Magazinrundschau - Archiv

The Chronicle of Higher Education

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Magazinrundschau vom 10.10.2023 - Chronicle

Ist Identitätspolitik eine Ausgeburt der Postmoderne, wie Yascha Mounk in seinem neuen Buch "The Identity Trap" behauptet? Überhaupt nicht, meint der Politikwissenschaftler Jason Blakely. "Sie geht vielmehr gut anderthalb Jahrhunderte zurück auf die kulturellen Veränderungen, die die moderne Welt hervorgebracht haben. Wie der Philosoph Charles Taylor in einer Vielzahl von Büchern und Aufsätzen gezeigt hat, wurzelt die Identitätspolitik in einer Verschmelzung der romantischen Ethik der Authentizität und der aufklärerischen Idee der Volkssouveränität. Ziel der Identitätspolitik ist das, was Taylor bekanntermaßen als 'Anerkennung' bezeichnete. Auch wenn es nicht gerne gesagt wird, basiert die älteste Form dieser Politik nicht auf Rasse, Geschlecht oder sexueller Orientierung, sondern auf Nationalismus", wie Rousseau und Herder ihn verstanden. "Der Nationalismus verbindet diese Forderung nach Selbstbestimmung mit der Vorstellung der früheren Aufklärung, dass eine legitime Regierung auf einem Gesellschaftsvertrag beruht und durch die Volkssouveränität bestätigt wird. Der Staat ist nach dieser Auffassung nur dann legitim, wenn er den Willen eines Volkes repräsentiert. Die Identität muss repräsentiert werden. Im Falle des Nationalismus wird häufig eine Eins-zu-eins-Identität von Staat und Nation angestrebt. Der Staat wird von Nationalisten sogar als höchster Ausdruck der Anerkennung der Existenzberechtigung der Kultur und Sprache eines Volkes angesehen. ... Wie Tayler kurz und bündig formulierte: 'Die moderne nationalistische Politik ist eine Art von Identitätspolitik. In der Tat ist sie die ursprüngliche Spezies', deren 'Modell' des 'Kampfes' dann 'auf den Feminismus ... kulturelle Minderheiten, auf die Schwulenbewegung usw. angewandt wird'." Identitätspolitik, also Anerkennung, ist heute praktisch unvermeidlich, meint Blakely. "Hier könnten LGBTQ-Befürworter und christliche Nationalisten, Feministen und Traditionalisten die schwierige Aufgabe bewältigen, unerwartete Gemeinsamkeiten in der geteilten Sorge zu finden, ihren Platz in der Gesellschaft zu verlieren."

Magazinrundschau vom 16.04.2019 - Chronicle

Jacob Mikanowski porträtiert den Historiker Timothy Snyder als einen Getriebenen, der mit seinem Buch "Bloodlands" zu Recht zu Ruhm kamnund dann in eine Symptomatik des Prophezeiens verfiel, die seinen Ruf eher beschädigte. Schon das Buch "Black Earth" weise hier problematische Passagen auf, mehr noch aber "Über Tyrannei" und das jüngste Buch "Der Weg in die Unfreiheit" über faschistische Einflüsse auf Wladimir Putin, das vorschnell aus der Geschichte auf Trump und die Gegenwart schließe. Mikanowski folgt hier der Kritik des Historikers David A. Bell, der sagt, "dass Snyders 'Fixierung auf 1933 und den Aufstieg des Faschismus es sich mit Trump und dem Vergleich amerikanischer und europäischer Umstände' zu einfach macht. Demokratien können auf viele Arten scheitern, sagt Bell, ohne dass der Sturz der Weimarer Republik immer das einzig mögliche Resultat ist… Snyder sträubt sich, wenn ich ihm gegenüber diese Kritik zitiere. Für ihn ist Russland kein Nebengleis, sondern eine mächtige Gefahr für die Demokratie. 'Russland hat ganz klar in die amerikanischen Wahlen eingegriffen', sagt er. Wer anders denkt, 'leugnet die Wahrheit'."

