ist winterhart. Laut Lee Siegel womöglich der Beginn einer wunderbaren neuen Beziehung für die New Yorker.
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Internet

Im Interview mit Anne Fromm in der taz entwickelt der Physiker und Soziologe Dirk Helbing eine emanzipatorische Vision von Big Data und dem Internet der Dinge zu entwickeln. "Jeder Mensch sollte so etwas wie eine persönliche Datenbörse besitzen, in die alle Daten einfließen, die irgendwo über ihn gesammelt werden. Unternehmen, die Daten sammeln, müssten verpflichtet sein, dem Bürger regelmäßig mitzuteilen, welche Daten sie über ihn haben. Und dann entscheidet der Bürger selbst, was damit gemacht werden darf, ob und wofür er die Daten freigibt."
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Stichwörter: Big Data, Helbing, Dirk

Geschichte

In der SZ unterstützt Jens Bisky eine Initiative des deutsch-französischen Historikers Etienne François, der zu einem gemeinsamen, europäischen Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs aufruft (mehr hier). So heißt es dort: "Menschlichkeit ist unausrottbar, Menschlichkeit braucht Unterstützung. Sie hat nicht die Macht des Stärkeren, aber sie steigt aus den Gräben, aus den Lagern, aus unseren eigenen Abgründen, und zeigt den Weg zum Frieden. Sie hat das Europa, das wir heute kennen, aufgebaut. Und so könnten die 'Infanteristen des Lebens', nähme man sie ernst, manchen Konflikt in der Welt verhindern. Versöhnung könnte sich vor und nicht erst nach den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Katastrophen Wege bahnen."
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Religion

In Baden-Württemberg beschwerten sich christliche Schulen darüber, dass Dirk Kurbjuweits Novelle "Zweier ohne", in der es auch um erste sexuelle Erfahrungen von Jugendlichen geht, zur Schullektüre gemacht wurde. Im FAZ-Interview mit Saska Müller erklärt SPD-Kultusminister Andreas Stoch, wie die Behörden einknickten und als Alternative ein Buch von Max Frisch gestatteten: "Es wurde nicht entschieden Kurbjuweits Buch als ungeeignet zu betrachten. Unsere Auswahlkommission ist nach wie vor überzeugt, dass sein Buch als Prüfungslektüre gut und richtig ist. Wir teilen also die Bedenken nicht, aber wir wollten eine Auswahl bieten, um zu zeigen, dass wir die Bedenken ernst nehmen." Das nennen wir virtuoses Bürokratentum!
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Europa

In der Ukraine stehen sich derzeit zwei völlig unversöhnliche Lager gegenüber, erklärt der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan in einem Kommentar auf der Seite 2 der SZ. Da sind einmal Liberale, Rechte und Linke, die alle eine Veränderung wollen und dabei geht es nur am Rande um die EU: "Es vereint sie die Notwendigkeit, das System zu brechen, der Widerstand gegen Diktatur und Usurpation. Die Unterstützer der Staatsmacht (oder schlicht die Gegner des Maidan) stehen derweil oft weniger für die konkrete Idee des Beitritts ihres Landes zur Zollunion mit Russland als für eine Art übergreifende 'postsowjetische' Ideologie. Die meisten von ihnen leben weiter im historisch-kulturellen Paradigma der sowjetischen Vergangenheit, welche sie mit Ideen von einer 'russischen Welt' oder der Renaissance des sowjetischen Projekts verbinden." Zhadan hat aber keinen Zweifel, dass Janukowitsch am Ende gestürzt wird.
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Stichwörter: Maidan, Ukraine, Zhadan, Serhij