Heute in den Feuilletons

Es ist unschön

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.08.2008. In der Welt kritisiert der Sporthistoriker Wolfram Pyta die Willfährigkeit, mit der sich das IOC der Symbolpolitik Chinas fügte. Die taz entlarvt Olympia als die Spiele der kapitalistischen Internationale. In der SZ muss Katajun Amirpur feststellen, dass Ahmadinedschad gemeint hat, was er nie sagte. Die Times informiert über Franz Kafkas pornografische Sammlung.

Welt, 06.08.2008

Der Sporthistoriker Wolfram Pyta kritisiert im Gespräch mit Sven Felix Kellerhoff die Willfährigkeit, mit der sich das IOC in den Dienst der chinesischen Symbolpolitik hat nehmen lassen: "Allein der Umstand, dass die chinesische Seite aus einem schlichten Fackellauf transkontinentale Propaganda gemacht hat und selbst den Mount Everest nicht verschonte, hat mit der olympischen Grundidee nichts mehr zu tun. Es muss bedenklich stimmen, dass das IOC die Hoheit über den Fackellauf praktisch aus der Hand gegeben hat."

Weitere Artikel: Im Aufmacher berichtet Berthold Seewald über die Proteste des Forschers Günter Johannes Henz gegen eine angeblich stark fehlerhafte Ausgabe der Briefe Leopold Rankes, die von der Bayrischen Akademie der Wissenschaften verantwortet wird - eine Kommission wurde eingesetzt. Ulli Kulke erkennt im "Schlauen Buch" der Entenhausener Pfadfinder Tick, Trick und Track einen Vorläufer zum Blackberry. Michael Pilz kommentiert die Ergebnisse einer Studie, die nachwies, dass sich die Nutzer Musik lieber illegal als kostenlos, aber legal herunterladen. Der Kurator und Publizist Klaus Honnef sieht Andy Warhol, der heute achtzig geworden wäre, als Gründervater des modernen Kunstbetriebs. Hendrik Werner schreibt zum 125. Geburtstag des Lyrikers Joachim Ringelnatz. Peter Claus wirft einen Blick auf das kommende Filmfestival von Locarno. Peter Zander interviewt Rupert Everett, der in seinem neuesten Film als Camilla Parker-Bowles auftritt.

Besporchen wird eine CD, auf der chinesische Popstars deutsch und deutsche chinesisch singen.

Weitere Medien, 06.08.2008

Es sind Anzeichen aufgetaucht, dass es sich bei Franz Kafka um ein menschliches Wesen handelte, nicht um einen Heiligen, meint der Kafka-Biograf James Hawes laut einem Bericht von Dalya Alberge in der Times. Hawes ist der erste Forscher, der in seinem kommenden Buch Bildmaterial aus Kafkas Pornosammlung veröffentlicht. Hawes sagt dazu: "Das sind keine neckischen Postkarten vom Strand. Das ist richtiger Porno, ganz einfach. Einiges davon ist recht finster, mit Fellatio durch Tiere und lesbischen Szenen. Es ist unschön." Leider gibt's keine Bilder - die kommen erst mit Hawes' Buch "Excavating Kafka", das noch im August erscheint.

Auch im Guardian hat sich Hawes schon geäußert: "Es scheint, dass die Kafka-Industrie solche Dinge über ihr Idol nicht verbreiten will - das heißt, dass die akademischen Torhüter Sie, den Leser, daran hindern wollen, davon zu hören." Die Pornos wurden Kafka von Franz Blei geliefert, der seit 1908 auch Kafka-Texte in seinen Zeitschriften publizierte. Wir haben allerdings Hinweise gefunden, dass Kafkas pornografische Vorlieben schon Eingang in die akademische Theorieproduktion gefunden haben.

