Heute in den Feuilletons

Kritik und Kampf

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.12.2012. Die SZ verteidigt Theodor Eschenburg. Die FAZ verfolgte das zentrale NRW-Vorsprechen von Absolventen der Schauspielschulen. Mehr als ein Leistungsschutzrecht brauchen wir eine Kontrolle der entstehenden Monopole im Netz findet Stefan Plöchinger von sueddeutsche.de auf Carta. Befreit das Öffentlich-Rechtliche von den Anstalten, fordert Thierry Chervel im Perlentaucher. Die FAZ macht Verlust wegen des wegbrechenden Stellenmarkts, meldet turi2. Alle gratulieren Alice Schwarzer zum Siebzigsten.

TAZ, 03.12.2012

Heide Oestreich gratuliert Alice Schwarzer zum Siebzigsten und erklärt sie von A bis Z. Zum Beispiel Q: "Am meisten überrascht mich, wie diese quallbäuchigen Männer mit ihren grauen Krawatten mir zu sagen wagten, ich sei sexuell frustrierend. Die sollten öfter mal in den eigenen Spiegel kieken."

Weiteres: Jenni Zylka freut sich, dass wenigstens Anke Engelke die Verleihung des Europäischen Filmpreises moderiert hat: "Or as the Americans call it: The what?" Jürgen Gottschlich berichtet, dass die Türkei ihre Antikenstätten in Zukunft selber besser für Prestige und Tourismus nutzen möchte und ausländischen Archäologen die Grabung schwerer machen wird. Marcus Bensmann meldet, dass ausgerechnet in Taschkent ein echter Veronese aufgetaucht sein soll.

Besprochen werden das Filmmärchen "Ruby Sparks" des Regiepaars Valerie Faris und Jonathan Dayton (das Thomas Groh letztlich doch ganz schön papieren findet) und ein Konzert des Kaliforniers Ty Segall in Leipzig.

Und Tom.

Perlentaucher, 03.12.2012

Die öffentlich-rechtlichen Sender erhalten ihre automatische Absicherung genau in dem Moment, in dem private Medien um ihr Geschäftsmodell bangen. Wie gerecht ist das im Zeitalter der Medienkonvergenz, in dem die Gattungsgrenzen zwischen den Medien längst eingeschmolzen sind?, fragt Thierry Chervel: "Die Frage ist also, wie sich die Idee eines öffentlich-rechtlichen Journalismus im Zeitalter der Digitalisierung neu formulieren lässt. Wohl nur, indem man das Öffentlich-Rechtliche von den Anstalten befreit."

NZZ, 03.12.2012

Hannelore Schlaffer fordert ein Denkmal für Alice Schwarzer, die heute siebzig wird: Schon in ihren ersten Auftritt "zeigte sich jener Charakterzug, der Alice Schwarzer bis heute auszeichnet und der in Deutschland selten ist: der der Intellektuellen, die Schrift und politische Aktion, Kritik und Kampf miteinander verbindet und für ihre Einsichten das persönliche Risiko nicht scheut."

Weiteres: Robert Kaltenbrunner blickt auf die wachsende Kluft zwischen einem "diffusen" Innen und einem "freikompinierten" Außen in der Architektur. Marco Frei feiert Sylvain Cambrelings Inszenierung von Edison Denissows Oper "Der Schaum der Tage" in Stuttgart.

Aus den Blogs, 03.12.2012

(via Gawker) Der blinde chinesische Aktivist Chen Guangcheng fordert in diesem Video die Freilassung aller politischen Gefangenen in China. Seinen Landsleuten legt er ans Herz, sich aktiv dafür einzusetzen: "We can rely on our own actions to establish and maintain a fair and just social system. Don't expect some good emperor to bestow the right upon us, or some upright officials to defend our rights. God helps those who help themselves. Our fate is actually in our own hands."



Am Samstag hatten Liao Yiwu, Ha Jin und Ai Weiwei in einem Appell von der chinesischen Regierung die Freilassung des Schriftstellers Li Bifeng gefordert: "Als wäre es nicht genug, dass die Polizei diesem Li Bifeng, der so wenig von Politik versteht, über die Jahre hinweg ständig seine mehrere tausend Seiten umfassenden Manuskripte konfisziert hat, müssen sie ihn nun auch noch einsperren. Warum?"

Welt, 03.12.2012

"Sie verfügt über das Selbstbewusstsein einer Panzerhaubitze und möchte überall gehört werden und mittendrin, vor allem aber ganz oben mitmischen." Eckhard Fuhr hat damit kein Problem, er ist eigentlich ganz froh, dass es Alice Schwarzer gibt und gratuliert zum Siebzigsten.

Weitere Artikel: Hanns-Georg Rodek berichtet von der Verleihung der Europäischen Filmpreise auf Malta: Großer Gewinner war Michael Hanekes "Liebe", der die vier wichtigsten Preise für "Bester Film", "Regie" und die beiden Hauptdarsteller Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant gewann. Boris M. Peltonen porträtiert den Rapper Kendrick Lamar. Nina Trentmann unterhält sich mit dem Schweizer Fotografen Matthias Messmer, der seit sieben Jahren in China die Menschen fotografiert, die nicht in die Städte ziehen können oder wollen. Marc Reichwein liest Karl Ottens "Reise durch Albanien" und stellt fest: eingebettete Journalisten gab es schon vor hundert Jahren.

