Hans-Ulrich Wehler

Deutsche Gesellschaftsgeschichte

Band 5: Bundesrepublik und DDR 1949-1990
Cover: Deutsche Gesellschaftsgeschichte
C.H. Beck Verlag, München 2008
ISBN 9783406521713
Gebunden, 529 Seiten, 34,90 EUR

Klappentext

Hans-Ulrich Wehlers Deutsche Gesellschaftsgeschichte gehört zu den herausragenden historischen Werken unserer Zeit. Vor rund zwanzig Jahren erschien der erste Band über Deutschland von 1700 bis 1815. Mit diesem eindrucksvollen fünften Band gelangt ein epochales Werk zum Abschluss, das mehr als dreihundert Jahre deutscher Geschichte umspannt und eine ganze Generation von Historikern geprägt hat. Wehlers tragendes Konzept ist gleich geblieben - und es trägt auch für die Zeit nach 1945: Politische Herrschaft und Kultur, Wirtschaft, soziale Ungleichheit stehen im Zentrum der Darstellung, die immer wieder die Frage umkreist, wie Herrschaft organisiert wird und welche soziale Realität sie hervorbringt. Dass dabei das Urteil über die DDR höchst kritisch ausfällt, mag nicht weiter überraschen. Doch auch die Bundesrepublik, so zeigt sich, weist bei aller demokratischen Verfasstheit überraschende Kontinuitäten sozialer Schichtung und Ungleichheit auf. Das gern gepflegte Bild von der offenen Gesellschaft mit Aufstiegsmöglichkeiten für jedermann erweist sich bei genauerer Betrachtung als empirisch wenig stichhaltig - vor allem die Kontinuität der Eliten und der Besitzverhältnisse ist, wie Wehler herausarbeitet, ein Kennzeichen auch der westlichen Demokratie der Nachkriegszeit.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.11.2008

Das Bild, das Hans-Ulrich Wehler von der deutschen Nachkriegsgeschichte zeichnet: "in hohem Maße statisch". Viele Kriterien seiner "apodiktischen" Urteile: "unklar". Seine Thesen zum "fortwirkenden Leistungsfanatismus" der Nazis: spekulativ und wenig "solide" . Wie er seine Kategorien konstruiert: nach Gutdünken. Wehlers massiver Einfluss auf die deutsche Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte: von "vergiftender" Wirkung. Sein Begriff von Sozialkultur: kaum vorhanden. Das Bild der DDR als "sowjetische Satrapie": "verkürzt". An kritischen Anmerkungen zu diesem abschließenden Band von Wehlers Gesellschaftsgeschichte lässt es der Rezensent Andreas Rödder wahrlich nicht fehlen. Eher sparsam dosiertes Lob gibt es allerdings auch. Die Betonung der nach wie vor vorhandenen sozialen Ungleichheit hält er für wichtig. Die Darstellung der Wiedervereinigung "im Inneren" scheint ihm richtig. Aber so vieles übersieht Wehler, so Rödder, und zwar aus systematischen Gründen. Am wichtigsten vielleicht die Bedeutung, die das Erfahren von Geschichte als irreduzible Kategorie hat. Im Ton ist diese Rezension nicht scharf, ihr Resümee aber, dass Wehler mit seiner "Totalgeschichte" trotz der Bedeutsamkeit der Unternehmung mehr oder weniger gescheitert sein dürfte, scheint recht eindeutig.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.09.2008

Der fünfte und letzte Band der "Deutschen Gesellschaftsgeschichte" von Hans-Ulrich Wehler trägt für Ulf Erdmann Ziegler weiter zur Mythosbildung über die DDR bei und ist "durchsetzt von politischen Wünschen und flaggenschwenkenden Ideologemen", die aus der DDR abgeschlossene Geschichte machen wollen. Der Band veranlasst Erdmann Ziegler, in einem eher persönlichen Text über seine eigenen Jugend-Erfahrungen mit dem Systemvergleich zu schreiben: spielerische Annäherungen in der Schulzeit, dann ganz persönlich auf Verwandschaftsbesuch in Dresden. Das Schicksal von seinem Cousin, der mit "lebensvernichtenden Konsequenzen" in der DDR verhaftet wurde, nimmt er zum Anlass, die der Realität nie gerecht werdende Geschichtsschreibung zu kritisieren. Wehlers Band ist für ihn in dieser Hinsicht exemplarisch und "amüsiere" ihn sogar. Dass die DDR nicht mehr fortbesteht, heißt nicht, dass ihre Mentalitätsgeschichte nun zu Ende sei, bemerkt Erdmann Ziegler. Ganz im Gegenteil. Abschließend wünscht er sich, es möge doch bitte jemand diesen "Systemvergleich systemvergleichen".
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.09.2008

