Imre Kertesz
Opfer und Henker
Transit Buchverlag, Berlin 2007
Aus dem Ungarischen von Christian Polzin, Ilma Rakusa; Agnes Relle und Kristin Schwamm. In "Weltbürger und Pilger" bietet Imre Kertesz eine moderne Interpretation der Geschichte aus dem Alten Testament; es geht um die Konkurrenz von Lebenskunst und Apathie, von melancholischer Eleganz und gewalttätigem Neid, eine Konkurrenz, die im Mord gipfelt, den Täter aber nicht erlöst, sondern sein Elend nur verlängert. "Ich, der Henker" enthält den ersten Prosatext, den Kertesz schrieb, bevor er 1960 die Arbeit an seinem großen "Roman eines Schicksallosen" aufnahm. Wir werden mit zwei Männern konfrontiert, die ihrer Sache, ihrer Geschichte, ihrer Schuld bzw. Unschuld absolut sicher sind. Der überraschende Schluss beweist die Fragwürdigkeit moralischer Überlegenheit: die biografisch schlüssigen Rechtfertigungen des Henkers provozieren die Erkenntnis seines Gegenübers, dessen "besseres" Leben sei nichts anderes als die Summe zufälliger Umstände. In den beiden Texten über Berlin und Budapest wird die existentielle Frage, wo will ich leben, auf biographisch erhellende und faszinierende Weise gelöst - auch hier der Kontrast zwischen den Zwängen eines diktierten Lebens und dem ersehnten Genuss von Freiheit.