Magazinrundschau - Archiv

al-Sharq al-Awsat

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Magazinrundschau vom 06.11.2007 - al-Sharq al-Awsat

Burhan Ghalioun, ein syrischer Soziologe, der seit drei Jahrzehnten in Paris lebt, beschwört im Gespräch die Notwendigkeit politischer und kultureller Reformen in den arabischen Ländern (siehe auch hier). Ein Hindernis für den gesellschaftlichen Wandel sieht er in dem weitverbreiteten Denken, Opfer einer Verschwörung zu sein. "Der Begriff der Verschwörung ist nicht völlig falsch. Das Problem ist nur, dass er uns zu einem ewigen Opfer macht. Er verhindert, dass wir uns darüber Gedanken machen, was wir tun könnten, um nicht Opfer zu werden, um Möglichkeiten zu entwickeln, unserer Lage Herr zu werden, um effektive und rationale Strategien zu entwickeln, um unsere nationalen und sozialen Interessen zu verwirklichen. Kurz: Das Problem mit der Verschwörungstheorie ist, dass sie einen selbstverantwortlichen Blick verhindert, dass sie es uns einfach macht, vor der Verantwortung zu fliehen. Die Verschwörungstheorie ist unser Feind."

Magazinrundschau vom 18.09.2007 - al-Sharq al-Awsat

"Und schließlich wurde die Fatah zu einer islamischen Bewegung" - so lautet der lapidare Titel eines Berichts aus Gaza und Ramallah. Osama Alaysa schildert die dramatischen Veränderungen, die sich in der jüngeren Vergangenheit in der palästinensischen Gesellschaft abzeichneten. Sowohl die Hamas als auch die Fatah setzen auf massive Repressionen des politischen Gegners. Zeitungen, Forschungseinrichtungen und Kulturzentren, die dem anderen Lager zugeschrieben werden, werde oft kurzfristig jede weitere Arbeit untersagt. In diesem Konflikt bezieht sich die Fatah immer öfter auch auf die Religion als Argument gegen die Hamas, die als Handlanger des Iran dargestellt wird: "Das deutlichste Zeichen für das Aufweichen der säkularen Identität der Fatah und ihrer linken Bündnispartner könnte der Slogan sein, den ihre Anhänger während der Protestveranstaltungen gegen die Hamas rufen: 'Schia, Schia!' (?) Bei vergangenen Gelegenheiten, als der Konflikt zwischen Hamas und Fatah noch in den Anfängen steckte und noch nicht militärisch ausgetragen wurde, sind Führer der Fatah wie Mahmud Abbas eingeschritten, um die Menge aufzufordern, mit dem Rufen dieser Slogans aufzuhören. Die Menge hat nicht darauf gehört. Mittlerweile gibt es niemand mehr, der sie auffordert, diesen spalterischen Slogan zu unterlassen."
Stichwörter: Abbas, Mahmud, Hamas, Repression, Fatah

Magazinrundschau vom 21.08.2007 - al-Sharq al-Awsat

In einem Interview blickt der syrische Philosoph Sadiq Jalal al-Azm auf die arabische Niederlage im Sechs-Tage-Krieg gegen Israel 1967 zurück und umreißt die Lehren, die daraus zu ziehen sein sollten. Al-Azms Buch "Selbstkritik nach der Niederlage" gilt als Meilenstein der arabischen politischen Literatur. "Wir leiden noch immer an den Folgen der Niederlage. Bis heute lässt sich eine wirkliche und ernsthafte Auseinandersetzung mit den tiefliegenden Ursachen der Niederlage nicht beobachten. Nötig wäre eine Reform der sozialen Strukturen, der Bildungs- und Erziehungsstrukturen. Das wäre notwendig, und nicht die Reform des Militärs." Die Förderung eines selbstkritisches Blicks auf die eigene Gesellschaft ließe sich nicht zuletzt durch eine Stärkung der akademischen Forschung erreichen. Al-Azm nennt hier als Beispiel das israelische Weizmann-Institut.

