Magazinrundschau - Archiv

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Magazinrundschau vom 28.03.2023 - Slate

Das Abtreibungsverbot in Texas führt zu absurden und gefährlichen Zuständen in Krankenhäusern, berichtet Sophie Novack, die mit betroffenen Ärzten und Ärztinnen gesprochen hat. Während viele von ihnen den Bundesstaat schon verlassen oder ihren Beruf sogar ganz aufgegeben haben, geraten die Gebliebenen in ein katastrophales Dilemma: "Eineinhalb Jahre nachdem Texas das Abtreibungsverbot ab der sechsten Schwangerschaftswoche eingeführt hat ... sagen Ärzte, dass sie unmöglichen Situationen ausgesetzt sind, die sie zwingen, ihre ethischen Verpflichtungen gegenüber Patientinnen, die mit traumatischen und gefährlichen Schwangerschaftskomplikationen kämpfen, gegen die Angst vor Gerichtsverfahren, dem Verlust ihrer ärztlichen Zulassung oder Inhaftierung abzuwägen. Eine Klage, die diesen Monat eingereicht wurde, verdeutlicht das Problem: Fünf Frauen und zwei Gynäkologen beschuldigen den Bundesstaat Texas, mit den Abtreibungsverboten so viel Verwirrung und Angst beim medizinischen Personal ausgelöst zu haben, dass es die Gesundheit von Frauen beeinträchtige und sogar deren Leben bedrohe. Unsicher, wie sie die neuen Gesetzen anwenden sollen, haben Krankenhäuser diese unterschiedlich interpretiert, manche benötigen die Zustimmung eines Anwalts oder einer Ethikkommission, damit Ärzte in medizinischen Notfällen Abtreibungen durchführen können. Andere überlassen die Entscheidung Einzelpersonen, ohne wirkliche Unterstützung oder Anleitung anzubieten. Das führt dazu, dass manche Ärzte warten, bis Patientinnen dem Tod nahe sind, bevor sie in Notfälle eingreifen …" Lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Reportage im Guardian über die Ärztin Leah Torres, die in Alabama legale Abtreibungen durchgeführt hatte und dennoch mit Gerichtsverfahren überzogen wurde.
Stichwörter: Abtreibung USA, Abtreibung

Magazinrundschau vom 01.03.2022 - Slate

Auch Russland-Experten und Geheimdienste haben nicht geglaubt, dass Putin tatsächlich die gesamte Ukraine besetzen würde, betont Ben Judah. Fast alle westlichen Akteure gingen davon aus, dass die Oligarchen Wladimir Putin von einem Krieg abbringen würden, wenn die Sanktionen nur hart genug ausfielen. Aber im Kreml regiert keine Clique mehr, meint Judah, sondern Putin allein: "Wie konnte es so vielen entgehen, dass sich Putin und seine Herrschaft verändert hatten? Zum einen ist Putin schon so lange an der Macht, dass viele Analysen einfach in der Vergangenheit stecken geblieben sind. Die Vorstellung von einem Russland, das von Oligarchen beherrscht wurde, erstarrte zu einer Legende und hielt nicht Schritt mit ihrer effektiven Liquidierung als Klasse. Es war auch nicht förderlich, dass der Westen viele russische Milliardäre aus Davos kennt, aber nicht die Funktionäre der Staatssicherheit, die sich zunehmend jenem religiösen Nationalismus verschrieben haben, der offenbar auch Putin ergriffen hat. Auch die Pandemie machte es Außenstehenden schwer, Putins offensichtliches Abgleiten in die paranoide Isolation zu bemerken; er hat sich in den letzten Jahren offenbar durch einen ultrastrengen persönlichen Lockdown und soziale Distanzregeln abgeschottet, was sein Urteilsvermögen beeinträchtigt haben könnte. Die absurd langen Tische, an denen Putin bei Treffen sitzt, sind zu einem Symbol seiner Abgeschiedenheit geworden (und zu einem ziemlich guten Meme). Der französische Präsident Emmanuel Macron berichtet, er habe ihn Anfang Februar als einen 'völlig anderen Menschen' empfunden als bei seinem letzten Treffen im Jahr 2019. Und schließlich ist die westliche Russlandanalyse gescheitert, weil sie von der russischen Analyse der eigenen Gesellschaft abhängt, und die ist noch katastrophaler gescheitert. Hier hat eine durch jahrzehntelange Propaganda abgestumpfte Expertenklasse unterschätzt, wie sich die systematische Zerschlagung des russischen Journalismus auf ihre Fähigkeit auswirkt, zu erfahren, was im Kreml vor sich geht."

