Wolfgang Engler

Bürger, ohne Arbeit

Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft
Cover: Bürger, ohne Arbeit
Aufbau Verlag, Berlin 2005
ISBN 9783351025908
Gebunden, 416 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Im Zeitalter der dritten industriellen Revolution ist die Vorstellung, jeder könne ein Leben auf Erwerbsarbeit aufbauen, anachronistisch geworden. Die Rezepte neoliberaler Ökonomen und Politiker - Einfrieren der Löhne und Gehälter, expandierende Arbeitszeit, Mobilmachung der arbeitsfähigen Bevölkerung, geringere Sozialleistungen bei Teilprivatisierung der Sozialsysteme - weisen keinen Ausweg aus der Krise. Im Gegenteil, die wachsende Diskrepanz zwischen Produktivität, Wachstum und Beschäftigung zehrt die kulturelle Mitgift des Kapitalismus auf: Zukunftsorientierung, Gemeinsinn, Arbeitsethos über die Klassenschranken hinweg schwinden. Auch ohne Arbeit oder weiterführende Ausbildung die Existenz zu sichern und die persönliche Würde zu wahren wird für immer mehr Menschen zur wichtigsten Überlebenstechnik. Die Befugnis und die Macht zur Umkehr liegen nicht bei einer Elite, sondern beim Willen aller einzelnen, für ihre Bürgerrechte zu kämpfen. Der Umsturz der vom Staat sanktionierten Wirtschaftsgesellschaft beginnt mit der Wiederentdeckung der eigenen Urteilskraft als Keimzelle des Politischen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.03.2005

Wenn das keine Sympathieerklärung ist! Für Robert Misik zählt der Kultursoziologe Wolfgang Engler zu der ganz seltenen Spezies ostdeutscher Intellektueller, "die gar nicht deprimiert durchs Leben gehen". Und trotzdem vor der tiefen Spaltung der Gesellschaft in Ost- und Westdeutsche und anderen Krisensymptomen des Kapitalismus nicht die Augen verschließen. In seinem neuen Buch, das Misik eher als Streitschrift denn als Sachbuch liest, knöpft sich Engler diesmal die Lohnarbeitsgesellschaft vor, die ein Wertesystem schafft, in der "Bürger ohne Arbeit" keine soziale Anerkennung genießen und insofern auch ein gestörtes Selbstwertgefühl besitzen. Engler ist es um die Entkoppelung von Identität und Arbeit zu tun, analysiert Misik, er plädiert für eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft und die Einführung von Bürgergeld, wobei ihn die Frage, woher das Geld kommen soll, nicht näher beschäftigt. "Das ist so einfach wie spazierengehen", erklärt Misik, "man bräuchte es nur einzuführen". Engler sei bewusst polemisch und fahre schweres theoretisches Geschütz auf. Den einführenden historischen Teil hält er für den gelungensten Abschnitt des Buches. Teilweise "schwere Kost", gibt der Rezensent zu, aber ausgesprochen nahrhaft.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.03.2005

Trotz einiger Kritik sieht Warnfried Dettling einen "großen Wurf" in Wolfgang Englers "außergewöhnlichem" Buch, das er als "radikal im Denken", "groß in seinem politischen, ja utopischen Anspruch" und "weit in seinen geistigen Horizonten" würdigt. Der Arbeitsgesellschaft gehe die Arbeit aus, Vollzeitbeschäftigung werde es nicht mehr geben, fasst er die empirische Seite von Englers Argumentation zusammen. Wichtiger aber sei dem Autor der normative Aspekt: die Emanzipation des Bürgers von der Arbeit, die durch ein bedingungsloses Grundeinkommen erreicht werden soll. Natürlich gibt es viele Einwände gegen diesen Entwurf, und Dettling zählt einige auf. Er findet etwa, dass Engler den sozialen und wirtschaftlichen Sinn von Eigentum unterschätzt. Seine eigentliche Kritik aber zielt in eine andere Richtung: Engler setze sich zwar mit den Einwänden gegen seinen Entwurf "ausführlich auseinander", so Dettling, aber er unterlaufe sie auf doppelte Weise - einmal durch eine "soziale Ontologie", zum anderen durch eine "optimistische, kulturelle Anthropologie", wonach das Bürgergeld letztlich im Wesen des Menschen begründet liegt. Ein Punkt, den Dettling wirklich für problematisch hält. Zudem kreidet er dem Autor eine petitio principii an und benennt den kritischen Punkt: "Wenn die Menschen so wären, wie es sich der Autor ausmalt, dann und nur dann könnte das Bürgergeld seinen Sinn voll entfalten." Dass sie so sind, wie Engler meint, darf bezweifelt werden. Nichtsdestoweniger sieht er Englers Ausführungen durch die Kritik am Bürgergeld nicht erledigt, erachtet er das Buch doch auch als "Entwurf und Ausdruck einer Politik der Würde, des Respekts und der Inklusion." Und im Blick auf die Sackgassen, in denen sich die Politik und Gesellschaft heute befinden, hilft es seiner Ansicht nach wenig, "das Tempo zu beschleunigen". Vielmehr seien andere Überlegungen und Anstrengungen, intellektuelle wie konzeptionelle, vonnöten. Die aber biete Engler in seinem Buch: "Englers Buch lädt ein, nachzudenken, umzukehren, gemeinsam neu zu überlegen, wie wir morgen leben und arbeiten wollen."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.03.2005

