Im Kino

Zumeist äußerst eloquent

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Nikolaus Perneczky
15.04.2015. Chris Rock schließt in dem atemlosen New-York-Film "Top Five" gekonnt an seine Stand-Up-Performances an. Reichlich steril wirkt dagegen das Brooklyn in Jaume Collet-Serras Liam-Neeson-Actioner "Run All Night".


Sein Titel durchzieht den Film als Frage: "Who"s your Top Five?" Gemeint ist: Nenne mir Deine fünf Lieblingsrapper. Mit der Geschichte, die der Film erzählt, hat diese Frage, die die Figuren einander immer wieder stellen, vorderhand nichts zu tun: Es geht in "Top Five" um Andre Allen (Chris Rock), einen einst ungemein erfolgreichen Schauspieler und Komiker, der nach einem Alkoholentzug ein Comeback versucht - mit einem diesmal (etwas zu tod-)ernst gemeinten Film über Dutty Boukman, den Anführer eines Sklavenaufstands im Haiti des späten 18. Jahrhunderts. Am Tag der Weltpremiere hetzt Allen durch New York, von einem Termin zum nächsten. Insbesondere bekommt er es mit Chelsea Brown (Rosario Dawson) zu tun, einer jungen, ehrgeizigen Journalistin, die ein Exklusivinterview mit ihm führen möchte und ihn deshalb durch die halbe Stadt verfolgt.

Jedesmal wenn sie ihn stellen kann, schließt sie sich an ihn an, gemeinsam laufen sie dann durch die Straßen New Yorks und unterhalten sich. Überhaupt ist das walk and talk die dominierende Technik des Films. Kaum einmal eine Ruhepause, immer vorwärts, irgendwo anders hin, zur nächsten Begegnung, dem nächsten Gespräch (mit Ex-Frauen, Familienmitgliedern, Agenten, Radiomoderatoren usw). Ob bei den Gesprächen etwas Sinnvolles heraus kommt, ist eine ganz andere Frage. Jeder hat seine Agenda, nach dem Gespräch genauso wie vorher. Man tastet sich lediglich gegenseitig ab auf der Suche nach punktuellen Überschneidungen, zur Formung kurzfristiger Zwecksgemeinschaften. Die Gespräche sind ziellos auch in dem Sinn, dass sie kaum dabei helfen oder auch nur darauf ausgerechnet sind, eine klassische Spielfilmdramaturgie in Gang zu setzen; und sie formen sich doch, alle gemeinsam, zu einem Metaredefluss, der die jeweils aktuellen Gesprächspartner transzendiert und am Ende vielleicht eher monologisch als dialogisch angelegt ist: Der New Yorker Showbiz-Wahnwitz - und durch ihn, das ist die offensichtliche und zumindest teilweise eingelöste Behauptung des Films, die pluralistische US-amerikanische Gesellschaft der Gegenwart - spricht sich selbst, ohne jede Pause und zumeist äußerst eloquent.



Die Frage nach den Lieblingsrappern ist deshalb wichtig für den Film, weil sie einen Fixpunkt in die ansonsten in alle Richtungen offene Kommunikation einführt. Nicht auf den Listeninhalt, aber auf die Kulturtechnik des Listenmachens können sich alle einigen - freilich nur, weil Listenmachen die reine Kontingenz ist. Sobald man sich dann wieder nicht-kontingent auf die Listen beziehen möchte, beginnen die Probleme: "Today, 2Pac would"ve been one of our political leaders," verteidigt jemand seine Nummer eins. Kann sein, ist die Antwort, aber wäre es nicht auch möglich, dass 2Pac heute stattdessen in Tyler Perrys trashigen Melodramen mitspielen würde?

Zunächst ist das Listenmachen ein Sprachspiel. Auch alles andere, was der Film ums Listenmachen herumgruppiert, ist in mancher Hinsicht eher Sprachspiel (zum Beispiel auch: ein Spiel mit sehr unterschiedlichen Sprechweisen) als in sich geschlossene Kinofiktion - tatsächlich hat der Film immer dann Probleme, wenn er das frei flottierende walk and talk in die Bahnen einer allzu schematischen romantischen Komödie umleiten will. Das kristallisiert sich an Chelsea Brown: Solange sie nur als Rocks Sparringpartner auftritt, ist Rosario Dawsons Figur umwerfend, wenn sie zum love interest aufsteigt, verwandelt sie sich in eine reichlich banale Wunscherfüllungsfantasie. Ihre Neurosen sind dann nicht mehr für sich selbst interessant, sondern nur noch insoweit, wie sie Allens natürlich weitaus raffiniertere Neurosen spiegeln.

