Magazinrundschau

Der Teufel wartet immer

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
24.02.2015. Die NYRB denkt darüber nach, wie sich in Frankreich die republikanische Idee auch gegenüber strenggläubigen Muslimen durchsetzen lässt. Atlantic möchte lieber die Salafisten stärken, bevor ihre Anhänger zum IS überlaufen. In Telerama plädiert der Rapper Abd Al Malik dafür, verstärkt den Spiritualismus des Islam lehren. In Italien ist es auch nicht leicht, den Säkularismus durchzusetzen, erzählt MicroMega. National Geographic appelliert, unser rationales Hirn wenigstens beim Impfen einzusetzen. Das Internet ist nicht nur gut für Sex-Addicts, sondern auch für Asexuelle, lernt Wired.

New York Review of Books (USA), 05.03.2015

Im ersten Teil eines großen Reports über Frankreich beschreibt Mark Lilla die Schulen als den zentralen Ort, an dem das Land seine republikanische Idee verteidigen muss. Unter Berufung auf den Obin-Bericht von 2004 und die Bücher von Gilles Kepel verweist Lilla auf die zahlreichen Schikanen, denen Juden, Mädchen und moderate Muslime an den Schulen von Seiten fundamentalistischer Sittenwächter ausgesetzt sind: "Wir können nicht wissen, wie verbreitet diese Phänomene sind, obwohl seit den Massakern viele Lehrer aus den quartiers ihr Herz in den Zeitungen ausgeschüttet haben. Die reflexhafte Antwort vieler Journalisten und Wissenschaftler auf die Berichte - dass sie überhaupt nicht repräsentativ seien, dass sie stigmatisierten, dass sie dem Front National in die Hände spielten - sind einfach unangemessen. Der Obin-Report wirft die grundsätzliche Frage auf, ob das französische Schulsystem eine schlüssige Antwort auf solche Zwischenfälle hat. Die Inspektoren bemerken in ihrem Bericht, dass die Schulverwaltung die Lage oft herunterspielt und wenig tut, um Lehrern zu helfen, die solche Zwischenfälle melden, obwohl sie auch selbst keine Richtlinien von oben bekommt. Das meinte Najat Vallaud-Belkacem, als sie die Neigung kritisierte, "keine Wellen zu schlagen"."

Norwegen weiß seit Anders Breivik, dass es nur einen Extremisten braucht, um ein entsetzliches Massaker anzurichten. Und doch kann Hugh Eakin trotz kleinerer Spannungen kaum Anzeichen für eine ernsthafte Gefährdung des sozialen Frieden im Land ausmachen: "Während meines einmonatigen Aufenthalts in Norwegen, fand ich es oft schwer, die Geschichten über Rechtsextremisten oder Islamisten in Einklang zu bringen mit der angenehmen Umgebung und den außergewöhnlich sprachgewandten Menschen. Ich besichtigte eine Grundschule in Oslo, die zu 60 Prozent aus Migranten und 40 Prozent aus ethnischen Norwegern bestand, und sie schien genauso gut, wenn nicht besser integriert als jede Schule in einer größeren amerikanischen Stadt."