Magazinrundschau vom 19.04.2016 - Chronicle

Der Diskurs der Diversität, der heute an amerikanischen (und nicht nur amerikanischen) Universitäten gepflegt wird, ist im Grunde nur eine Wiederkehr als Farce von konservativen Identitätsvorstellungen. Aber nun regiert er in seiner neuen und modischen Form besonders an geisteswissenschaftlichen Instituten. Und Russell Jacoby mokiert sich im Chronicle of Higher Education über ein Papier konservativer Soziologen, die sich diesen Diskurs zueigen machen, um als Minderheit zugelassen zu werden: "Konservative springen auf den Diversitätszug. Sie bekämpfen die Diversitätler mit Diversität. Sie haben die Diversity-Kategorien um eine Box bereichert. Diversität soll sich nun auch auf Politik ausdehnen. Zu den benachteiligten Minderheiten gehören die Konservativen selbst. Taktisch ein brillanter, aber auch beängstigender Zug."

Magazinrundschau vom 22.03.2016 - Chronicle

Nichts kann so leicht zurückfeuern wie die Vorstellung, man müsse im akademischen Diskurs bestimmte Ideen unterdrücken, um ein "sicheres" Umfeld für Studenten zu schaffen, meint der Anglistikprofessor Robert Boyers. "Ideen waren immer im Fluss. Der Standard, negativ besetzt durch das Wort 'Vorurteil', wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder in Frage gestellt durch Denker wie Edmund Burke und später T.S. Eliot ... MacIntyre veränderte die Art wie wir über 'Identität' denken, indem er behauptete, dass die Rebellion gegen die eigene ererbte Identität häufig nur eine machtvolle Methode sei, sie auszudrücken. Herbert Marcuse, keineswegs allein damit, regte eine Generation von Radikalen an zu überlegen, ob Toleranz nicht selbst ein Instrument oder Symptom der Repression sei und verwandelte so diese freundliche, von John Stuart Mill und anderen liberalen Denkern gefeierte Idee in etwas anderes."

Magazinrundschau vom 11.08.2015 - Chronicle

Nicht völlig ohne Hoffnung ist Justin E.H. Smith, dass die Todesstrafe in den USA auf dem Rückzug ist. Zwar bleibt der rassistische Charakter des Karzeralsystems intakt, notiert er, aber wenigstens bei den Exekutionen stellt er einen Niedergang fest - unter anderem, weil die Behörden immer größere Schwierigkeiten haben, sich die Todesdrogen auf legalem Wege zu beschaffen. "Die Vereinigten Staaten bewegen sich langsam in Richtung internationaler Normen - das heißt Normen demokratischer Staaten, denn in postdemokratischen Staaten blüht das Exekutionswesen nach wie vor. Dabei werden die USA gar nicht von einem Willen beseelt, sich anderen Gesellschaften anzupassen, es ist einfach die innere Vernunft ihrer Gesetze, die sich nach und nach durchsetzt."
Stichwörter: Todesstrafe

Magazinrundschau vom 14.04.2015 - Chronicle

Ziemlich deprimierende Nachrichten bringt der Neurologe Melvin Konner den Männern. Frauen sehen nicht nur manchmal ziemlich klasse aus, sie werden nicht nur älter als Männer, sie sind einfach "den Männern nicht gleich. Sie sind in vielen Hinsichten überlegen und besonders in Aspekten, die in Zukunft zählen werden. Es ist nicht nur eine Frage von Kultur oder Erziehung. Es ist eine Sache der Chromosome, Gene, Hormone und Nervenbahnen. Es liegt nicht nur daran, wie Erfahrung Frauen prägt, sondern in strukturellen Differenzen in Körper und Hirn." Es handelt sich bei dem Text um einen Auszug aus einem Buch, dass bei W.W. Norton erschienen ist.

Magazinrundschau vom 21.03.2014 - Chronicle

Auch im Chronicle staunt man über das Nachleben Benjamins. Eric Banks, Direktor des New York Institute for the Humanities an der New York University, hat eine höchst interessante Grafik erstellt (links) die zeigt, dass die Benjamin-Rezeption erst Mitte der Siebziger einsetzte und ihren - vorläufigen Peak 2007 hatte, als Benjamin 750 Mal in Büchern und Artikeln zitiert wurde. Dass Benjamin in den USA bekannt wurde, ist vor allem Harvard und Paul de Man zu verdanken, schreibt Banks: ""Paul de Man sprach immer wieder stundenlang über ihn", sagt der Cheflektor der Harvard University Press, Lindsay Waters, den Howard Eiland und Michael W. Jennings in der Danksagung in ihrer neuen Benjamin-Biografie "Walter Benjamin: A Critical Life" als "Vater dieses Buchs" preisen. "Es war klar, wie sehr de Mans Lektüre des "Trauerspiels" ihn als Denker befreit hatte." Waters" Zeit als Doktorand an der Universität von Chicago, wo er an seiner Dissertation über den italienischen Dichter des 15. Jahrhunderts Luigi Pulci arbeitete, fiel zusammen mit de Mans Gastprofessor dort. Der Theoretiker weckte in Waters ein Interesse nicht nur an Benjamin, sondern generell an nicht übersetzter europäischer Kultur- und Literaturtheorie."