Magazinrundschau vom 14.08.2007 - al-Sharq al-Awsat

Muhammad Ali Salih erinnert an eine Rede von Laura Bush, die sie einen Monat nach Beginn des Anti-Terror-Krieges in Afghanistan gehalten hat. "Der Krieg gegen den Terror ist auch ein Krieg gegen die Unterdrückung der Frau", hatte sie erklärt. Für Ali Salih ist dieser Krieg gescheitert. Er nimmt dies zum Anlass, um auf zwei Einwände hinzuweisen, welche von der amerikanisch-palästinensischen Soziologie-Professorin Laila Abu-Lughod gegen Laura Bush in Stellung gebracht wurden: "Erstens haben die westlichen Länder viele islamische Länder über lange Zeit kolonialisiert und wären in dieser Zeit in der Lage gewesen, selbst etwas für die "Entwicklung' der Frauen (zum Beispiel durch die Eröffnung von Mädchenschulen) zu tun. Der Westen trägt daher ein Stück der Verantwortung für die 'Rückschrittlichkeit' der Frau in den islamischen Ländern. Zweitens wäre es den Amerikanern möglich gewesen, statt einer 'militärischen Lösung' eine 'menschliche Lösung' zu wählen. Sie wären in der Lage, den muslimischen Frauen Bildung und Gesundheitsversorgung zu verschaffen. Sie wären in der Lage, die Tyrannei der Herrschenden zu brechen, nicht nur jene über die muslimischen Frauen, sondern auch über die muslimischen Männer."

Magazinrundschau vom 24.07.2007 - al-Sharq al-Awsat

Ein langer Artikel widmet sich einem neuen Trend unter libanesischen Sängerinnen: In ihren Videoclips zeigen sie sich immer öfter an der Seite von Kindern mit dunkler Hautfarbe. Angesichts der Diskriminierungen von Schwarzen in vielen arabischen Ländern ist dies eine Überraschung: "Handelt es sich hierbei um ein plötzliches arabisches Erwachen, was die Rechte der schwarzen Minderheiten angeht, die seit Jahrhunderten in den arabischen Gesellschaften leben, und die in unseren Medien außer in wenigen Ausnahmen nicht auftauchen? Oder handelt es sich dabei nur um eine blinde Nachahmung einer Mode aus der westlichen - oder genauer: der amerikanischen Kunstproduktion, in denen mit Schwarzen nicht gegeizt wird und die manchmal sogar die Rolle des Stars bekommen?" Eine Antwort bleibt der Artikel schuldig. Sollten aber tatsächlich nach schwarzen Kindern in Zukunft auch schwarze Erwachsene in arabischen Medien ihren Platz finden, " wäre dies eine gute Frucht des westlichen Satellitenfernsehens und der Globalisierung."

Weiteres: Erneut widmet sich ein Beitrag der Geschichte der irakischen Juden. In einer ausführlichen Besprechung behandelt Kathim al-Wasati den Roman "Farida" des kanadisch-irakisch-jüdischen Autors Naim Kattan. Der Roman, der jüngst auch auf Deutsch erschien, spielt in den 30er und 40er Jahren und beschreibt unter anderem die sich verschärfende nationalistische Agitation gegen die Juden.