Nepszabadsag (Ungarn), 21.02.2015

In wenigen Wochen werden in Ungarn zahlreiche neue öffentlich-rechtliche Fernsehkanäle auf Sendung gehen. Medien- und Meinungsvielfalt werden dadurch zusätzlich gefährdet, was nach Ansicht von Judit N. Kósa ganz im Sinne der politischen Machthaber steht: "Auf unserem jetzigen Weg werden wir vergeblich auf das massenhafte Auftreten des informationshungrigen, kritischen und verantwortungsbewussten Staatsbürgers warten, der eine fundierte Meinung artikulieren kann. Dazu bedürfte es Informationen und einer Reihe von Fähig- und Fertigkeiten wie einer sicheren Lesepraxis, der bewussten Beschaffung von Informationen, einer geübten Debattenkultur. All das vermitteln zeitgemäße Schulsysteme ab dem Kindesalter, wenn auch zur Lasten des lexikalischen Wissens. Nicht zufällig trichtert die gegenwärtige Bildungspolitik das Gegenteil ein. (...) So soll eine neue Generation aufwachsen, die sich in der Welt kaum orientieren kann, unfähig, sich selbst eine Meinung zu bilden, die leider nicht wirklich lesen kann, dafür aber auch nicht lesen will. (...) Für sie entstehen jetzt der neue öffentlich-rechtliche Nachrichtensender und die öffentlich-rechtlichen Musik- und Sportsender. Zur Erholung steht der öffentlich-rechtliche Filmkanal zur Verfügung, und der nostalgische Retrokanal, der sie in eine unbekannte, dafür gründlich verfälschte Welt führt."
Archiv: Nepszabadsag

The Atlantic (USA), 01.03.2015

Oft wird behauptet, der Islamische Staat sei nicht islamisch. Aber das ist nicht richtig, so bequem es auch sein mag, dies zu glauben, schreibt Graeme Wood nach Gesprächen mit verschiedenen IS-Anhängern im Westen in einem sehr langen Artikel. Eroberungskrieg, Mord, Sklaverei, Amputation von Gliedmaßen - all das ist erlaubt unter den Bedingungen des Kalifats. So stehe es schwarz auf weiß geschrieben und lasse sich nicht wegdiskutieren. Was also tun? Graeme, der sich sehr gründlich in die Argumentation des IS vertieft hat, sieht zwei Ansätze: Ohne das Kalifat sind die oben beschriebenen Gräuel nicht erlaubt. Das Kalifat setzt aber ein festes Territorium voraus. Hier kann man ansetzen. Und intern, im Westen? Müsste man den Salafismus als Antidot betrachten, meint Wood. Denn die Salafisten nehmen die Koran so wörtlich wie der IS. Nur in einem Punkt liegen sie auseinander: den Einsatz von Gewalt, der nur unter den allergrößten Ungerechtigkeiten gerechtfertigt ist - Kalifat hin oder her. "Die Menschen, die an einem Punkt angelangt sind, an dem sie für ihren Glauben kämpfen wollen, können nicht alle vom Dschihadismus abgehalten werden. Aber die, deren Hauptmotiv darin liegt, eine ultrakonservative, unkompromittierte Version des Islam zu finden, haben hier eine Alternative. Es ist kein moderater Islam. Die meisten Muslime werden ihn als extrem bezeichnen. Es ist aber eine Form des Islam, die die Buchstabengläubigen nicht sofort heuchlerisch oder blasphemisch finden werden."
Archiv: The Atlantic

Telerama (Frankreich), 23.02.2015

Der Islam werde verkannt, sowohl von den Muslimen selbst als auch von anderen, erklärt der französische Rapper, Autor und Filmemacher Abd Al Malik im Gespräch mit Juliette Bénabent und Fabienne Pascaud. Malik hat einen Monat nach den Pariser Attentaten jetzt eine "Bittschrift" mit dem Titel "Place de la République, pour une spiritualité laïque" vorgelegt, die im gleichen Verlag wie einst Stephane Hessels "Indignez-vous" erschien. Der Islam dürfe nicht länger Quelle von Missverständnissen sein und die Republik solle sich um alle ihre Kinder kümmern. Sein Plädoyer: "Wir brauchen Pädagogik, Sendungen, die entschlüsseln und bilden statt Konflikte zu schüren. An öffentlichen Schulen sollten alle Religionen unterrichtet und in die französische Alltagskultur integriert werden. Warum nicht die Texte der großen Persönlichkeiten des Islam lesen? … Den Islam als Spiritualität neu zu würdigen, ist das beste Mittel, um den Fundamentalismus zu bekämpfen."
Archiv: Telerama

