Magazinrundschau - Archiv

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Magazinrundschau vom 27.07.2021 - Ceska pozice

Nachdem das tschechische Abgeordnetenhaus unlängst beschlossen hat, dass tschechische Frauen auf die weibliche Namensendung -ová verzichten dürfen, tobt auch hier ein kleiner Kulturkrieg zwischen Befürwortern und Gegnern. (Grammatikalisch ist die Sache komplex, denn auch wenn frau sich nicht mehr Nováková nennt, sondern Novák, muss das weibliche Novák anders dekliniert werden als das männliche Novák.) Lukáš Novosád weist auf die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Positionen hin: Während es etwa in Deutschland als Fortschritt gelte, weibliche Endungen durchzusetzen (Kanzler -> Kanzlerin), würden tschechische FeministInnen in der Namensfrage das -ová als minderwertiges Anhängsel des Männernamens betrachten. (Tatsächlich weist das Suffix etymologisch auf einen Besitz des Mannes hin.) Anders verhalte es sich wiederum bei den Lausitzer Sorben in Deutschland, bei denen die Endung -owa bislang zurückstehen muss: "Das Knifflige ist, dass, sobald sich nach deutschem Gesetz die Eheleute auf einen gemeinsamen Namen einigen, dieser die gleiche Gestalt haben muss. Durch das abgeleitete Suffix wären die Namen aber nicht mehr identisch." Ein Reformvorschlag im deutschen Namensrecht soll nun bewirken, dass verheiratete Sorbinnen ihren Namen nach slawischer Tradition auch mit -owa enden lassen dürfen. Novosáds Fazit: "Aus der Perspektive der hiesigen [tschechischen] Debatten mag das sorbische Anliegen als unbegreiflicher Anachronismus erscheinen, aber es ist ein Bemühen darum, die gleiche Freiheit zu erhalten, die auch hier alle wollen." Denn letztlich geht es in jeder Richtung um nichts anderes als um die Wahlmöglichkeit.
Stichwörter: Lausitz

Magazinrundschau vom 15.06.2021 - Ceska pozice

"Ein Gespenst geht wieder um in Europa. Das Gespenst grüner Politik." Nach dem ersten Abfallen des Grünen-Hypes diagnostiziert der tschechische Journalist Petr Fischer bei den Deutschen Angst vor der eigenen Courage. "Die Deutschen mögen die Grünen, haben aber Angst, sie an die Regierung zu lassen." Und die Konkurrenz schüre diese Angst heftig in allen Medien. Paradoxerweise, denn die Grünen, die heute die Partei anführten und um die Kanzlerschaft kämpften, seien eigentlich der gemäßigte Teil der Partei. "Es sind eher liberale Städter, die sich nach einem ruhigen Leben in einem schönen städtischen Umfeld sehnen, also etwas wie die tschechischen Piraten, deren revolutionäre Radikalität auch ihre kleinbürgerlichen Grenzen hat. Diese deutschen Grünen versuchen einen ökologischen Wandel der Lebensweise durchzusetzen, der sich in Deutschland zum großen Teil schon durchgesetzt hat, sodass sie eigentlich offene Türen einrennen." Aber den Deutschen werde offenbar etwas mulmig bei der Erkenntnis: "Dieses Gespenst erschaffen wir selbst. Dieses Gespenst sind wir."
Stichwörter: Die Grünen