Als Sprachspiel jedenfalls verweist "Top Five" auf die Herkunft des Regisseurs, Autors und Hauptdarstellers Chris Rock von der Stand-up-Bühne. Tatsächlich funktioniert der Film in mancher Hinsicht eher wie eine Stand-up-Performance als wie klassisches Erzählkino. Das betrifft nicht nur den Hang zur episodischen, sprachspielförmigen Abweichung, sondern vor allem auch den starken Begriff von Subjektivität, der die Abweichungen stets auf ein stabiles Zentrum rückbezieht. "Top Five" ist ein Film, der in der ersten Person spricht und diese Erzählperpektive auch noch weiter qualifiziert: Ich als schwarzer Amerikaner, ich als Mann, ich als Schauspieler und Komödiant, ich als politisch aufgeklärter und intellektuell ambitionierter Citoyen.



Dass dieses innerdiegetische Ich, die Figur Andre Allens, in all diesen Punkten mit Chris Rock, dem uneingeschränkten auteur des Films, übereinstimmt, verweist ebenfalls auf die Nähe des Films zu Techniken und Selbstverständnis der Stand-up-Comedy; einer Form der Bühnenperformance, die dabei natürlich trotzdem keine Beichte im engeren Sinne ist, die Authentizität nicht an sich, sondern als Ausgangspunkt für Sprachspiele interessiert und die sich deshalb stets die Option offen hält, ein einmal dergestalt sozial, ethnisch, geschlechtlich und so weiter durchdefiniertes Ich fiktional auszuschmücken - genau wie Rocks Film tut sie das nicht selten aus eher fadenscheinigen dramaturgischen Gründen.

Nicht zuletzt schauen für Nebenrollen und Cameos eine lange Reihe anderer ehemaliger oder aktueller Stand-up Comedians vorbei: Jerry Seinfeld, Kevin Hart, Adam Sandler, Leslie Jones, Tracy Morgan und so weiter. Gerade die Art, wie Rock in seinem weitgehend filigranen, dabei natürlich trotzdem nicht ganz uneitlen Film bereit ist, das Mic immer wieder abzugeben, für eine halbe oder auch mal ganze Nummer die Mitstreiter glänzen zu lassen, nimmt für seinen Film ein. Und macht ihn zu einer nicht nur klügeren, eleganteren und weltoffeneren, sondern auch humanististischeren Alternative zu Alejandro González Iñárritus "Birdman" - jener anderen großen New-York-Showbiz-Selbstbespiegelung der aktuellen Kinosaison, die in ihrem streberhaft ausgestellten technischen Können und in ihrem weinerlichen, letzten Endes komplett ironieresistenten Begriff von (männlicher) Subjektivität maximal weit entfernt ist von der wendigen, die Paradoxien von Kommunikation immer wieder neu und immer wieder originell in Szene setzenden Reflexivität des Stand-up.

Lukas Foerster

Top Five - USA 2014 - Regie: Chris Rock - Darsteller: Chris Rock, Rosario Dawson, Gabrielle Union, Tracy Morgan, Cedric the Entertainer, Jerry Seinfeld, Adam Sandler - Laufzeit: 102 Minuten.

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Jaume Collet-Serra hat wieder zugeschlagen. Der auf verantwortungsloses Unterhaltungskino spezialisierte Spanier (der Horrorfilm "Orphan" von 2009 ist ein sehr schönes Frühwerk) legt mit "Run All Night" nun bereits den dritten Liam Neeson-Actioner in Serie vor - fast ein eigenes Subgenre des zeitgenössischen Actionfilms, das außer von Collet-Serra noch von anderen Euro-Regisseuren bespielt wird und seinen Anfang, soweit ich es überblicke, in Pierre Morels "Taken" (Drehbuch und Spiritus rector: Luc Besson) haben dürfte.
 