National Geographic (USA), 01.03.2015

Klimawandel, Impfungen, Evolution - selbst bei eindeutiger Beweislage hat es die Wissenschaft oft schwer, Skeptiker zu überzeugen. Das liegt nicht nur daran, dass wissenschaftliche Fakten häufig komplex oder kontraintuitiv sind, sondern vor allem daran, dass unsere Überzeugungen weniger mit Fakten zu tun haben als mit dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit, erklärt Joel Achenbach: ""Nimm einen Frisör im ländlichen South Carolina", schreibt Dan Kahan von der Universität Yale. "Ist es für ihn ratsam, seine Kunden zu bitten, dass sie einen Aufruf an den Congress unterschreiben, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen? Nein. Wenn er das tut, ist er bald so arbeitslos wie sein früherer Kongressabgeordneter Bob Inglis, der genau dazu aufgerufen hatte." Die Wissenschaft appeliert an unser rationales Gehirn, aber unsere Überzeugungen sind überwiegend von Gefühlen motiviert, und die größte Motivation besteht darin, mit Unseresgleichen übereinzustimmen."

Times Literary Supplement (UK), 20.02.2015

Der Autor Marc Spitz tritt mit seinem Buch "Twee" an, die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts neu zu schreiben, annonciert Anna Katharina Schaffner. Doch während etwa Greil Marcus mit seinen "Lipstick Traces" die Linie von Dada zu Punk zog, führt bei Spitz die Spur von Walt Disney über Dr. Seuss und Holly Golightly zu den Filmen Wes Andersons! Schaffner will bei dieser Revolution der Freundlichkeit nicht mitmachen: "Spitz behauptet, dass "Twee" im Gegensatz zu einer hässlichen und gewalttätigen Welt optimistisch und idealistisch sei und im Grunde von freundlichem Naturell. Charlie Brown wurde zu einer Art existenzieller Held in einem Zeitalter des Schreckens und der Verlorenheit: mit gebrochenem Herzen, aber voller Hoffnung. Er trete "einer kalten Welt mit Idealismus" entgegen. Doch man weiß eigentlich nicht, ob dieser unerschütterliche Idealismus naiv oder ironisch gemeint ist. Ist er regressiv oder progressiv? Ist das Wesen von "Twee" tragikomisch, romantisch oder nur eskapistisch?" Vielleicht ist es auch nur politische Erschöpfung: "Zu lustlos, um gegen die kapitalistische Maschinerie zu kämpfen, schafft "Twee" eine hyperstilisierte Gegenwelt, in der Kätzchen spielen, Ukuleles erklingen und Kindheit ewig währt. Ihre Grundstimmung ist eher Melancholie als Wut, und sie würden lieber die Eulen-Tapete nehmen, statt den Mistkerlen in den Hintern zu treten."

Wired (USA), 17.02.2015

Die neue Ausgabe von Wired widmet sich dem Thema Sex im digitalen Zeitalter. Und dieser ist auch einigen Begriffs- und Identitätsbildungen unterworfen, wie wir in Kat McGowans Reportage über halb- und asexuelle Menschen erfahren, die sexfreie Beziehungen oder solche, in denen Sex eine untergeordnete Rolle spielt, suchen. Die Definitionen sind dabei noch reichlich fluide: "Wenn diese Begrifflichkeiten lose oder vielleicht sogar verwirrend wirken, liegt das daran, dass die Begriffe nahezu ausschließlich online geprägt wurden, in den Foren von Videospiele-Websites und einem Nest vernetzter Tumblrs, Blogs und Reddit-Subforen. Sie beschreiben nicht notwendigerweise fixe Identitäten, sondern dienen den Leuten eher als Signalfeuer, um einander im Netz ausfindig zu machen. Während der Rest der Welt das Netz nutzte, um neue, aufregende Perversionen zu erfinden und zu bedienen, nutzten diese Leute es als Schlupfloch aus einer unbarmherzig sexuellen Kultur. Es könnte sich dabei um die einzige Ecke im Netz handeln, die nicht von Pornografie durchsetzt ist."