Magazinrundschau vom 14.01.2014 - Chronicle

Zum fünfzigsten Geburtstag der New York Review of Books teilt der Historiker Russell Jacoby Lob aber mehr noch Kritik aus. Ganz schön behäbig und prätentiös ist sie geworden, die einstmals so gefeierte Zeitschrift, die Robert Silvers nach dem Tod der Mitbegründerin Barbara Epstein allein herausgibt, findet er: "Abgesehen von ihren weitschweifigen und vorsichtigen Buchkritiken stört an der NYRB ihre Engstirnigkeit, ihre Anglophilie, ihre Ergebenheit für in New York lebende Autoren und ihre Liebesaffäre mit Ivy-League-Professoren. Aber am meisten stört das Fehlen einer jüngeren Generation. Das ist die Beschwer. Als Silvers mit der NYRB begann, war er 33 und Epstein war 34. Autoren der ersten Ausgabe wie Susan Sontag und Gore Vidal war auch in ihren Dreißigern. Fünfzig Jahre später ist Silvers 83, aber wo sind die jüngeren Stimmen?"

Magazinrundschau vom 16.07.2013 - Chronicle

Dass Hollywood zwischen der Machtergreifung der Nazis und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs keine Filme gegen die Nazis drehte, ist bekannt. Der Historiker Ben Urwand arbeitet nun an einem Buch, in dem er belegen will, dass die Haltung der Studios über finanziell motivierten Opportunismus weit hinausging, wie Alexander C. Kafka berichtet: "Vor allem durch den Vizekonsul des Dritten Reiches in Los Angeles, Georg Gyssling, gaben die Nazi-Hollywood-Beziehungen Hitler und seinem Propagandaminister Joseph Goebbels die effektive Entscheidungsgewalt darüber, welche Filme realisiert, welche Szenen rausgeschnitten, welche Stars und Filmemacher auf die schwarze Liste gesetzt wurden. Dabei verlangten die Deutschen ein Mitspracherecht nicht nur über amerikanische Filme, die in Deutschland gezeigt wurden, sondern überall auf der Welt." Das Buch, obwohl noch gar nicht erschienen, ist bereits heftig umstritten, so Kafka weiter. Auch hatten politische Filme nur einen Bruchteil des Erfolgs Musicals, Komödien oder Western: "Wenn Sie eine Botschaft verschicken möchten, benutzen Sie Western Union", zitiert Kafka Samuel Goldwyn.

Magazinrundschau vom 16.04.2013 - Chronicle

Seit Wochen wird im Perlentaucher über Jan Assmanns Begriff der "mosaischen Unterscheidung" debattiert - lanciert wurde die Debatte von Jan Assmann selbst. Nun folgt, ohne jeden Bezug auf unsere Debatte, eine Generalattacke auf Assmann durch den New Yorker Politologen Richard Wolin im Chronicle of Higher Education: "In Assmanns Sicht waren es die alten Hebräer, die durch die 'mosaische Unterscheidung" und die dadurch entfesselte kulturelle Semantik der Intoleranz den Begriff des heiligen Krieges schufen: eine göttlich angeordnete Doktrin der totalen Vernichtung. Tragischer Weise wandte sich dieselbe kulturelle Semantik der Intoleranz sehr viel später gegen die Juden selbst, im größten jemals verzeichneten Massenmord, dem Holocaust. In anderen Worten: Wer Wind sät, wird Sturm ernten. In Assmanns Sicht waren es letztlich nicht die Deutschen, die für den Holocaust verantwortlich sind. Es waren die Juden selbst".

Lesenswert sind auch die Kommentare unter dem Artikel. Ellen Hunt verteidigt Assmann sehr entschieden: "Den Holocaust argumentatativ so zu verwenden, ist eine ad hominen-Attacke, eine Propaganda-Technik."
Stichwörter: Assmann, Jan