Magazinrundschau vom 17.07.2007 - al-Sharq al-Awsat

Anisa Mukhaldi berichtet über die zunehmende Nutzung arabischsprachiger Satellitensender unter Immigranten in Frankreich - "eine natürliche Folge der kulturellen und sozialen Isolation, in der sie leben", wie es ein befragter Soziologe formuliert. "Sie wurden in den Vororten der Städte und in ärmlichen Gegenden angesiedelt, in denen alles fehlt, was das Erreichen von Wohlstand erst ermöglichen könnte. Kinos, Museen, Bibliotheken und Opern gibt es in der Regel nur in den Stadtzentren. Diese räumliche Isolation hält sie auf Distanz zum intellektuellen und kulturellen Leben. Wenn sich die Immigranten zu den arabischen Satellitensendern flüchten, dann fliehen sie auch vor den negativen Bildern, die die französischen Medien von ihnen vermitteln. Hier spricht man von ihnen nur in Stereotypen und abgenutzten Klischees: Terror, Revolten, Gewalt, Gesetzesbrüche." (Für Deutschland kam eine WDR-Studie jüngst zu einem optimistischeren Befund. Von einem "Medienghetto" kann danach keine Rede sein.)

Begeistert bespricht Muhammad al-Mazdiwi das Buch "Walter Benjamin. Le chiffonnier, l'ange et le petit bossu" von Jean-Michel Palmier. Das Buch ist für ihn Grund genug, an den großen Einfluss Benjamins unter progressiven arabischen Intellektuellen während der 70er und 80er Jahre zu erinnern. Er schließt mit der Hoffnung, es möge einst jemand ein Buch über einen "arabischen Walter Benjamin" verfassen.

Magazinrundschau vom 10.07.2007 - al-Sharq al-Awsat

In einem interessanten Interview mit dem israelischen Schriftsteller Sami Michael geht es um das Schicksal der irakischen Juden, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Irak geflohen sind. Michael selbst emigrierte aus Bagdad zunächst nach Teheran und dann 1949 weiter nach Israel. "Das ist das Paradoxe: Ich habe die Heimat meiner Kinder angenommen, im Unterschied zu dem, was normalerweise der Fall ist, wenn die Kinder die Heimat des Vaters annehmen. Das gleiche geschah mit vielen Palästinensern, sie können nicht mehr in ihrer ersten Heimat leben, hören aber nicht auf, davon zu erzählen. Sie wird ein Teil der Vergangenheit. Dennoch bewegt mich das, was im Irak geschieht, wie jeden anderen Iraker auch. Ich verfolge die Nachrichten aus den irakischen Städten mehr als aus jedem anderen Land der Welt, auch als jene aus Israel. Bis heute sehe ich die irakischen Orte in meinen Träumen, meine Träume sind irakisch und spielen nur im Irak - obwohl ich den Irak vor sechzig Jahren verlassen habe. Die Wörter meiner Träume sind jene der Straßen Bagdads, seiner Geschäfte, seiner Dattelpalmen, seines Flusses und seiner Brücken, unseres alten Hauses und meiner alten Freunde."

(Auch die arabische Website elaph interessiert sich seit einigen Monaten intensiv für dieses Thema. Hier schreibt der israelische Historiker Shmuel Moreh, der wie Michael aus dem Irak stammt, in einer Serie über die Geschichte der irakischen Juden.)
Stichwörter: Irak, Michael, Sami

Magazinrundschau vom 19.06.2007 - al-Sharq al-Awsat

Ein Gespräch mit al-Sayed Yassin, einem ägyptischen Journalisten und langjährigen Mitarbeiter des Ahram Center for Political and Strategic Studies in Kairo, gibt einen spannenden Einblick in die Biografien der Nachkriegsgeneration der ägyptischen Intellektuellen. Wie viele andere renommierte Persönlichkeiten stand auch Yassin, der sich heute als unabhängiger Denker beschreibt, einst den islamistischen Muslimbrüdern nahe. 1950, Yassin war Student in Alexandria, trat er der Bewegung bei und blieb vier Jahre lang Mitglied: "Die Lösung des sozialen Problems schien mir damals besonders schwierig, die Kluft zwischen Reichen und Armen wurde von Tag zu Tag größer und die Klassenunterschiede verschärften sich in einer Weise, dass die Gesellschaft in zwei von einander getrennte Welten geschieden war, als ob der eine Teil mit dem anderen unverbunden sei. Ich interessierte mich daher für das Geheimnis dieser Klassenunterschiede, für das Geheimnis des schamlosen Reichtums der einen und der Armut der anderen. Dieser Einstieg in die Suche nach dem Geheimnis oder dem Grund der sozialen Ungerechtigkeit war es, was mich dazu bewog, den Muslimbrüdern beizutreten. Gleichzeitig war diese Suche (nach einer Lösung) auch der Grund dafür, warum ich mich schließlich wieder von ihnen trennte." Die religiöse Verpflichtung zur Zahlung von Almosen an Bedürftige, wie sie von den Muslimbrüdern als Lösung ausgegeben wurde, erschien Yassin immer weniger überzeugend: "Almosen und wohltätige Aktivitäten können die Leistungen des Staates ergänzen, sind aber kein Ersatz."

