Im Kino

Das Geld ist weg

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Jochen Werner
14.03.2013. Judd Apatow ergründet in seinem neuen, in Deutschland unglücklich "Immer Ärger mit 40" betitelten Film die Schwierigkeiten, zwei grundverschiedene Leben miteinander zu synchronisieren. In Bryan Singers "Jack and the Giants" wartet man vergebens auf den Überschlag ins entfesselt Fantastische.


Immer Ärger mit der neuen, vierten Regiearbeit von Judd Apatow gibt es nur in der deutschen Fassung. Der Originaltitel "This Is 40" ist knapper, lakonischer, konzentrierter. Wie der Film selbst. Gut, knapp ist er mit seinen 140 Minuten Spielzeit eher nicht, und man mag ihn sogar stellenweise als ein wenig überlang empfinden. Der Blick aber, den der schon in seinem Debüt "The 40-Year Old Virgin" zu epischen Spielzeiten neigende Apatow auf seine Protagonisten wirft, ist seit "Beim ersten Mal", an den "Immer Ärger mit 40" direkt anknüpft, spürbar durchdringender geworden. Erwachsener, wenn man so will.

Was man von den Protagonisten des Apatow-Universums nicht unbedingt behaupten kann, oder jedenfalls: nicht freiwillig sind sie erwachsen geworden. Interessant ist es, dass die eigentlichen Hauptfiguren von "Knocked Up" betont abwesend sind und das Sequel seinen Blick auf die zuvorigen Nebenfiguren Pete (Paul Rudd) und Debbie (Leslie Mann) richtet. Debbies Schwester Alison (Katherine Heigl) und der ewige Kindmann Ben (Seth Rogen), deren steinigen Weg zwischen Kiffen, Karriere und Kinderkriegen Apatow in "Knocked Up" noch begleitete, hätten durchaus einen Platz im neuen Film finden können, der immer wieder ganz dezidiert auch großfamiliäre Beziehungssysteme in den Blick nimmt, doch die Welt von Pete und Debbie ist eine andere, und auch aus den scheinbar unzerschlagbaren Freundeszirkeln der Apatow-Welt ist hier lediglich Jason Segel übrig geblieben, der wie im ersten Film seinen eigenen Vornamen trägt, zwischenzeitlich jedoch auf mysteriöse Weise vom Stoner zum Fitnesstrainer und Frauenflüsterer avanciert ist.

Das sind, im Gegensatz zur zentralen Rolle der Cliquen als Ersatzfamilien in Apatows früheren Filmen, lediglich kleine Abschweifungen von einer zwar (auf immer wieder sehr lustige Weise) komödiantisch aufbereiteten, aber doch konzentrierten und durchaus tiefgreifenden Beziehungsstudie, die die langsam in Alltagszwängen erstickende Ehe von Paul und Debbie in ihrem scheinbar - und natürlich nur scheinbar, denn schlussendlich ist dies, wie jeder Film Judd Apatows, noch immer eine amerikanische Kinokomödie - unaufhaltsamen, allmählichen Zerfall beobachtet.

Beschleunigt wird dieser durch diverse Nebenkriegsschauplätze, die sich im Versuch, über einen langen Zeitraum den Alltag zweier in vielerlei Hinsicht doch schmerzhaft verschiedener Menschen zu einem gemeinsamen Leben zu synchronisieren, zwangsläufig ergeben. Die Frage, wer wann Sex will (und ob es in Ordnung oder sogar wünschenswert ist, zu diesem Zwecke unabgesprochen Viagra zu konsumieren), bildet zwar den Einstieg in die Filmerzählung, aber ist wie stets bei Apatow nur ein Motiv, anhand dessen viel schwerer wiegende Probleme zugespitzt werden. Ist es wirklich okay, wenn Petes Plattenlabel nur gute, aber nahezu unverkäufliche Alben publiziert statt eine 15jährige Hupfdohle als Teenieidol aufzubauen, um so das Auskommen der Familie zu sichern? Oder, andersherum gefragt: Muss man wirklich unbedingt im eigenen Haus wohnen statt zur Miete, wenn man dafür diesen Preis aus dem Konto der persönlichen Integrität zu zahlen hätte?



