William H. Gass

Der Tunnel

Roman
Cover: Der Tunnel
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
ISBN 9783498024888
Gebunden, 1092 Seiten, 36,95 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Der Erzähler von Der Tunnel ist ein distinguierter Herr: William Frederick Kohler, Professor an einer Universität im Mittelwesten, sein Forschungsgebiet: das Dritte Reich. Soeben hat er sein Magnum Opus vollendet: Schuld und Unschuld in Hitlers Deutschland. Was noch fehlt, ist die Einleitung, ein Kinderspiel. Kohler verfasst einen eitlen kleinen Text, fühlt sich aber plötzlich merkwürdig blockiert. Und was er nun zögernd, umschweifig schreibt, ist das komplette Gegenteil zu seiner sauber argumentierten, historisch fundierten Geschichte des Dritten Reichs chaotisch, düster, voller Lügen und Scharaden. Zugleich beginnt er, einen Tunnel aus dem Keller seines Hauses in den Garten hinunter zu graben. Dieser Tunnel wird zum Inbild der Abgründe seines Lebens, seiner Gefühle, seiner Vergangenheit, seiner wenigen Lieben und vielen Hassobjekte...

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.01.2012

William H. Gass' mehr als Tausend Seiten umfassender Roman "Der Tunnel", an dem der Schriftsteller fast 30 Jahre Zeit gearbeitet hat, ist nach Ansicht von Julian Weber ein wahres "Mammutwerk". Er betrachtet den 1924 geborenen US-amerikanischen Autor als Bindeglied zwischen Moderne und Postmoderne und vergleicht dessen "erzählerische Wucht" mit der eines Faulkner. "Der Tunnel" liefert für ihn eine ausufernde Schilderung des akademischen Alltags in der Provinz und vor allem der Reflexionen des unter einer Schreibblockade leidenden Protagonisten Prof. Kohler. Statt das Vorwort zu seinem Werk "Schuld und Unschuld in Hitlers Deutschland" zu vollenden, beginnt Kohler einen Tunnel unter seinem Haus zu graben und den "Faschismus des Herzens" in seinem Bekanntenkreis zu erforschen, über seine Kollegen herzuziehen und auch an sich selbst abstoßende Seiten zu entdecken. Gass' Roman zeichnet sich für Weber aus durch eine Sprachgewalt, die zwischen Philosophieren und Erzählen pendelt. Das Fazit des Rezensenten: "monströs".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 13.12.2011

Was für ein Kotzbrocken, dieser Held, scheint Martin Halter auszurufen. Und doch kann er nicht lassen von diesem Roman, der 16 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nun ("kongenial" übersetzt) auf Deutsch vorliegt und den er ein Monster von einer Abrechnung mit den Weltverbesserungstheorien des vergangenen Jahrhunderts nennt. Nein, mit weniger kann der Autor nicht dienen. Für Halter ist es ein Meisterwerk, Inbegriff der Great American Novel, mit Anleihen bei Joyce und Proust, philosophisch, historisch, poetisch, sperrig, wie rasend, aber immer anziehend. Dass jüdische Opferverbände gegen das Buch vorgingen, kann Halter gut verstehen, der Held ist ein böser, alter Sack mit gut ausgeprägter Hassader, ein tobender Rassist. Doch so schwer erträglich Halter das Buch mitunter findet, er sieht es nicht zuletzt als Ideenroman deutscher Prägung, in dem der Wahnsinn seinen Platz hat, haben muss.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.12.2011

Oh nee, nicht, weil er (er, nicht es) so oberflächlich ist, findet Rezensent Ulrich Baron dieses Buch zu dick. Es ist einfach so: Der Autor kann nicht szenisch schreiben. Also lässt er seinen Antihelden, einen stinkigen Gesinnungsnazi bewusstseinsströmend an seinem Opus magnum arbeiten, zeitgleich einen Tunnel unter seinem Haus graben und  so ziemlich über alles herziehen, was eine Blöße zeigt. Ein verdammt lütter roter Faden für über 1000 Seiten, findet Baron. Dann ist da noch das Problem der historischen Treue, wie sie nur Zeitzeugen vermitteln. Baron nimmt dem Helden seine Erfahrungen aus Hitlerdeutschland einfach nicht ab, der Holocaust wird zum "Popanz". Und schließlich stimmen die avantgardistischen Faxen in Sachen Typografie und Exkurse anno 1960 die William H. Gass sich erlaubt, den Rezensenten alles andere als milde.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.10.2011

Sieglinde Geisel hat angebissen und sich vom Autor über tausend Seiten hinweg auch nicht mehr abschütteln lassen. Fasziniert ist sie William Gass auf seiner Tiefenbohrung durch die Seele seines Helden gefolgt. William Frederick Kohler ist ein amerikanischer Historiker mit deutschen Wurzeln, er findet die schönsten Formulierungen für die "dümmsten Ansichten", schreibt Geisel, die von den Tiraden dieses monumental Zukurzgekommen gleichermaßen abgestoßen wie berührt ist. Geradezu spektakulär findet Geisel die gestalterische Opulenz, die der Verlag dem Buch hat angedeihen lassen, aber trotzdem, meint sie, ist das Entscheidende an diesem Buch sein Klang: Kunstvolle Alliterationen erfreuten sie dabei ebenso wie "absolut schweinische Limericks", jedem Wort gewähre Gass dieselben Raum, ob sublim oder ordinär. Eine große Leistung auch des Übersetzers Nikolaus Stingl, findet Geisel, die den "Tunnel" deshalb als doppeltes Meisterwerk preist.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.09.2011

Ein monumentaler Roman, das betrifft nicht nur den Umfang von 1100 Seiten (die das Buch in der fünfzehn Jahre nach dem Erscheinen des Originals nun vorliegenden deutschen Fassung hat). Auch der Ambition nach, versichert Angela Schader, will William Gass hoch und höher hinaus. Sein Protagonist ist ein Historiker mit Namen William Frederick Kohler, dem das Vorwort zu einer Studie über "Schuld und Unschuld in Hitlerdeutschland" komplett aus dem Ruder läuft. Es offenbart sich ein aufs Äußerste ressentimentbeladener Mensch, der außerdem noch verrückt wird: Er gräbt unterm Haus einen Tunnel, der buchstäblich nirgendwohin führt. Da stutzt die Rezensentin: Allegorie fürs sinnlose Treiben, Allegorie des Romans selbst, der auch zu keinen eindeutigen Erklärungen führt? An Joyce und Zwölftonmusik sei das geschult, sprachlich auf den verschiedensten Ebenen - etwa auch in politisch äußerst unkorrekten Limericks zu Auschwitz und anderen Dingen - furios, anstrengend auch, manchmal tue der Autor entschieden des Guten zu viel. Ein "literarischer Mahlstrom" sei das, eine Herausforderung, von der man den Eindruck bekommt, dass sie anzunehmen sich nach Ansicht von Schader sehr lohnt.