Fred Kaplan zitiert amerikanische Militärexperten, die sich über die wirre Strategie der russischen Truppen mokieren. Das können sie durch Brutalität schnell wettmachen, weiß Kaplan, betont aber zwei Dinge: Die russsiche Armee besteht in der Hauptsache aus schlecht ausgebildeten, schlecht behandelten und schlecht motivierten Wehrpflichtigen. Und die Kommandierenden mögen keine Kreativität bei Untergebenen.

Magazinrundschau vom 02.05.2018 - Slate

"Wenn etwas kostenlos ist, dann bist Du nicht der Kunde, sondern das Produkt." Dieser Spruch hat Konjunktur, wenn es um die Einschätzung von Facebook geht. Doch woher kommt dieser Spruch eigentlich? Aus dem kritischen Diskurs über das Fernsehen in den 70ern, hat Will Oremus herausgefunden. Doch ergibt der Spruch überhaupt einen Sinn? Und kann man das Fernsehen der 70er ohne weiteres mit den Sozialen Medien der Gegenwart vergleichen? Alles schwierig, meint Oremus - zumal man Facebook vorwirft, die Massen zu polarisieren und sozialen Unfrieden zu stiften, wohingegen das Kabelfernsehen der frühen 70er im Verdacht stand, die Massen zu homogenisieren und zu sedieren: "In dem Slogan steckt auch die sonderbare Unterstellung, dass sich alles zum Besseren wenden würde, wenn wir für das Privileg des sozialen Netzwerkens einfach bezahlen würden. ... Dabei gibt es genügend Firmen, die sich um das Wohlergehen ihrer zahlenden Kundschaft wenig kümmern. ...  Es gibt mindestens zwei alternative Sichtweisen auf unsere Beziehung zu Facebook, die ein gesünderes, weniger ausbeuterisches Verhältnis versprechen. Die Erste: Wir sollten uns als Facebooks Kunden betrachten, die mit Zeit, Aufmerksamkeit und Daten statt mit Geld bezahlen. Dies impliziert größere Verantwortlichkeit auf beiden Seiten. ... Die zweite: Wir sollten uns als Teil von Facebooks Arbeitsheer begreifen. So wie die Arbeit von Bienen unwissentlich dem Imker dient, bereichern wir mit unseren Posts und Status-Updates kontinuierlich Facebook. Doch wir sind Menschen, keine Bienen, und als solche sind wir in der Lage, kollektiv eine bessere Behandlungsweise einzufordern. In seinem Buch 'Wem gehört die Zukunft?' kommt der Tech-Aktivist Jaron Lanier im Aufgriff dieser Analogie zu dem logischen Schluss, dass die Nutzer von Facebook und anderer datenhungriger Onlinedienste sich erheben und tatsächliche monetäre Kompensation für ihre Daten verlangen sollten."

Magazinrundschau vom 27.02.2018 - Slate

Schäbige bis schamlose Clickbait-Artikelschwemmen, Razzien, zahlreiche gefeuerte Redakteure und ein Newsroom, der von Angst und Intrigen geprägt ist: Mit der einst stolzen Marke Newsweek geht es deutlich bergab. Will Oremus hat die Gründe dafür recherchiert und bei Mitarbeitern nachgeforscht: Ein Lehrstück darüber, wie solider Journalismus zugrunde gerichtet wird. Vor einigen Jahren hat die bis dahin unauffällige Firma International Business Times das Nachrichtenmagazin aufgekauft und sich lange Zeit als eine Perle im Portfolio geleistet, während schlüpfrigere Marken für Traffic und Umsatz sorgten. "Doch dann, im März 2017, kam es zum Disaster: Ein großes Update in Googles Suchalgorithmus. Damit abgestraft werden sollten Seiten von inhaltlich schlechter Qualität, werbereiche Seiten und 'private Blog-Netzwerke', die von vielen als Traffic-Betrüger eingeschätzt werden. IBT Media traf dies hart. Der organisch über Suchmaschinen generierte Traffic der Flaggschiffe des Hauses sank um 50 Prozent. ... Weniger später wurde der Druck bei Newsweek, den Traffic zu steigern, erhöht, behaupten zahlreiche Quellen. Einer der früheren Angestellten drückte es so aus: 'IBT verdiente nicht mehr länger die Brötchen, also musste Newsweek das jetzt übernehmen.' Binnen weniger Wochen versetzte die Firma sieben Reporter und Redakteure von IBT zu Newsweek, mit dem Auftrag, Breaking News auf ähnlich klickattraktive, dauerfeuer-artige Weise zu fabrizieren, wie sie dies zuvor bei IBT verinnerlicht hatten. ... Die Mitarbeiter wurden darüber in Kenntnis gesetzt, welcher Autor Klicks und Views in welcher Höhe erzielt, was zur angespannten Arbeitskultur beitrug. Im Hinblick auf verfehlte Ziele erklärte ein Redakteur: "Uns wurde gesagt, dass wir darauf achten sollten, dass unsere Autoren nicht in die 'rote Zone' geraten, wenn sie uns am Herzen liegen.'"