Zeit, die Scham endlich abzulegen, ruft uns Mat Honan zu: Künftig wird es ohnehin ganz selbstverständlich Nacktfotos von uns allen im Netz geben. Und die Pornoindustrie beobachtet mit zunehmendem Interesse die Möglichkeiten von Virtual-Reality-Systemen wie Oculus Rift, erklärt Peter Rubin: "Die virtuelle Realität ist mehr als nur eine neue technologische Iteration. Sie ändert nicht bloß den Rahmen. Sie löscht sie aus. Sie erlaubt es uns, uns innerhalb der Umgebung zu verhalten. Den NSFW-Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt."
Archiv: Wired

Elet es Irodalom (Ungarn), 24.02.2015

Nach fünfundzwanzig Jahren wird die bedeutende literarische Zeitschrift Holmi eingestellt. Sie war Heimat für mehrere Generationen von ungarischen Dichtern, Schriftstellern und Intellektuellen, so für György Petri, Otto Tolnay, Dezső Tandori, Péter Nádas, György Konrád, Lajos Parti Nagy oder Imre Kertész und viele andere. Auch der Literaturwissenschaftler József Takáts nimmt Abschied: "Vieles ist in diesen fünfundzwanzig Jahren passiert. Das sozialistische System ging unter, so wie die darauffolgende Republik. Bei der Gründung von Holmi lebten wir noch in einer Art literarischen Welt, umgeben von Büchern, Magazinen und Tageszeitungen, heute leben wir in der Kommunikationswelt des Internet. (…) Nicht nur scheint aus der Gegenwart jene Welt, als Straßenbahnen anhielten, wenn ein großes Gedicht erschien, weit entfernt zu sein, sondern auch die Welt, welche sich um die (halb ironischen) Legenden der Hochkultur konstituierte."

Medium (USA), 18.02.2015

In Folge der Pariser Anschläge vom 7. Januar hat die Beliebtheit von Polizisten in der französischen Bevölkerung deutlich zugenommen, berichtet die amerikanische Autorin Mac McClelland, die selbst mit einem französischen Polizisten verheiratet ist. Gleichzeitig ist jedoch auch die Unsicherheit unter Polizisten merklich gewachsen: "In Theos Polizeiwache nahmen jetzt alle ihre Waffen überall hin mit. Zum Mittagessen. Ins hauseigene Fitnessstudio. Auf die Toilette. Nachdem eine offizielle Email herumging, dass französische Geheimdienste in Polizisten ein potenzielles nächstes Anschlagsziel ausgemacht hatten, nahmen manche ihre Waffen mit nach Hause. Theo war einer von ihnen. Er besaß keine eigene Handfeuerwaffe, obwohl er schon lange eine haben wollte. Aber selbst als Polizist musste er mindestens ein Jahr auf der Warteliste für eine Genehmigung stehen."
Archiv: Medium
Stichwörter: Polizei, Frankreich, Toilette

MicroMega (Italien), 16.02.2015

Es ist nicht einfach, in Italien den Säkularismus durchzusetzen, schreibt Michele Sasso von L"Espresso in Micromega, ganz besonders nicht an an Schulen: "Auf den wöchentlichen Religionsunterricht zu verzichten, dürfte eigentlich kein Problem sein und erst recht nicht zu Diskriminierungen führen. Dieses Recht ist in Gesetzen, Gerichtsurteilen, Ministerialerlässen verankert - aber es wird nicht angewandt. In Instituten, die mit den Insignien der Republik geschmückt sind, wird das recht auf den Alternativunterricht häufig verweigert oder eingeschränkt und bringt Schülern und Familien Ärger." (Die Illustration entnehmen wir MicroMega.)
Archiv: MicroMega