Im Forum singt Cora Stephan ein Abschiedslied auf die gedruckte Zeitung und freut sich auf die digitale.

Besprochen werden Edison Denissows "mit präzisem Witz und herrlichen Effekten" vorgetragene Oper "Der Schaum der Tage" in Stuttgart und David Böschs Inszenierung von Goldonis Komödie "Diener zweier Herren" in Bochum.

Aus den Blogs, 03.12.2012

Die FAZ wird in diesem Jahr hohe Verluste machen, meldet turi2 unter Berufung auf einen Artikel aus dem Abendblatt: "Grund für den Verlust ist hauptsächlich der Einbruch im Stellenmarkt der FAZ, der für Umsatz und Gewinn des Blattes von immenser Bedeutung ist. Das Geschäft mit den Job-Angeboten ist schneller geschrumpft als prognostiziert und liegt heute bereits auf einem Niveau, das die FAZ-Geschäftsführung erst in fünf Jahren erwartet hatte."

Der Chef von sueddeutsche.de, Stefan Plöchinger,  findet in Carta, dass die Debatte um Leistungsschutzrechte zu kurz greift und wirf ein anderes Thema auf: "Bei den Big Four Google, Amazon, Facebook und Apple habe ich das Grundgefühl, dass wir mehr Kartellkontrolle bräuchten - dass die Marktaufseher aber von der Materie zu wenig verstehen oder keine Hebel haben. Jede Pressefusion wird in Deutschland immer noch dramatisch schärfer beaufsichtigt als die Konzentrationsprozesse im Netz, dem neuen Medium der Massenkommunikation."

Weitere Medien, 03.12.2012

(Via Performance Today) Grigory Sokolov spielt Couperin:



"Und dann dieser elende Schmarrn: beheizte Straßencafés!" Joseph von Westphalens Kolumne in der Abendzeitung.

(Via Matthias Rascher) Das Haus mitten auf einer Autobahn, das einem Chinesen gehörte, der sich nicht enteignen lassen wollte, wird nun doch abgerissen, berichtet Atlantic in einer beeindruckenden Fotostrecke.
Stichwörter: Autobahn

SZ, 03.12.2012

Zu Alice Schwarzers 70. Geburtstag würdigt Catrin Lorch die politischen Leistungen der feministischen Vorreiterin, die sie heute jedoch als "im Pelz erstarrte" Bärin sieht: "Als wertbeständiger Charakter wird Schwarzer aber nun vor allem dort geschätzt, wo man auf feste Rollen baut. Im konservativen Lager. Und im Fernsehen, das Schwarzer gerne den Stuhl der eigensinnigen Tante frei hält."

Weitere Artikel: Auf einer ganzen Seite findet Willi Winkler die Kritik an dem in den 90er Jahren verstorbenen Politikwissenschaftlers Theodor Eschenburg wohlfeil: "Nun sollte keineswegs der Mannesmut gering geachtet werden, mit dem [Claus] Offe und [Rainer] Eisfeld dreizehn Jahre nach Eschenburgs Tod dessen wenig ruhmreiches Verhalten in den Jahren 1933 bis 1945 anzuprangern wissen." (Sibylle Krause-Burger sieht es in der Stuttgarter Zeitung ähnlich) Und: "Die Seite www.kreuz.net gibt es nicht mehr", melden Rudolf Neumaier und Frederik Obermaier.

Besprochen werden neue DVD-Veröffentlichungen (darunter Will Trempers "Die endlose Nacht", dem Fritz Göttler attestiert mit "Antonioni und Truffaut" auf der Höhe zu sein), der Film "Ruby Sparks", Jossi Wielers Inszenierung von "Der Schaum der Tage" an der Stuttgarter Oper und Bücher, darunter Christa Wolfs letzte Erzählung "August" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 03.12.2012

Andreas Rossmann berichtet vom "zentralen NRW-Vorsprechen", bei dem sich einmal jährlich die Absolventen deutscher Schauspielschulen vor den Scouts der deutschen Theater präsentieren: "Für die Figuren geht es um Leben und Tod, für die Eleven um die Existenz. Denn die beiden Talentproben können über ihren Einstieg in den Beruf entscheiden, darüber, ob sie in Berlin oder Bern, Braunschweig oder Bruchsal Theater spielen, nach Tarif (derzeit 1650 Euro brutto) oder etwas besser bezahlt, ein festes oder gar kein Engagement haben werden."

Weitere Artikel: Stefan Koldehoff meldet, dass die Sammlung Curt Glaser von Berliner Museen zum Teil an die Erben des Sammlers zurückgegeben wird - immerhin sind Blätter von Munch dabei. Dieter Bartzetzko fragt sich, ob die Märchenschlösser Ludwigs II. wirklich eine Aufnahme ins Weltkulturerbe rechtfertigen. Auf der montäglichen Geburtstagsgratulierseite wird auch Alice Schwarzer zum Siebzigsten bedacht.

Besprochen werden Wagner-Inszenierungen in Mannheim und Ludwighsafen, Edison Denissows Oper "Der Schaum der Tage" nach Boris Vian in Stuttgart, eine Ausstellung über Pop Art Design im Vitra Design Museum und Bücher, darunter Franz Maciejewskis Studie über die historische Gestalt der Nofretete (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).