Endgültig kompliziert wird es, wenn "Immer Ärger mit 40" diachrone Entwicklungen in den Blick nimmt und mit Petes Vater Larry und Debbies Vater Oliver zwei gescheiterte Vaterfiguren einführt, deren Abwesenheit (in Debbies Fall) oder deren übermäßige Forderungen (in Petes Fall) ihren Kindern Wunden fürs Leben geschlagen haben. Wie zeichnen uns die Traumata unserer Kindheit und unserer dysfunktionalen Familien, und wie müssen wir leben und sein, um selbst nicht die Sünden unserer Eltern zu wiederholen? (Oder, und dies scheint nicht weniger zerstörerisch, sie in ihr Gegenteil zu verkehren?) Dass die Balance zwischen nie verblassendem Unbehagen und wahlweise Mitgefühl (Oliver) oder zumindest Charisma (Larry) stets gehalten wird und so die besagten Sequenzen unter große Spannungen gesetzt werden, ist einem doppelten Besetzungscoup Apatows zu verdanken: die neurotische Verschlossenheit Olivers wird von John Lithgow so perfekt auf den Punkt gebracht wie das kühl Kalkulierende Larrys von Albert Brooks - der in den frühen 1980er Jahren selbst drei umwerfende und heute nahezu vergessene Regiearbeiten lang der ätzendste Porträtist des amerikanischen Familienlebens war und bereits im letzten Kinojahr in Nicolas Winding Refns "Drive" ein überfälliges Alterswerk einleiten durfte.

Aufbereitet wird all dies stellenweise wieder, wenn auch vergleichsweise selten, in den für Apatow so charakteristischen (und oft eben auch tatsächlich komischen) Sex- und Peniswitzen, aber wer hinter diese gewiss nicht subtile Oberfläche schaut, der sieht sich wieder, wie stets im Werk dieses Grenzgängers des amerikanischen Mainstreamkinos, sehr ernsten Fragen gegenüber. Nach der richtigen Balance zwischen Pflichtgefühl und Selbstverwirklichung, dem Bestand von Liebe nach dem Ende der Leidenschaft, dem Verhalten gegenüber Menschen, die einem große Verletzungen zugefügt haben, einfach weil sie Menschen sind und selbst Beschädigte - kurz: danach, wie es gelingen könnte, dem falschen Leben im richtigen zu entkommen.

Jochen Werner

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Für gewöhnlich sehen Filme, die in Hollywood Untergangsstimmung auslösen, nicht so aus wie der heute berühmteste Box-Office-Flop der Filmgeschichte: Michael Ciminos "Heaven's Gate", ein überlebensgroßer, eigensinniger Autorenfilm, dessen Misserfolg sein Produktionsstudio an den Rand des Ruins führte und einer populären Legende zufolge Schuld war am Niedergang New Hollywoods; sondern eher so wie Bryan Singers "Jack and the Giants", einem "revisionistischen Märchenfilm" voller sauteurer Spezialeffekte, der sich höchstens in nachrangigen Details von der mit scheinbar lockerer Hand Millionen einfahrenden Konkurrenz unterscheidet, selbst aber an den Kinokassen gewaltig auf die Nase gefallen ist. Nicht von der Unmöglichkeit eines anderen Kinos (in der negativ noch stets dessen Möglichkeit enthalten ist), nicht von Veränderung erzählen die Blockbusterdesaster der Gegenwart, sondern höchstens von gewissen Absurditäten eines gleichwohl stabilen Status Quo. Mir ist tatsächlich nicht klar, wie "Jack and the Giants" jemals über das Stadium des Studio-Pitchs herausgekommen ist; doch bei zahlreichen anderen, immens erfolgreichen "Nachbarfilmen" verstehe ich das ebenso wenig.