Ulrike Baureithel überzeugt Wolfgang Englers Buch "Bürger, ohne Arbeit" nicht recht, in dem der Autor nicht nur den Arbeitsbegriff untersucht, sondern auch nach der Sicherung der politischen Rechte von Arbeitslosen fragt. Engler hat seine Überlegungen auf ein "historisch weit angelegtes" und "bildungsbürgerlich befestigtes" Fundament gestellt, indem er die Geschichte der Arbeit von der Antike bis zur Gegenwart nachvollzieht und betont, dass Lohnarbeit von jeher "identitätsstiftend" war, fasst die Rezensentin zusammen. Nicht zuletzt deshalb begegne er sowohl "aristokratischen Arbeitsverächtern" wie "subkulturellen Schwärmern", die auf ihr "Recht zur Faulheit" pochen, mit höhnischer Verachtung. Die "neue soziale Frage", die sich aus dem Mangel an Lohnarbeit ergibt und sowohl über die gerechte Verteilung der noch vorhandenen Arbeit nachdenkt sowie die Zahlung eines Bürgergelds diskutiert, beantwortet Engler mit einem Plädoyer für eine jedem Bürger zustehende "Sozialdividende". Baureithel sieht die "Glaubwürdigkeit" dieses Vorschlags" untergraben, weil der Autor nicht schreibt, wovon sie bezahlt werden soll. Sie findet auch den ganzen Aufwand ziemlich übertrieben, wenn am Ende nicht mehr als die Forderung nach einem "europäischen Sozialpakt" steht. Der "sprachgewaltige Aufmarsch" der zweitausendjährigen Geschichte der Arbeit, der "Spott", den Engler für sämtliche "Widersacher" übrig hat, die "selbstverliebten Spiegelgefechte dialektischer Rhetorik": Das alles stellt die Leser auf eine ziemlich "harte Probe", die vom Ertrag des Buches nicht gerechtfertigt wird, kritisiert Baureithel.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.03.2005

Was ist aus Wolfgang Englers "suggestivem Sound" geworden, fragt Jens Bisky, der sich über die "monströse" und "ungestalte" Form des neues Buches von Engler wundert. Teilweise gibt es sachliche Gründe für den mangelhaften Stil, nimmt er den Autor in Schutz. Englers Position sei nämlich in sich widersprüchlich, erläutert Bisky: einerseits verteidige er den Sozialstaat und andererseits wolle er ihn überwinden. Das führt bei Engler zu "historischen Exkursen, polemischen Bemerkungen, bekenntnishaften Formeln", was wiederum das Monströse des Buches ausmacht. Englers Szenario für einen Ausstieg aus der traditionellen Lohnarbeitsgesellschaft - beispielsweise die Einführung eines Grundeinkommens - ist Bisky nicht radikal genug. Der Autor sei dem klassischen Modell des Sozialstaates zu sehr verhaftet, lautet seine Kritik, auch wenn Engler darin "Inseln der Freiheit" einrichten wolle. Die Werte der alten Gesellschaften blieben dabei erhalten. Aber wie Menschen ohne Arbeit in die westliche Kultur integriert werden könnten, dafür habe noch niemand - auch Engler nicht - ein überzeugendes Modelle entwickelt, schließt Bisky.
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