Dem Lebenswerk Hans-Ulrich Wehlers gilt der Respekt des Rezensenten fast uneingeschränkt. Am nun vorliegenden abschließenden Band von Wehlers Deutscher Gesellschaftsgeschichte hat Jens Hacke allerdings einiges auszusetzen. Das Gefühl, der Autor habe eigentliche keine Fragen mehr an die deutsche Geschichte der Nachkriegszeit und sein Weltbild stehe längst fest, wird Hacke nicht los. Zu wenig Drive, zu wenig Sinn für Entwicklungsmöglichkeiten, findet Hacke. Und die versprochene gesellschaftshistorische Synthese als Beweis einer prinzipiellen Überlegenheit dieser Disziplin gegenüber Politik- und Kulturgeschichte? Hacke sucht sie vergebens. Zu vieles sieht er durch die Maschen der Historischen Sozialwissenschaft rutschen: Der Reformbedarf der deutschen Demokratie, die Lebenswirklichkeit der ostdeutschen Gesellschaft - Fehlanzeige. Wie Wehler laut Hacke die DDR bloß als "Negativfolie" zu einer überlegenen Bundesrepublik zu interessieren scheint, so wenig gereichen dem Rezensenten die aufgefahrenen soziologischen und statistischen Fakten zum Nachvollzug einer überzeugenden Fragestellung oder Synthese. Die von Wehler "ausschließlich nationalstaatliche definierte Gesellschaft", meint Hacke, bleibt blass.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 30.08.2008

Werner Plumpe, selbst Wirtschafts- und Sozialgeschichtler, schickt pro forma eine Würdigung der "Ausdauerleistung" des Kollegen voraus - um dann umso dezidierter den fünften Band der Gesellschaftsgeschichte zu demontieren. Zu der Aussage, die Bielefelder "Historische Sozialwissenschaft" habe der aktuellen Geschichtsschreibung nicht mehr viel zu sagen, gelangt Plumpe in seiner Besprechung über vier Hauptkritikpunkte: Der Historiker stört sich am "Haupterzählstrang" Wehlers, die heutige, geschichtsbewusste und liberale Bundesrepublik sei vor allem das Verdienst einer leistungswilligen und -fähigen Generation der "public intellectuals", während Wehler die 68er-Bewegung für gescheitert ansehe. Empört ist der Rezensent über Wehlers "antiquierten klassentheoretischen Ansatz", der mit vagen "Pudding"-Begriffen wie beispielsweise dem Bürgertum operiere. Auf mehr Zustimmung von Kritikerseite trifft die Abhandlung der Politischen Geschichte. Hier allerdings fehlen Plumpe viele Aspekte, wie die Umweltbewegung, was in dem Vorwurf mündet, die gesellschaftliche Dynamik seit den 1960er Jahren werde zu wenig ernst genommen, beziehungsweise gar nicht erfasst. Das Fehlen einer ausreichenden Behandlung der Wirtschafts- und Währungspolitik moniert Plumpe mehrmals; auch die Gesellschaftsgeschichte der DDR werde nur stiefmütterlich behandelt, dafür aber um so apodiktischer beurteilt. Als vernichtendes Fazit plädiert Plumpe schließlich dafür, Wehlers Buch als Essay zu lesen, in dem ein Zeitgenosse seine eigene Lebensleistung präsentiert.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.08.2008