Was alles noch nicht einmal gegen den Film selbst spricht. Anders als das letztjährige Fiasko "John Carter" ist "Jack and the Giants" noch nicht einmal besonders misslungen. Sehr schön ist zum Beispiel der Anfang, wenn die Legende von den Riesen, die im Himmel wohnen und in grauer Vorzeit über Riesenranken auf die Erde gelangt sind und da randaliert haben, vermittels anachronistisch anmutender Animationen, die wie aus einem Computerspiel der Neunziger Jahre in die Gegenwart gebeamt wirken, in den Film eindringt. Ein derart offensiver Flirt mit der eigenen Künstlichkeit weckt zwar Hoffnungen, die später im Film nicht eingelöst werden: Da geht es dann doch wieder nur darum, Computereffekt und konventionelles Kamerabild möglichst nahtlos ineinander übergehen zu lassen. Trotzdem bleibt alles ansprechend dynamisch, die Geschichte um den jungen Jack, der zunächst in den Besitz einiger Zauberbohnen gerät, später dann gegen die Riesen kämpfen, eine reichlich passive Prinzessin retten und eine Intrige gegen das Königreich entschärfen darf, hat einen guten Flow. (Eine Frage hätte ich dann aber doch an den Film: inwiefern handelt es sich bei all dem um ein "revisionistisches" Märchen? Selbst Disney-Animationsfilme kommen inzwischen nicht mehr derart sexistisch-restaurativ daher.)



Andererseits: Wie schon die "X-Men"-Filme desselben Regisseurs ist "Jack and the Giants" im Kern viel zu ernsthaft und nüchtern, um als Fantasyfilm zu funktionieren. Singer ist ein analytischer Regisseur, der seine Filme vom Ganzen her denkt und jede Szene, jedes Detail funktional hält. Das passt zu kleinformatigen, smarten Thrillern wie "The Usual Suspects" oder "Valkyrie" offensichtlich besser als zu den Superhelden- oder eben Märchenrevisions-Spektakeln, die allerdings nun mal das Zentrum der gegenwärtigen Filmindustrie bilden und die auch abseits auteuristischer Überlegungen zumeist seltsam gezähmt, wie in zuviel Geld eingelegt und eingehegt wirken. Auf den Überschlag der mal mehr, mal weniger durchgeknallten Prämissen ins auch tatsächlich entfesselt-Fantastische wartet man nicht nur in diesem Fall vergebens.

Der Film lässt sich auch von den alle paar Minuten eingefügten money shots, der stolz ausgestellten digitalanimierten Grandezza, die nichts anderes bedeutet, als das Geld, das sie verschlungen - und in diesem Fall: vernichtet - hat, nicht aus der Ruhe bringen; im Guten wie im Schlechten. Einerseits zeugt fast jede Szene von okayem Handwerk, andererseits würde man sich doch wünschen, dass man einem Film, der die Millionen gleich dutzendweise verschleudert hat, den Wahnwitz, der im System, das ihn hervorgebracht hat und also irgendwo in ihm selbst stecken muss, auch irgendwie, irgendwo ansehen kann. Das wäre dann auch wieder eine Form von Weltbezug. So aber bleibt nicht viel: Das Geld ist weg, Time Warner wird den Verlust garantiert in einer anderen Geschäftssparte ausgleichen können, die Welt dreht sich weiter und ich frage mich, was ich da genau gesehen habe, in diesen immerhin nur 114 Minuten, die "Jack the Giant Slayer" vor sich hin läuft.

Lukas Foerster

Immer Ärger mit 40 - USA 2012 - Originaltitel: This Is 40 - Regie: Bryan Singer - Darsteller: Paul Rudd, Leslie Mann, Maude Apatow, Iris Apatow, Jason Segel, John Lithgow, Albert Brooks, Megan Fox - Laufzeit: 134 min.

Jack and the Giants - USA 2013 - Originaltitel: Jack the Giant Slayer - Regie: Bryan Singer - Darsteller: Nicholas Hoult, Eleanor Tomlinson, Ewan McGregpr, Stanley Tucci, Eddie Marsan, Ewan Bremmer, Ian McShane - Laufzeit: 114 min.
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