Essay

Der berühmte gerupfte Riesenvogel

Von Ulf Erdmann Ziegler
24.09.2014. Bei der Vernissage waren Ropac und Gagosian. Sein Haus ist von Herzog und de Meuron. Auf dem Thron sitzt er zwischen Richter und Polke. Und schwankt zwischen konkret und abstrakt. Aber das ist nur ein Missverständnis. Georg Baselitz im Haus der Kunst.
Der größte Ausstellungssaal im Haus der Kunst ist eigentlich für alles zu groß, und der Rundgang mit sämtlichen angrenzenden Sälen eine echte Zumutung, eine unvermeidliche seelische Schrumpfung für den Betrachter. Wer als Künstler eine monografische Ausstellung dort überlebt, ohne Schaden zu nehmen, zieht einen gewissen Verdacht auf sich, nämlich nicht ganz bei Troost zu sein. (Kleiner Wortwitz auf den Naziarchitekten.)

Seit letzter Woche wird dort das Spätwerk von Georg Baselitz rehabilitiert. Dies aus der Sicht des Malers selbst, der den Goslaer Kaiserring erhalten hat, Ehrenprofessor an der Royal Academy in London und Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ist. Zur Eröffnung reisten Ropac und Gagosian an. Sie zählen zu den mächtigsten Galeristen der Welt. Der Süddeutschen Zeitung, in seinem von Herzog und de Meuron gebauten Atelier am Ammersee Hof haltend, verriet er: "Bei den anderen lief alles glatt." Wenn Richter und Polke garantiert im Pantheon sitzen, findet er, dann ist da doch noch ein Stuhl frei. Vielleicht der mittlere, der etwas höher steht?








Georg Baselitz
Elke negativ blau, 2012
Öl auf Leinwand / Oil on canvas
Hélène Nguyen-Ban
© Georg Baselitz, 2014
Foto / Photo: Jochen Littkemann


Formate von zwei Metern fünfzig Höhe sind bei Baselitz das Minimum und vier Meter sind normal. Er hat also sein Leben als Derwisch auf der Leiter verbracht und jetzt, mit 76 Jahren, bevorzugt er die liegende Leinwand, auf der er sich knieend vorwärts bewegt. Oder rückwärts.

Dieser Mann, den die Ostberliner Hochschule wegen "politischer Unreife" 1957, da war er neunzehn, rauswarf, ist unter den im Westen flügge gewordenen Künstlern der berühmte gerupfte Riesenvogel. Das Motiv des Adlers, das sich im Staatswappen der Bundesrepublik als Herrschaftssymbol erhalten hat, wurde von Baselitz früh ikonisch adaptiert und, wie schließlich alle anderen Motive auch, kopfüber aufgehängt, so dass man nicht mehr wusste, ob Verehrung oder Schmähung, Spiegelung oder Sturz, Selbstüberhöhung oder Motivschlachtung gemeint waren. Was Baselitz hervorbringt, ist allemal Paraphrase auf das Abenteuer des Malers beim Malen.

Damit das niemand übersehen kann, übertüncht Baselitz seit einem Jahrzehnt unter dem Serientitel "Remix" die Lieblingsmotive, zu denen seine Frau Elke und Malerfürsten mit unglücklichen Erektionen gehören. Die fürchterliche Frage, ob man beim "Gegenstand" bleibt oder ihn in "Abstraktion" zu überführen habe, mit der eine Generation von Eleven sich quälte bis zum Abgewöhnen, hat Baselitz vor vierzig Jahren in ein dialektisches Schema überführt. Einerseits malt er "etwas", weil man muss; andererseits löscht er das Motiv in einem gestischen Rausch. Seine unzweifelhafte Meisterschaft verdankt sich einer Gestik des Zweifels, sein Können dem Verwerfen, seine Eleganz dem Ungeschick.



Georg Baselitz
Bei Willem, 2009
Öl auf Leinwand / Oil on canvas
Sammlung Goetz München / Goetz Collection Munich
© Georg Baselitz, 2014
Foto / Photo: Jochen Littkemann


Wer im Münchner Haus die Fahne der Kunst-als-solche schwenkt, ist hier der sogenannte Hauptkurator Ulrich Wilmes - überraschend nur insofern, als dessen Boss Okwui Enwezor mit seinem Stochern in postkolonialen Sprödigkeiten die Ausstellungshalle inzwischen geprägt und von Besuchern nahezu entvölkert hat. Der Direktor des Hauses hat es sich aber nicht nehmen lassen, mit dem Künstler aus dem sorbischen Deutschbaselitz für den Katalog ein umständliches Interview zu führen, in dem er zum Beispiel fragt, ob "es heute im Vergleich zu damals besser möglich" sei, "eine differenzierte Haltung zur Verwendung der Begriffe abstrakt und gegenständlich in der Malerei einzunehmen?" Was Baselitz an sich abtropfen lässt und als "Missverständnis" verwirft. Die Sophistereien der Mandarine: Genau das interessiert ihn überhaupt nicht mehr.

Das Spätwerk also in XXL, Bilder wie riesige Spielkarten, Fleisch gewordene Illustrationen des Nichtaufhörenkönnens, ergänzt um gewaltige schwarze Bronzefiguren, die mit ihren geschnitzten Augenhöhlen das Motiv der Blendung aufrufen. Die gemalten Motive übrigens wieder auf die Füße gestellt; den weißen Bildgrund gegen einen schwarzen getauscht; alte Helden auf Denkpause gebucht. Wenn man seine "Potenz verliert", sagt der Maler im erwähnten Zeitungsinterview, "geht man Neigungen nach". Die Prophezeiung rauft sich die nicht vorhandenen Haare, gibt auf, zeigt den Stinkefinger und erfüllt sich selbst: Wenn das Malerei ist, dann bitte mehr.

Ulf Erdmann Ziegler

Die Ausstellung "Georg Baselitz - Damals, dazwischen und heute" läuft noch bis zum 1. Februar 2015 im Münchner Haus der Kunst.