Rue89 (Frankreich), 22.02.2015

"Die Technik besitzt Eigenschaften, die wir in der Religion suchen", meint der amerikanische Wissenschafts- und Technikhistoriker George Dyson, der auf die Frage, wann die Maschinen die Oberhand gewinnen werden, gerne antwortet, das hätten sie längst getan. Im Gespräch mit Antoine Viviani erklärt er: "Meine Theorie ist daher folgende: Es kann sein, dass der Teufel immer wartet und dass er die Computer will. Und unsere Aufgabe als Menschen besteht darin, uns davon zu überzeugen, dass die Computer nicht zum Werkzeug des Teufels werden, was, wie wir wissen, möglich ist. Sie können dazu dienen, Wissen für alle bereitzustellen - oder die ganze Welt zu beherrschen. Es ist unsere Aufgabe dazu beizutragen, diese Entscheidung zu treffen."
Archiv: Rue89
Stichwörter: Computer, Dyson, George, Rue89

Respekt (Tschechien), 22.02.2015

Bei der Verleihung der Český-Lev-Filmpreise hat der Film "Cesta ven" (The Way Out) über eine junge Roma-Frau in Tschechien die meisten Auszeichnungen abgeräumt. Kamil Fila verteidigt den Film gegen Vorwürfe, er sei nur wegen des politisch korrekten Themas so gut weggekommen. ""Cesta ven" ist gerade kein tendenziöser Film. Er erschafft keinen primitiven Feind, hetzt niemanden auf, zeigt keine Schwarz-Weiß-Sicht der Welt. Er ermöglicht es uns im Gegenteil, Roma als Menschen, nicht als Dämonen wahrzunehmen, nicht als Zeile in der Boulevardpresse, nicht als Zahl in der Statistik. (…) Hinter der Abneigung gegen den Film steckt nicht nur Ignoranz - am liebsten melden sich ja jene zu Wort, die den Film gar nicht gesehen haben -, sondern vor allem die eigene Angst: So wie die Roma, die sich derzeit am Rande der Gesellschaft befinden, könnten wir auch enden. Und es ist recht wahrscheinlich, dass mehr weiße Tschechen diesen Status erleben werden als Roma. Nur fehlt ihnen noch das letzte Stigma, die andere Hautfarbe."
Archiv: Respekt

Eurozine (Österreich), 20.02.2015

Die Architektin Arna Mackic schreibt sehr lesenswert über den Wiederaufbau der Stadt Mostar, die vor zwanzig Jahren zwischen katholischen Kroaten und muslimischen Bosniern umkämpft war. Sie beschreibt den Zustand der Stadt zwischen Kriegsruinen und neu errichteten Gebäuden mit aufdringlich ethnisch-religiöser Note. Und sie macht einen Vorschlag zu einer gemeinsamen Institution, die das berühmteste Bauwerk der Stadt, die Brücke über die Neretva, mit einbindet. Hier gab es seit eh und je eine Tradition des Turmspringens - junge Männer sprangen von der Brücke in den Fluss, um ihre Bräute zu beeindrucken: "Um eine neue Architektursprache in der "neutralen" Zone zu entwickeln schlage ich eine Schule vor, in der Bürger Schritt für Schritt Turmspringen lernen - mit dem Sprung von der Brücke als letztem Schritt. Diese Aktivität stünde allen Bewohnern offen, unabhängig von Nationalität, Relgion oder Geschlecht. Turmspringen ist eine uralte Tradition, etwas Atavistisches. Es ist vorreligiös. Historiker fragen, ob die Turmspringer in vorchristlichen Darstellungen überhaupt schwimmen konnten. vielleicht wurde das Springen sogar vor dem Schwimmen erfunden."

Der Artikel ist Teil eines ganzen Dossiers über "New urban topologies", in dem unter anderem Rania Sassine über Beirut schreibt.

