Mord und Ratschlag

Verbrechen und Erlösung

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
06.03.2012. In Georg M. Oswalds Roman "Unter Feinden" versuchen ein Junkie und ein Spießer, ihre Haut und ihren Polizistenjob zu retten, während Dealer, Terroristen und eine Staatsanwältin hinter ihnen her sind. Yves Ravey erzählt in "Bruderliebe" von einem kalten, aber sehr eleganten Verbrechen.
Eigentlich müsste sich der Münchner Hauptkommissar Markus Diller mal um seinen Sohn kümmern, der mächtig Probleme in seiner katholischen Eliteschule hat. Oder um seinen Fall. Ein islamistischer Topterrorist ist aus Pakistan nach Deutschland eingereist. Zumindest vermuten das alle, ein Mann ist am Flughafen festgenommen worden, dessen biometrische Daten ihn als den Gesuchten ausweisen. Er bestreitet dies jedoch. Und obwohl er einen deutschen Pass hat und fließend Deutsch spricht, gibt es angeblich nichts und niemanden, der seine Identität bestätigen könnte. Aber Diller hat für solche Feinheiten eh keine Zeit und keine Nerven. Er muss seine Haut retten: Sein alkohol- und heroinabhängiger Kollege Kessel hat bei einem Einsatz einen Dealer überfahren, von dem er kurz zuvor noch Stoff geraubt hatte. Jetzt liegt der Junge im Koma, und das Westend steht in Flammen. Münchens unterprivilegierte Jugend hat es in Brand gesteckt, aufgebracht über so viel Polizeibrutalität. Die Staatsanwältin - Didem Osmanoglu heißt sie, trägt Kopftuch und ist sehr ehrgeizig - ermittelt gegen die beiden, die Stadt will um jeden Preis die erhitzten Gemüter beruhigen. Zumindest bis die jährlich stattfindende Sicherheitskonferenz vorbei ist, auf die offenbar ein Anschlag verübt werden soll.

So weit so unwahrscheinlich die Ausgangslage. Es kommt aber noch dicker im ersten Krimi des Münchner Anwalts und Autors Georg M. Oswald. Irgendwann brennen selbst die Juwelierläden in der Maximilianstraße, mindestens drei verschiedene Drogendealer sind hinter dem Junkie Kessel her, der inzwischen selbst den Stoff verticken muss, um die Schulden bei seinem Dealer zu bezahlen. Der wendungsreiche Plot steht dabei in einem seltsamen Kontrast zu der Oswalds eher schleppender Erzählweise. Man muss es so sagen: Tempo und Spannung gehören nicht zu den Stärken dieses Erzählers. Nicht selten nimmt Oswald seinen Dialogen dadurch jeden Witz, dass er die Pointe erklärt oder eine psychologische Deutung hinterherschiebt. So schwerfällig wie der deutsche Justizapparat rumpelt die Geschichte ihrem Höhepunkt entgegen, der dann allerdings Verbrechen und Erlösung in einem ist.

Zu den Merkwürdigkeiten des Buchs gehört auch, dass hier alle Welt von den Arabs redet, wenn es um Ausländer geht. So wie in: "Türken, Albaner, Nordafrikaner, Iraker, Iraner, was auch immer - Arabs jedenfalls." Oder: "Die Arabs strahlten vor Hass." Auch der Klappentext spricht von Arabs, die Rezensenten benutzen den Begriff ganz selbstverständlich. Sagt man das heute so? Und ist das dann Kiezdeutsch, Münchnerisch oder Polizeijargon?