Magazinrundschau vom 11.02.2020 - Ceska pozice

Ausstellungsansicht (Ausschnitt). Foto: Tomas Soucek
Radan Wagner widmet sich begeistert der Ausstellung über die tschechische Künstleravantgarde Devětsil, die derzeit am Altstädter Ring in Prag noch bis Ende März zu sehen ist. Vergleichbar mit anderen europäischen Strömungen wie dem deutschen Dadaismus oder dem Bauhaus, dem niederländischen De Stijl, dem italienischen Futurismus oder dem russischen Konstruktivismus verkörperte Devětsil die Aufbruchstimmung der zwanziger Jahre und umfasste neben der Bildenden Kunst auch Architektur, Literatur, Theater oder gesellschaftliche Fragen. "Neben utopischen linken Visionen, die die Vergangenheit verdammten und eine bessere Zukunft heraufbeschworen, entstanden auch Projekte und Werke, die bis heute inspirieren und dauerhafter Bestandteil der Kunstgeschichte der Moderne sind. Nicht nur Kollagen und Fotomontagen, auch Typografie, Lyrik, Malerei oder der plötzlich entdeckte Film wurden zu einem Phänomen der positiven Gestimmtheit. (…) Es war die Zeit der Programme, Manifeste und forschen Erklärungen zur Mission der Kunst (…) Das Leben sollte zur Kunst und die Kunst zum Leben werden." Wenngleich ihm vieles davon heute naiv erscheint, fällt Wagner doch auf, wie stark das Gemeinschaftsgefühl gewesen sein muss und wie sehr die Idee einer vereinigten Avantgarde heute, in der Zeit des ausgeprägten Individualismus, nur noch eine historische Erinnerung ist. Auch auf die Ausstellungsformate nahm Devětsil damals Einfluss. Karel Teige, Vordenker der tschechischen Avantgarde, verkündete: "Der alte Ausstellungstyp ist am Aussterben, zu sehr ähnelt er einem galeristischen Mausoleum. Eine moderne Ausstellung muss ein Basar sein … moderne Produktionen, Manifestation des elektrischen und maschinellen Jahrhunderts." Neben künstlerischen Werken (Bildern, Fotografien, Bühnenentwürfen, Bildgedichten, Architekturentwürfen) wurden provokativ Plakate von Reisebüros, Zirkusfotografien, Schaufensterpuppen, Maschinenbestandteile wie Kugellager präsentiert. Dieser "Basar" entsprach dem Devětsil-Konzept der Gleichberechtigung von Kunstwerken und Artefakten des täglichen Lebens und der modernen Technik; Lyrik und Rationalität sollten so miteinander vermählt werden. Radan Wagner ist sich sicher: "Ohne diese Avantgarde-Werke würde unsere gegenwärtige Kultur völlig anders aussehen."

Magazinrundschau vom 23.07.2019 - Ceska pozice

Die wirklichen Gefahren, die der westlichen Gesellschaft drohen, sind weder der Faschismus noch ein Rückfall in die 1930er Jahre, sondern die Zermürbung und Aushöhlung der Demokratie, meint der britische Historiker und Faschismusforscher Roger Griffin im Gespräch mit Přemysl Houda. Der Faschismus werde nicht zurückkehren, dafür sei unsere Zeit zu antifaschistisch geprägt. "Orbán und zum Beispiel auch Putin haben ein Rezept entdeckt, wie man ohne einen totalitären Staat die Macht erobern und behalten kann. Wahlen stören sie nicht, sie sind sogar froh darum, weil sie ihnen Legitimität verleihen. Wahlen abzuschaffen, ist das Letzte, was sie wollen. (…) Orbán hat ein geniales Modell erfunden. Er verletzt die Regeln der Europäischen Union und tritt ihren Geist mit Füßen, und trotzdem erhält er weiterhin Geld von ihr. Ist das nicht fabelhaft? Das sollte uns viel eher interessieren als eine zweifelhafte faschistische Bedrohung."

Magazinrundschau vom 16.07.2019 - Ceska pozice

Kein Blatt vor den Mund nimmt im Gespräch mit Přemysl Houda über ihr Land die chinesische Schriftstellerin Sheng Keyi, die besonders die zunehmende soziale Schere zwischen Stadt und Land beklagt. "In China existieren zwei Systeme in einem. Für die einen ist es der reale Kapitalismus - keine Sicherheiten, keine Versicherungen, keine Fürsorge. Jene hingegen, die Teil des Systems sind, oder genauer gesagt die Leute, die zu den gebildeten städtischen Eliten gehören, genießen in gewissem Sinne die Vorzüge des sozialistischen Systems. Sie haben zum Beispiel Kranken- und Sozialversicherungen und ein einigermaßen ordentliches Gehalt. Sie arbeiten mit dem System zusammen - und es belohnt sie dafür." Die Menschen vom Land aber könnten niemals davon profitieren. "Wer Teil des Systems ist, ist es bis auf geringe Ausnahmen schon von der Wiege an. (…) Die Leute, die ich im Ausland treffe, halten China für ein entwickeltes und relativ reiches Land. Das Problem ist nur, dass das Geld, das in China verdient wird, nicht in die Entwicklung der ländlichen Gebiete und in die Bedürfnisse der normalen Leute gesteckt wird, sondern in große Infrastrukturprojekte, und ein Großteil des Geldes bleibt überhaupt nicht in China, weil mein ambitioniertes Land im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative riesige Beträge in Entwicklungshilfe für arme asiatische und afrikanische Staaten steckt. Dorthin gehen die Gelder des Wirtschaftsbooms - und dann noch in die Aufrechterhaltung der Ordnung in China. Um im Innern für Ruhe zu sorgen, geben wir mehr finanzielle Mittel aus als für die Armee, den Kampf gegen äußere Feinde." Über ihre eigene Schriftstellertätigkeit sagt Shen Keyi, was sie 2002 habe schreiben können, sei inzwischen nicht mehr möglich. "Mit dem Machtantritt von Xi Jinping ist es mit der Zensur - besonders seit 2015 - schlimmer geworden und wird weiter schlimmer. Die Schrauben werden angezogen. (…) Jeder Schriftsteller betreibt in einem gewissen Maß Selbstzensur. Während des Schreibens überlegt er, was er noch schreiben kann und was nicht. Ich will aber bei meinem Schreiben nichts aussparen. (…) Ich entscheide mich schon im Voraus dafür, dass ich das konkrete Buch nicht in China veröffentlichen werde, sondern in Taiwan oder Hongkong."