Dass Britannien das Asyl für die Unterdrückten dieser Welt sei, ist ein frommer Mythos, den sich Britanien selbst erzählt und den schon der politische Flüchtling Karl Marx einst widerlegte, schreibt Imogen Tyler: "Wie Marx zeigt, lebten zwar 2.000 wohlhabende und Mittelschichtflüchtlinge (wie er) relativ frei in London und genossen nicht nur die Duldung der britischen Regierung, sondern wurden als Beweis für den britischen Liberalismus vorgeführt. Aber die große Mehrheit der Mirgranten wurde mit Misstrauen beäugt und vom Industriekapital skrupellos ausgebeutet. Migranten aus Irland waren die am meisten verachtete, kriminalisierte und stigmatisierte Gruppe in dieser Zeit."
Archiv: Eurozine

Magyar Narancs (Ungarn), 24.02.2015

Der Literaturwissenschaftler Ernő Kulcsár-Szabó, Herausgeber einer ungarischen Literaturgeschichte und seit neun Jahren Direktor des Instituts für Literatur- und Kulturwissenschaften der Budapester Universität ELTE, spricht im Interview mit Péter Urfi über den Zustand der Geisteswissenschaften in Ungarn: "Nur jenes Land wird große Wissenschaft hervorbringen, das auch große Dichtung hat. Wenn wir die edle Aussage verinnerlichen, dass wir nur das denken können, was unsere Sprache ermöglicht, dann wird plötzlich erschreckend wichtig, wozu die Literatur eine Sprache befähigt. Die Literatur ist - im Gegensatz zu anderen Ressourcen - eine unerschöpfliche nationale Ressource. Sie kann gedankenschöpfende Sprache zum Wohle aller schaffen: Nur derjenige ist fähig, artikulierte Gedanken zu formulieren, der auf einem hohen Niveau seiner Sprache gerecht wird. (…) Die geisteswissenschaftliche Fakultät ist der einzige Ort, wo der Hörer frei, ohne Konsequenzen seine Wahrheit in die Waagschale werfen kann. Hier fordert der Ausdruck der Meinung einen anderen Einsatz, als im öffentlichen Raum. Dadurch entsteht aber auch das risikobehaftete Denken, nach Gumbrecht die Essenz der Geisteswissenschaften überhaupt."
Archiv: Magyar Narancs

New York Times (USA), 22.02.2015

Das Magazin der New York Times goes global. Zum Beispiel zieht Gary Shteyngart ("ein amerikanisierter Russisch sprechender Romancier") ins New Yorker Four Seasons Hotel und schaut russisches Fernsehen, eine Woche lang. Wird er am Ende Putin mögen? "Wenn du die Putin-Show siehst, dann lebst du in einer Supermacht. Du bist einer der Rebellen in der Ukraine, die den einst so modernen Flughafen von Donezk mit Waffen aus russischer Produktion plattmachen. Du bist die Russisch sprechende Großmutter vor ihrem zerstörten Zuhause in Luhansk, die gegen die faschistischen Nazis wettert, so, wie ihre Mutter vor siebzig Jahren gegen die Deutschen gewettert hat. Du bist der Priester, der den Konvoi russischer humanitärer Hilfe salbt, der Richtung Front fährt. Russischsein, das heißt Leiden und Überleben. Es war einmal und wird immer sein. Das ist die täglich erneuerte Fantasie im russischen Fernsehen, auf Channel 1, Rossiya 1, NTV. Der kommenden Generation werden all diese Nachrichten von 2015 so albern erscheinen wie eine Sowjetdoku über Getreideerträge. Man wird sich fragen, was für einen Blödsinn die Elterngeneration ertragen musste und wie sie trotz allem Menschen bleiben konnten. Ich meinerseits entkomme Russland noch einmal. Ein Druck auf die Fernbedienung genügt."

Außerdem: Matthew Shaer berichtet davon, wie der Amateurjournalismus Hoffnung in Rios Farvelas weckt. Und Susan Dominus schreibt über den Aufwind des Front National in Frankreich nach den Anschlägen von Paris: "Selbst wenn Marine Le Pen nie Präsidentin wird, könnte die Partei doch erfolgreich sein, indem sie rechte Gesinnung zu etablieren hilft und Gewalt gegen alles, was mit ihrem Begriff von Frankreich nicht übereinstimmt, normalisiert."
Archiv: New York Times