NZZ, 06.08.2008

Claudia Schwartz bereitet auf das heute Abend beginnende Filmfest von Locarno vor, den Mangel an Stars kann sie verkraften: "Entdeckungen zeichnen sich bekanntlich dadurch aus, dass man sie erst machen muss." Gerald Hosp sammelt russische Stimmen zum Tod Alexander Solschenizyns. Der frühere Moskau-Korrespondent Reinhard Meier liefert eigene Anmerkungen nach.

Besprochen werden eine Ausstellung zum olympischen Peking im Musee Olympique in Lausanne, die Auftritte beim Davos-Festival "Young Artists in Concert", Hans-Albrecht Kochs Streifzug durch die Geschichte der Universität und Kinderbücher (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FR, 06.08.2008

Christian Schlüter stellt eine neue Studie der amerikanischen Rand Corporation vor, die nach der Untersuchung von weltweit 648 Terrorgruppen zu dem Schluss kommt, dass die USA al Qaida nur besiegen können, wenn sie ihren Krieg gegen den Terror beenden. In Times mager berichtet Hans-Jürgen Linke zudem über das offenbar recht blutige medizinische Handbuch "War Surgery in Afghanistan and Iraq".

Auf der Medienseite berichtet Katrin Hildebrand, dass dem digitalen Radio in Deutschland in einem zweiten Anlauf zum Erfolg verholfen werden soll.

Besprochen werden die Ausstellung "Skulpturen der Maler" in der Sammlung Frieder Burda in Baden-Baden, ein Band mit Fotografien von Cy Twombly und der fünfte Band von Virginia Woolfs Tagebüchern.

TAZ, 06.08.2008

Ronald Düker weist daraufhin, dass die angeblich so missbrauchte Idee von Olympia selbst auf Totalität zielt. "Ist Olympia 2008 im Würgegriff eines totalitären Regimes? Irgendetwas stimmt da nicht. Mag sein, dass es heute mehr ums Geld als um den Neuen Menschen geht und die synästhetischen Effekte der schönen Künste ins totale Marketing übersetzt worden sind - ansonsten ist Olympia ganz genau das, wovon Pierre de Coubertin geträumt hat: ein weltumspannendes Gesamtkunstwerk. Die Olympischen Spiele sind die Spiele der kapitalistischen Internationale. Und die ist in Peking genauso zu Hause wie überall sonst, wo es genügend Stadien und Kunden gibt."

Auf den vorderen Seiten erinnert Annette Spohn daran, dass der "Pate des Pop" Andy Warhol heute 80 Jahre alt geworden wäre. Besprochen werden George Hickenloopers Biopic "Factory Girl" über Edie Sedgwick, die Muse von Andy Warhol, und Katharina Wagners Inszenierung der "Meistersinger" in ihrem zweiten Bayreuther Jahr.

Und hier Tom.

SZ, 06.08.2008

Im März hatte Katajun Amirpur in der SZ behauptet, dass Mahmud Ahmadinedschad niemals gesagt habe, Israel müsse von der Landkarte radiert werden. "Die Vernichtungsphantasien, die Iran unterstellt werden, gehen auf einen einzigen Satz zurück: 'Israel must be wiped off the map.' ... Das Problem ist nur - er hat diesen Satz nie gesagt. Ahmadinedschad hat die Worte für 'map' und 'wipe off' nie benutzt. Die persische Originalversion von Ahmadinedschads Äußerungen über Israel ist weit weniger martialisch als die Übersetzung, die verschiedene Agenturen verbreitet haben und die wiederum auf der englischen Übersetzung des persischen Originals beruht." Heute muss Amirpur in der SZ feststellen, dass es die Islamische Republik selbst war, die die wipe-off-the-map-Übersetzung in Umlauf brachte und nach wie vor benutzt, weil sich der Westen so schön darüber aufgeregt hat.