Magazinrundschau vom 26.02.2019 - Ceska pozice

"How Democracy Ends" - so heißt die aktuelle Publikation des britischen Historikers und Philosophen David Runciman. Darin erkennt er einen schleichenden Schwundprozess des alternden Demokratiesystems. Im Gespräch mit ihm fragt Přemysl Houda besorgt nach Alternativen. Das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen, müsse nicht unbedingt der Faschismus sein, so Runciman. Denn trotz der häufigen Vergleiche mit der Weimarer Republik und den Dreißigerjahren sei doch der gesellschaftliche Kontext heute ein völlig anderer. Die Menschen seien wesentlich reicher, im Altersdurchschnitt älter und weit technologischer als damals. "Womöglich entstehen Flickwerke aus scheinbar unhomogenen Elementen. Ein wenig Demokratie hier, etwas Technokratie dort … Einige Elemente der Demokratie können sich verstärken, andere allmählich schwinden und in Vergessenheit geraten." (…) "Falls die Demokratie zugrunde geht, dann nicht, weil es ein anderes und bessere Ideensystem geben würden - zumindest bisher nicht. Der größte Rivale der Demokratie ist heute China, aber welche große Idee verbirgt sich dahinter? Keine, würden viele sagen, allenfalls chinesischer Nationalismus. Aber dieser Idee werden wir wohl eher nicht folgen." Auch der amerikanische Präsident Trump wird laut Runciman die Demokratie nicht abschaffen. "Trump bedroht die Demokratie nicht, denn - so seltsam es auch klingen mag, wenn wir uns all seine Dummheiten anhören -, er ist nicht ihr Feind. Er spricht sich für kein anderes Ideensystem aus. Er ist nichts anderes als eine der späten Blüten der Demokratie - er ist ein Anzeichen ihres Alterns." Runciman ist sich sicher, dass Trump bald abgewählt sein wird. "Trump ist nicht Orbán. Im Unterschied zu ihm schafft er es nicht, den institutionellen Rahmen der USA umzubilden, der unglaublich stark ist, viel stärker als die osteuropäischen Systeme. Und er schafft es nicht, die Medien zu beherrschen." Vorstellbar ist für ihn allerdings auch das Szenario, dass Trump die Wahlen nur sehr knapp verliert und das Ergebnis dann nicht anerkennt. Und was das für Folgen haben könnte, bereitet dem Historiker durchaus Sorgen.

Magazinrundschau vom 22.01.2019 - Ceska pozice

Anlässlich einer Ausstellung über den tschechischen Philosophen Jan Patočka vermisst der christdemokratische Politiker Petr Pithart intellektuelle Stimmen wie die von Patočka damals. Gelehrte, Wissenschaftler, vor allem Philosophen und Historiker würden sich, mit wenigen Ausnahmen, alle zurückhalten. Man höre keine sokratischen Warnungen, obwohl es genug zu warnen gebe. "Mit Unbehagen nehme ich den relativ neuen Begriff des 'öffentlichen Intellektuellen' wahr. Ich dachte, ein Intellektueller sei immer der, der die Öffentlichkeit anspricht, einer, dem die Vergewaltigung der Wahrheit und Pervertierung der Moral nicht gleichgültig ist. Er kann sich bei seiner Ansprache auch täuschen - aber er kann nicht schweigen. Das neu hinzugefügte Adjektiv entwertet ihn meiner Meinung nach, es klingt nach jemandem, der sich, statt sich ernsthafter Arbeit zu widmen, zum öffentlichen Gebrauch andient, ja aufdrängt."