Magazinrundschau vom 19.07.2016 - Slate

Über Al Qaida zu berichten, war lange Zeit ziemlich langweilig, meint New York Times Reporterin Rukmini Callimachi, damals in Daka stationiert, im Interview. Man konnte immer nur ein paar Diplomaten zitieren, an Originalquellen kam man nie heran. "Aber alles veränderte sich für mich im Januar 2013, als die Franzosen in Mali einmarschierten. Drei Tage, nachdem sie die Dschihadisten vertrieben hatten, war ich in Timbuktu. Ich kam mit der ersten Welle der Reporter. Es waren so viele nach wenigen Tagen. Zuerst zogen wir alle los und interviewten die Einwohner. Wie war es unter der Sharia zu leben? Wir sahen uns die Orte an, wo Menschen hingerichtet wurden und den Platz, wo sie jemandem die Hand abgehackt hatten. Die Bewohner zeigten mir dann die besetzten Gebäude. Unglaublicherweise hatte die Al-Qaida-Zelle tausende Seiten interner Dokumente zurückgelassen. ... Woher ich das weiß? In dem ersten Gebäude hob ich ein Papier auf und dachte, 'Das ist Arabisch, ich kann es nicht lesen' und ließ es wieder fallen. [Lacht] Ich ging bis ins Hotel zurück, ehe ich begriff: Mein Gott, dies ist Mali. In Mali sprechen die Leute Französisch. Sie lernen es in der Schule. Nicht Arabisch. Also stammt per definitionem alles, was auf Arabisch geschrieben ist, von den Besatzern. Ich lief mit Plastiktüten zurück und sammelte jedes Papier ein, was ich finden konnte."

Magazinrundschau vom 27.01.2015 - Slate

Als 1961 die dritte Ausgabe des amerikanischen Wörterbuchs "Merriam-Webster"s New International Dictionary, Unabridged" erschien, lösten die Änderungen gegenüber der zweiten Ausgabe von 1934 eine jahrzehntelange Debatte aus. Jetzt steht die vierte Ausgabe an, und die Veränderungen sind noch sehr viel gravierender ausgefallen: sie ist fürs Internet konzipiert, was die Arbeit der Lexikografen radikal verändert, wie Stefan Fatsis berichtet - etwa am Beispiel des neu aufgenommenen Begriffs asshat: ""Ich lasse es sehr gelehrt klingen", sagt der Merriam-Etymologe Jim Rader, der einst Slawistik studiert hat und jetzt die historischen Kommentare verfasst. "Ich möchte ein sehr albernes Wort sehr gelehrt behandeln." Verstärkt in die Details etymologisch interessanter Wörter einzutauschen, war nicht Teil eines neuen Konzepts, aber der Luxus des plötzlich vorhandenen unendlichen Raums machte es möglich. "Ich dachte mir, ich schreibe mir diese Sachen ohnehin auf, warum sollte ich sie da nicht einfach ins Lexikon aufnehmen?""

Magazinrundschau vom 25.11.2014 - Slate

Zu Zeiten New Hollywoods zählte er zu den Galionsfiguren, im heutigen Hollywood ist er längst ein Außenseiter: Dennoch lässt sich Paul Schrader, der mittlerweile mit Crowdfunding und Video-On-Demand arbeitet, rege Facebook nutzt, seine Darsteller per Twitter findet und derzeit eine Web-Serie plant, seinen Optimismus nicht nehmen, wie er im Gespräch mit Courtney Duckworth unterstreicht: "Alles liegt offen. Und in dieser Hinsicht ist es auch aufregend - außer man ist mit diesem Konzept aus dem 20. Jahrhundert verheiratet, dass man einem zahlenden Publikum in einem dunklen Raum Bilder vorführt. Wer daran hängt, hat wirklich ein Problem, denn dieses Konzept ist tot. ... Die Frage ist also: Was ist ein Film? Ein Film kann ein Video auf Youtube oder Vine sein, ein Beyoncé-Video oder "Mad Men", ein Film, der jetzt schon 60 oder 70 Stunden lang läuft. Aber allesamt sind sie Filme. Manche davon schaust Du an Deinem Hangelenk, andere im Imax-Kino. Für manche bezahlst Du auf andere Weise. An manchen nimmst Du teil. Für mich sind das alles Filme. Da gibt es keinen Unterschied." Das herkömmliche 90-Minutenformat knirscht jedenfalls schon ganz schön, meint er: "Wenn man Filme ansieht, gibt es immer diesen Moment: "Ah ja, jetzt passiert das und dann das, das übliche." Wenn jemand mit unterschiedlichen Längen arbeitet - seien es nun 10, 20 oder 40 Minuten - wird man dagegen mit einer anderen Form des Geschichtenerzählens konfrontiert, ohne den vorhersehbaren Erzählverlauf."