Magazinrundschau vom 05.06.2007 - al-Sharq al-Awsat

Ähnlich wie in Deutschland zeigte man sich auch in der Türkei verärgert über den Ausgang des jüngsten Eurovision Song Contest in Helsinki. Samir Saliha berichtet über die türkische Kritik: "Viele Staaten folgten bei ihrer Stimmenvergabe leider immer wieder engstirnigen Überlegungen, die dem Geist des Wettbewerbs und dessen eigentlicher Intention - nämlich die europäischen Staaten einander kulturell, medial und künstlerisch näherzubringen - zuwiderlaufen. Als Beleg verweist so mancher Türke darauf, dass Ankara den größten Teil seiner Punkte über lange Jahre ohne Zögern und ohne Hintergedanken an Griechenland, Griechisch-Zypern, an Armenien und an Israel gegeben habe - während diese Staaten mit ihrer Erwiderung und Wertschätzung sehr geizten. Im vergangenen Jahr gab die Türkei Armenien 10 Punkte, in diesem Jahr sogar 12, von armenischer Seite aber kam gar nichts. Und dies obwohl der türkische Wettbewerber ein professioneller Künstler ist, dem die Zuhörer und die europäische Öffentlichkeit Bewunderung entgegenbrachten und der mit 163 auf den vierten Platz kam."

In einem Interview beschreibt der in Frankreich lebende tunesische Schriftsteller Abdelwahab Meddeb sein Verhältnis zu den französischen Intellektuellen Alain Finkelkraut und Bernard-Henri Levy. Obwohl er deren Kritik am Islamismus voll und ganz teile, möchte er doch an einem festhalten: "Ein anderer Islam ist möglich."

Magazinrundschau vom 29.05.2007 - al-Sharq al-Awsat

In einen Interview über die Perspektiven eines Dialoges der Zivilisationen kritisiert der in Frankreich lebende algerische Philosoph Muhammad Arkoun das Geschichtsverständnis in der arabischen Welt. Die Araber, so Arkoun, streben seit Nasser "nach der 'einen arabischen Nation'. Dieses Streben verkennt, dass zum Beispiel Algeriens Geschichte sich anders entwickelt hat als die Marokkos - auch wenn Nordafrika eine geografische Region ist. Das ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Punkt, der dieser Illusion eigen ist: Wir sehnen uns nach Dingen, deren unterschiedliche Ebenen wir nicht wahrnehmen, deren unterschiedliche historische und soziologische Facetten wir ignorieren. Alle diese Ländern haben Arabisch als offizielle Sprache angenommen, und die arabische Sprache spielt eine wichtige Rolle bei der Kommunikation zwischen den Ländern. Dass heißt aber nicht, dass es sich bei der Geschichte, mit der wir als Gesellschaft verbunden sind, um nur eine einzige Geschichte handelt."

Außerdem: Angesichts Nicolas Sarkozys Ankündigung, die 1968er hinter sich lassen zu wollen, erinnert Muhammad al-Mazdiwi daran, dass es erst die Veränderungen von 1968 waren, welche die Wahl eines ungarischen Immigrantenkindes in das französische Präsidentenamt möglich machten.