Trotzdem gibt es zwei Momente, die diesen Roman bei all seinen Schwächen stark machen, und die heißen Kessel und Diller. Dies aber nicht, weil sie mal wieder zeigen, dass die Polizei das Problem, nicht die Lösung ist - geschenkt, sondern weil die beiden Kommissare wunderbar gegengeschnitten sind in ihrem Existenzkampf. Kessel, der trostloseste und erbarmungswürdige Junkie, denkt nur noch bis zum nächsten Schuss. Er hat sich selbst aufgegeben jeden Sinn für Realitäten und Gefahren verloren, auch dafür, was die eigentlichen Katastrophen in seinem Leben sind. Diller dagegen kämpft um die eigene bürgerliche Vorstadtexistenz, mal verzweifel, mal kopflos, und vielleicht auch nicht immer ganz glaubwürdig. Aber wenn man bedenkt, wie vernünftige Menschen in Panik geraten, wenn sie auf einen unvorteilhaften Google-Eintrag von sich stoßen, dann glaubt man gern, wie diese beiden Polizisten versuchen, ihren Hals aus der Schlinge zu ziehen. Hier schimmert dann der erfahrene Anwalt Oswald durch, der weiß, das sich Verbrechen nur für Amateure nicht lohnt: "Die Angst, überführt zu werden, brachte mehr Leute ins Gefängnis als raffinierteste Ermittlungsmethoden."

Georg M. Oswald: Unter Feinden. Roman. Piper Verlag, München 2012, 246 S., 18,99 Euro

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Yves Raveys Erzählung "Bruderliebe" ist so ziemlich das Gegenteil von Georg Oswalds etwas rohem Diamanten. "Bruderliebe" ist ein elegant geschliffener, kalter Edelstein. Auf 110 Seiten, in Kapiteln, die gerade einmal aus einem zehnzeiligen Absatz bestehen, konstruiert der französische Autor seine hochkomprimierte Geschichte, die eine mindestens ebenso feine Präzisionsarbeit ist wie das Verbrechen, von dem sie erzählt.

Es ist die Geschichte der Brüder Max und Jerry. Max lebt als Buchhalter in einem kleinem Ort nahe der Schweizer Grenze, über die er eines Nachts seinen Bruder zurück nach Frankreich schmuggelt, auf Skiern über die Berge. Zwanzig Jahre war Jerry weg, zuletzt als Kämpfer in Afghanistan, ihn kennt kein Mensch mehr in der Gegend. Ihr Plan: Die Tochter von Max' Chef entführen, eine halbe Million Euro Lösegeld kassieren und über die Grenze abhauen. Eine Angelegenheit von 24 Stunden, ohne jedes Risiko.

Schon auf den ersten Seiten, mit der Fahrt der beiden Brüder über die Berge, legt Ravey das erzählerische Grundmust aus: Für eine kurze Strecke rauschen die beiden über die dunkle Piste. Doch kaum will Max, er ist der Erzähler der Geschichte, den Weg vorgeben, schlägt Jerry eine andere Richtung ein. So auch bei der Entführung. Er zeigt sich ohne Gesichtsmaske der Entführten, Samantha. Sie hatte Max, den Prokuristen ihres Vaters, immer abgewiesen, in Jerry verliebt sie sich auf der Stelle, sozusagen noch im Lieferwagen. Er flirtet mit ihr, nimmt ihr die Fesseln ab. Nach der Übergabe des Lösegelds ändert er seinen Fluchtplan. Er zieht, ohne sich mit Max abzustimmen, einen Kumpan mit hinein, einen "Waffenbruder" aus Afghanistan. Doch je mehr man mit Max über Jerrys Motive grübelt - Warum bringt er die beiden in Gefahr? Wieso will er nicht zum Grab seines Vaters? Auf welcher Seite hat er unten am Hindukusch eigentlich gekämpft? - umso undurchsichtiger wird Max selbst. Und umso unangenehmer.

Ravey, der Kunstprofesser aus Besancon, fordert beim Lesen hohe Konzentration und genaues Hinsehen. Auf jedes Detail muss man achten, jedes Zeichen deuten, schnelles Lesen ist unmöglich. Mit einem einzigen Satz verstellt sich wie bei einem Uhrwerk das gesamte Gefüge. Und dabei erzählt er in dieser stilistischen Meisterübung mitnichten die Geschichte einer Bruderliebe, er erzählt eine Geschichte von Rivalität, Verrat und von einem Verbrechen, dessen Perfidie sich erst auf der allerletzten Seite enthüllt.

Ivey Ravey: Bruderliebe. Aus dem Französischen Angela Wicharz-Lindner. Kunstmann Verlag, München 2012, 110 Seiten, 14,95 Euro