Magazinrundschau vom 09.05.2014 - Slate

Kein Bauwerk hat die Entwicklung von Paris so stark vorangetrieben wie der Pont Neuf, erzählt Joan DeJean: "Zuvor war es ein mühseliges Unterfangen gewesen, vom linken Ufer zum Louvre zu gelangen. Wer es sich nicht leisten konnte, sich auf einem Boot hinbringen zu lassen, musste zwei Brücken überqueren und an beiden Ufern lange Fußmärsche zurücklegen. Erst die neue Brücke erhob die Bezirke am rechten Seine-Ufer zum vollwertigen Bestandteil der Stadt. War dort noch 1600 der Louvre die einzige größere Attraktion gewesen, beherbergte das rechte Ufer am Ende des Jahrhunderts wichtige Wohnhäuser und Bauwerke, von der Place Royale bis zu den Champs-Élysées. Und wann immer sich im siebzehnten Jahrhundert etwas Bedeutendes ereignete, dann passierte es entweder auf dem Pont Neuf oder wurde dort zuerst besprochen."

Magazinrundschau vom 13.08.2013 - Slate

Einen spannenden Einblick in die Problemlage der Archivierung historischer Software für kommende Generationen ermöglicht Matthew Kirschenbaum in seinem Bericht von einer Tagung, die sich mit genau diesem Themenkomplex befasst hat. Reicht es schon aus, gute Emulatoren, also Software, die die Systemumgebung älterer Rechner auf einem aktuellen Computer simuliert, zu programmieren? Oder bedarf es auch der konkreten Haptik? Einige Tagungsteilnehmer unterstrichen immer wieder "den Bedarf, wirkliche Exemplare alter Systeme zu erhalten, um den Nutzern eine möglichst umfassende Erfahrung der ursprünglichen Handhabe zu bieten. ... Manchmal ist die Interaktion zwischen Soft- und Hardware ganz besonders subtil. Ich erinnere mich gut an den Frust, mit dem ich auf meine Tastatur eindrosch, als ich interaktive Textadventures der alten Schule spielte, nur um vom Parser immer wieder 'Ich verstehe das nicht' oder 'Das kannst Du hier nicht tun' gesagt zu bekommen. Doch stieß ich auf die richtige Lösung, wusste ich das im Nu: Das Programm hielt kurz an, die Drehzahl der Diskette ging hörbar hoch und eine neue Textbeschreibung wurde geladen, während sich der Spielverlauf fortsetzte. Diese Art des Fortschreitens und der Rhythmisierung bildete das Tempo dieser Erfahrung - auf die selbe Weise, wie es Prozessorgeschwindigkeiten für bewegungsreichere Formen des Gameplays tun."
Stichwörter: Archivierung

Magazinrundschau vom 06.11.2012 - Slate

Choire Sicha findet es total überflüssig, wie zuletzt Arthur Krystal im New Yorker eine Grenze zwischen Genreliteratur und hoher Literatur zu ziehen. Besonders, wenn man die neue zweibändige Ausgabe mit Erzählungen der Fantasyautorin Ursula Le Guin in Händen hält: "Das einzige, was noch wundervoller wäre als diese Erzählsammlung, wäre eine Veröffentlichung aller Erzählungen von Ursula Le Guin. Wenn man ihre Vorliebe für diese Form bedenkt, könnte so ein Buch allerdings wohl nur digital-only erscheinen. ... In jeder guten, karriereumspannenden Auswahl kann man beobachten, wie ein Autor in seine Autorität wächst. Hier erzählt jede Geschichte auf ihre eigene Art, in ihrem eigenen Universum und in ihrem eigenen Ton, dass es in der amerikanischen Literatur keinen besseren Geist gibt als den Ursula Le Guins."