Magazinrundschau vom 09.10.2018 - Ceska pozice

Ein interessantes Gespräch über die Unzuverlässigkeit und Manipulierbarkeit des menschlichen Gedächtnisses führt Přemysl Houda mit der amerikanischen Psychologieprofessorin Elizabeth Loftus, die bei der Beobachtung von Kriminalfällen etwa die Frage interessierte, wie ein Gewaltopfer im Laufe eines Gerichtsprozesses von der anfänglich vagen Aussage "dieser Verdächtige ähnelt dem Täter am ehesten" zu dem Satz: "Ich bin absolut sicher, dass es dieser Mann war" gelangen kann. Anhand verschiedener Experimente konnte sie feststellen, wie schnell wir bereit sind, (unbewusst) unsere Erinnerung zu verändern, und verweist etwa auf den Versuch, "bei dem wir den Teilnehmern die gefilmte Aufnahme eines Autounfalls zeigten. Hinter baten wir einige von ihnen abzuschätzen, wie schnell die Autos fuhren, als sie ineinanderkrachten (smashed). Anderen Teilnehmer stellten wir dieselbe Frage, die wir nur anders formulierten, indem wir mit weniger drastischen Worten fragten, wie schnell die Auto fuhren, als sie zusammenstießen (hit). Die erste Gruppe schätzte nicht nur eine weit höhere Geschwindigkeit ein, sie neigte auch dazu zu glauben, dass bei dem Unfall Glas zersplittert war - was nicht der Fall war. Anders gesagt bilden zwei Arten von Informationen die Erinnerung - erstens unsere Wahrnehmung der genannten Begebenheit, zweitens externe Informationen. Beide Arten vermischen sich dabei in der Regel so, dass wir sie nicht mehr voneinander trennen können."

Magazinrundschau vom 24.07.2018 - Ceska pozice

Rudolf Němec, Zamyšlená, 1985
Radan Wagner empfiehlt wärmstens eine Ausstellung im Prager Museum Kampa des tschechischen Künstlers Rudolf Němec (1936-2015), der hierzulande noch zu entdecken ist. In den fünfziger Jahren Vertreter einer Variante der Neuen Figuration, entwickelte er früh die Technik, mit Farbe bemalte menschliche Körper auf der Leinwand abzudrucken, war in den Sechzigern von der Pop-Art beeinflusst und gehörte in der repressiven Atmosphäre der Siebziger notgedrungen zum künstlerischen Underground. Auch Schablone und Farbspray, heute die Ausstattung jedes Streetart-Künstlers, gehörten zu seinem Handwerkszeug. Radan Wagner staunt angesichts der Ausstellung darüber, dass trotz der starken Verweise auf die 60er und 70er die Werke nichts von ihrer Wirkkraft verloren hätten, da sie zeitlos gültige Themen des Menschen wie die Suche nach der Identität, die Flüchtigkeit des Glücks und existenzielle Beklemmung zum Ausdruck brächten.

Magazinrundschau vom 03.07.2018 - Ceska pozice

Der von der Kritik hochgelobte slowenische Schriftsteller Drago Jančar bekennt sich im Gespräch mit Přemysl Houda zu einer gewissen "Jugonostalgie", einer kulturellen Sehnsucht nach dem bunten, multiethnischen Jugoslawien, das es heute nicht mehr gebe. Aus diesen früheren Zeiten habe er noch Freunde etwa in Bosnien oder in Belgrad. Obwohl er sich in keiner Weise nach der damaligen Diktatur zurücksehnt, sagt er, erinnere sich mit etwas Wehmut auch an "die zwischenmenschliche Solidarität angesichts des unterdrückenden politischen Systems, das uns umgab", an die politischen Witze, über die man gemeinsam lachte. Überraschenderweise würden auch die jüngeren Leute, die Jugoslawien kaum noch erlebt hätten, diese Nostalgie verspüren. "Nach dem - im Falle Sloweniens zehntägigen - Krieg herrschte bei uns Anfang der 90er-Jahre ein undurchdringliches intellektuelles Schweigen über die ehemaligen 'Mitnationen', doch nach einiger Zeit wurde es durchbrochen und die jungen Slowenier entdeckten, dass sie mit ihren Altersgenossen aus Serbien oder Makedonien viel gemeinsam haben, und der balkanische 'Süden' begann, sie mehr anzuziehen als die kalte und langweilige mitteleuropäische Alpenlandschaft, die sie umgibt."