Bei Collet-Serra jagte Neeson erst an der Seite Diane Krugers durch ein frei erfundenes Berlin seiner gestohlenen Identität hinterher ("Unknown"), um dann neben Julianne Moore einen Terroranschlag auf einen transatlantischen Langstreckenflug zu vereiteln ("Non-Stop") - beides solide, aber nicht besonders inspirierte Variationen auf klassische Genretropen. Vor allem in "Unknown" bestand der Spaß nicht zuletzt in den Freiheiten, die der Film sich im Umgang mit seinen Berliner Originalschauplätzen nahm. Mehr schien aus den Launen des location scout zu folgen als aus dem vorgefundenen Stadtraum. Als am Ende dann auch noch das Hotel Adlon Kempinski in die Luft fliegen darf (oder habe ich das geträumt?), war ich doch sehr eingenommen von so viel fröhlichem Leicht- bis Schwachsinn. Ganz wie die transnationalen Koproduktionen, in deren Kontext ein Regisseur wie Collet-Serra arbeitet, so kommt auch die Neeson-Figur stets als Tourist nach Paris, Berlin, Istanbul. Oder er sitzt, wie in "Non-Stop", im Linienflug zwischen den Destinationen fest. Ohne diesen quasi-touristischen Zug ins Abstrakte und Wirklichkeitsenthobene, kommt mir vor, sind die spezifischen Qualitäten (im Guten wie im Schlechten) dieser Sorte Film gar nicht denkbar.



"Run All Night", der dritte Teil von Collet-Serras inoffizieller Neeson-Trilogie, will scheinbar dennoch aufs Gegenteil hinaus. Wir befinden uns in einem an seinen abgehalfterten Texturen sofort wiederkennbaren Brooklyn voller melancholisch alternder Gangster, die darüber klagen, dass ihr alter Hangout heute ein Applebee"s ist. Das organisierte Verbrechen ist selbst nur mehr eine Erinnerung an bessere Zeiten, vor der Übernahme des Familienunternehmens durch Corporate America. Der überall ausgestellte grit und das gut abgehangene Starensemble (neben Neeson sind das Ed Harris, Vincent D"Onofrio, Lois Smith und Nick Nolte) signalisieren Erdung, Authentizität, realweltlich wie filmhistorisch, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde dieselbe beziehungslose Touristenlogik waltet wie in Collet-Serras und Neesons vorherigen Kollaborationen, minus dem Quäntchen Camp, das "Unknown" und "Non-Stop" nicht nur erträglich, sondern im besten Wortsinn unterhaltsam machte.

Es ist gar nicht so einfach, den Finger auf die Wunde zu legen, aber etwas stimmt grundsätzlich nicht mit diesem Film, ungeachtet der großen, fast epischen Ambitionen, die in seiner Genre-DNA angelegt sind. "Run All Night" findet den Anschluss ans Milieu nicht. Sein vorgeblicher Realismus ist reine Politur, nicht Organisationsprinzip. Nichts hält seine müden Genregesten zusammen, am allerwenigsten die sonderbaren CGI-Kameraflüge, deren Funktion es offenkundig wäre, Verbindungen herzustellen zwischen den verschiedenen Schauplätzen. In seiner vorausberechneten, abgezirkelten Beweglichkeit veranschaulicht dieses fliegende Auge doch wieder nur die totale Beziehungslosigkeit seiner Blickpunkte.
 


Die Neeson-Figur - ein verkrachter Ex-Profikiller namens Jimmy, der seinen entfremdeten Sohn vor den Rachegelüsten eines befreundeten Mafiabosses in Schutz nehmen muss, nachdem Jimmy dessen Sohn (selbstverständlich in Notwehr) erschossen hat - trägt den Straßennamen "Gravedigger". Das trifft genau das Verhältnis, in dem "Run All Night" zu den Mean Streets älterer Gangsterfilme steht. Liam Neeson agiert wie eine postmortem-Animation seiner selbst; ohne Anflug von Selbstbewusstsein spult er die Sätze und Mienen ab, die das jeweilige Szenario ihm abverlangt. Anstatt die Puppen in gewohnter Weise tanzen zu lassen, meint Collet-Serra es diesmal bitter ernst: Es gibt kein Entkommen.

Unverhofft befreiend ist eine umgekehrte Autoverfolgungsjagd, wobei Jimmy und Sohn einem Polizeieinsatzwagen auf den Fersen sind. Vor der Polizeisirene öffnet sich das Meer der übrigen Verkehrsteilnehmer, um sich hinter ihr sogleich wieder zu schließen, sodass die zivilen Verfolger nur mit viel Mühe und noch mehr Funkenschlag nachkommen - ein einfacher, aber origineller Einfall mit vielseitigen Anwendungen. Es gibt noch andere derartige Details in "Run All Night". Zur kritischen Errettung dieser durch und durch sterilen Fingerübung reichen sie nicht.

Nikolaus Perneczky

Run All Night - USA 2015 - Regie: Jaume Collet-Serra - Darsteller: Liam Neeson, Ed Harris, Joel Kinnaman, Boyd Holbrook, Vincent D"Onofrio, Lois Smith, Common - Laufzeit: 114 Minuten.
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