Saul Newman erzählt von seinem Großvater, dem Rabbi Louis I. Newman, genannt "Battlin' Louie", weil er sich so vehement für den Boykott der Olympischen Spiele 1936 einsetzte, und kommt zu dem Schluss: "Würde mein Großvater heute noch leben, würde er vielleicht zum kompletten Boykott der Spiele aufrufen, so, wie er es 1936 tat. Das Argument, Sport dürfe nicht mit Politik vermischt werden, würde er vermutlich energisch zurückweisen. Schließlich ist es die Regierung in Peking, die beides miteinander vermischt, indem sie von den Nationen der Welt verlangt, sie wie ein freiheitsliebendes Regime zu behandeln, obwohl ihr politischer Kurs ganz andere Werte verrät."

Weitere Artikel: Alex Rühle beklagt den Trend zu 30 Kilo schweren Monsterbildbänden. Thomas Steinfeld war bei einem Salzburger Gespräch zwischen Hans Belting und Orhan Pamuk über die Zentralperspektive. Georg Dietz freut sich auf das baldige Erscheinen der deutschen Ausgabe von Warhols Buch "Popism". Andrian Kreye meldet erleichtert, dass Warhols Zeitschrift Interview wieder von dessen Freunden geleitet wird.

Besprochen werden Alfred Brendels Abschiedskonzert in Salzburg, einige CDs, die Uraufführung von Anne Teresa De Keersmaekers neuem Tanzstück "Zeitung" im Theatre de la Ville, George Hickenloopers Film über das "Factory Girl" Edie Sedgwick und Bücher, darunter Harry Sidebottoms "Der Krieg in der antiken Welt" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 06.08.2008

Im Aufmacher kommentiert Christian Geyer die Vorgänge um Wolfgang Clement. In der Leitglosse skizziert Helmut Mayer den Streit um ein wieder aufgetauchtes Max-Weber-Manuskript - der Antiquar Heribert Tenschert will es verkaufen, die Bayerische Akademie der Wissenschaften behauptet, es sei ihr vor Jahrzehnten entwendet worden. Ernst-Wilhelm Händler schreibt über einen Satz von Franz Kafka. Arnold Bartetzky berichtet, dass das heute als Heilanstalt dienende, im 16. Jahrhundert erbaute Gut Gamig bei Dresden renoviert wird. Auf einer Seite wird ein Kapitel über Tayyip Erdogan aus einem kommenden Türkei-Buch des FAZ-Korrespondenten in Istanbul, Rainer Hermann, abgedruckt,

Auf einer Seite wird Andy Warhols gedacht - Verena Lueken schreibt zu seinem achtzigsten Geburtstag, den er heute gefeiert hätte, und bespricht zugleich einen Film über seine Muse Edie Sedgwick, der gerade in die Kinos kommt. Außerdem werden einige wichtige Werke Warhols aus deutschen Museen vorgestellt.

Auf der DVD-Seite werden Filme des Hongkong-Genre-Meisters Johnnie To vorgestellt. Außerdem geht's um eine "Dirty-Harry"-Edition und um Filme von Budd Boetticher. Auf der letzten Seite kommt Viktor Jerofejew (nach seinem gestrigen Artikel in der Welt) nochmal auf Alexander Solschenizyn zurück und preist ein weiteres Mal den "Archipel Gulag" als sein wichtigstes Werk. Jürg Altwegg schildert Reaktionen auf Solschenizyns Tod in Frankreich, wo der Autor eine besondere Bedeutung hatte (und zitiert auch eine kleine Hommage Andre Glucksmanns im Figaro). Und Hans-Peter Riese charakterisiert Iwan Denissowitsch: "Das Anrührende und zugleich Aufrüttelnde an dieser berühmtesten Figur im Werk von Alexander Solschenizyn ist seine Normalität, seine Anpassungsfähigkeit, sein Überlebenswille und seine Menschlichkeit."

Besprochen werden die große Caillebotte-Schau (und -Entdeckung) in Bremen (Andreas Kilb rühmt die "rasiermesserscharfen Perspektiven und stürzenden Vordergrundlinien" des Malers), ein Auftritt Laurie Andersons beim Lincoln Center Festival in New York und Krenek-Opern in Bregenz.