Als "imponierend" würdigt Norbert Frei den letzten Band von Hans-Ulrich Wehlers Deutscher Gesellschaftsgeschichte. Gleichwohl dominieren in seiner ausführlichen und gedankenreichen Besprechung die kritischen Einwände. Beeindruckt hat ihn wieder einmal die synthetische Leistung Wehlers sowie seine klar argumentierende Darstellung, gerade auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte. Dies ändert allerdings nichts daran, dass er Wehlers strikt strukturanalytischen Ansatz, der mit einer "Verweigerung alles Erzählerischen" und dem Fehlen einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlich wirkmächtigen Leiterzählungen einhergeht, als Schwäche des Bands empfindet. Zudem moniert er den polemischen Tonfall, den der Autor oft anschlägt. Überhaupt hat er allzu oft das Gefühl, Wehler verfahre nicht immer "sine ira et studio". Insbesondere im Blick auf die Darstellung der Studentenbewegung von 68 kann er dem Autor den Vorwurf von Undifferenziertheit und platter Polemik nicht ersparen. Aber auch wenn es um die DDR geht, wundert sich Frei immer wieder über den vehementen Ton. Generell scheint ihm die Darstellung der DDR bei Wehler überaus dürftig. Außen vor blieben auch die Bedeutung der Massenmedien und des Fernsehens, der dramatische Wandel des Freizeit- und Konsumverhaltens sowie die Medialisierung der Politik.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 30.08.2008

Einen kritischen Blick wirft Christian Semler auf den nun vorliegenden fünften Band von Hans-Ulrich Wehlers Deutscher Gesellschaftsgeschichte über die "Bundesrepublik und DDR 1949-1990". Lobend spricht er über die Fülle der verarbeiteten Literatur, die große Synthetisierungsleistung und die gute Lesbarkeit des Werks. Davon abgesehen überwiegen in seiner Besprechung die kritischen Töne. Er legt sein Augenmerk vor allem auf die Aspekte, die für ihn zu kurz kommen oder ganz unter den Tisch fallen. Um nur einige Punkte zu nennen: Semler fehlt eine Schilderung der scharfen Klassenauseinandersetzungen, die den großen Sozialreformen in der BRD vorausgingen, des Streits um die Wiederaufrüstung, die allgemeine Wehrpflicht und die Integration in die Nato. Er vermisst eine Erwähnung von Autoritarismus und Konformismus in der Adenauerära sowie eine eingehende Behandlung der DDR und vor allem der Lebenswelt der DDR-Bürger. Wehlers Beschäftigung mit der Migrationsgeschichte in Deutschland scheint ihm "rudimentär und von starken Vorurteilen geprägt" und die mit der Studentenbewegung der 68er allzu undifferenziert und negativ. Als Kuriosität nennt Semler schließlich Wehlers merkwürdige Charakterisierung der FAZ als "linkskonservatives" Blatt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.08.2008

Mit manchem, was er in Hans-Ulrich Wehlers Abschlussband seiner monumentalen deutschen Sozialgeschichte zu lesen bekommt, ist der Rezensent Axel Schildt gar nicht einverstanden. Wie wenig sich Wehler für die DDR interessiert, wie leichthin er ihr soziales Anderssein abtut, das findet er ebenso enervierend wie das für Wehler typische 68er-Bashing. Auch die Kultur finde wie gewohnt nur sehr am Rand statt. Von all diesen kaum überraschenden Mängeln abgesehen, sei das Werk dann aber doch sehr aufschlussreich und lesenswert. Ausdrücklich genannt werden Wehlers Ausführungen zur "Fortdauer des Bürgertums", seine Verteidigung des Klassenbegriffs gegen die Soziologen, auch sein "nicht unsympathischer Antipostmodernismus". Nicht konform geht Schildt dagegen mit Wehlers enthusiastischer Wertschätzung für einen bei den Gegenwartsdeutschen vermissten "Leistungsfanatismus", den die Nazis einst nur missbraucht hätten. In diesem wie in den anderen genannten Fällen gehe der "polemisierende Zeitgenosse" mit dem Historiker durch. Daran, dass mit diesem Band eine "beeindruckende sozialgeschichtliche Synthese" zu ihrem Abschluss kommt, ändere das aber nichts.