Wilhelm Genazino

Mittelmäßiges Heimweh

Roman
Cover: Mittelmäßiges Heimweh
Carl Hanser Verlag, München 2007
ISBN 9783446208186
Gebunden, 192 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Auf dem Fernsehschirm in der Kneipe flimmert ein Fußballspiel, auf dem Fußboden liegt ein Ohr. Dieter Rotmund weiß sofort: Das kann nur seines sein. Hat jemand etwas bemerkt? Und wie findet man durch den Alltag, wenn die Körperteile abhanden kommen? Wilhelm Genazino erzählt die Geschichte eines Mannes, der neben seinem Ohr noch weitere Verluste erleiden muss. Und der davor erschrickt, dass selbst seine Gefühle nur noch mittelmäßig sind.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.03.2007

Freunde der Romane von Wilhelm Genazino wird der Verlust gleich zweier Körperteile des Protagonisten erschrecken. Diejenigen, die immer meckern, dass in den Romanen dieses Meisters des Alltäglichen und Unspektakulären ohnehin nie etwas passiert, werden auch dieses Mal nicht zufriedener sein, warnt Kristina Maidt-Zinke. Denn dass dem Pharmaangestellten Dieter Rotmund erst das Ohr und dann der kleine Zeh schmerzlos und unauffällig abhanden kommen, hat für die Geschichte eigentlich keine Folgen, teilt die Rezensentin mit. Sie glaubt, der Erfolg von Genazinos traurigen Helden, die sich tapfer durch ihre trostlosen Leben schlagen, liegt einerseits im "Wiedererkennen eigener Befindlichkeiten" auf Leserseite, andererseits im wohltuendem Schauder angesichts der Widrigkeiten, mit denen sich die Protagonisten im Alltag herumquälen. Gesäumt wird die Alltagsmalaise des Dieter Rotmund durch denkwürdige Beobachtungen, poetische Betrachtungen, philosophischen Tröstungen und Komik, schließt Maidt-Zinke offenbar recht angetan.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.03.2007

Bestens amüsiert hat sich Wolfgang Schneider bei der Lektüre von Wilhelm Genazinos Roman, der einmal mehr das konventionelle, mittelmäßige Leben eines Angestellten in den Mittelpunkt rückt. Dieter Rotmunds Ehe scheitert, aber beruflich geht es für den Controller in einem mittelständischen Pharmaunternehmen bergauf, weil er, nicht wissend, was er mit seinen Abenden anfangen soll, immer mehr Überstunden gemacht hat. Schneider attestiert dem Autor präzise Beobachtungen der Mitwelt und einen ins Untröstliche gehenden Humor. Zwar scheinen ihm einige Scherze allzu gewollt, insgesamt aber hat ihn Genazinos "feine Komik" überzeugt. Die kafkaesken Elemente der Geschichte, etwa dass Rotmund in einer Fußballkneipe ein Ohr abfällt, hätte sich der Autor seines Erachtens sparen können. Andererseits stören sie ihn auch nicht weiter. Besonders gefallen hat Schneider schließlich die Souveränität, mit der Genazino sein Material entfaltet, wenn er mit "schwebender Leichtigkeit" von "niedergeschlagenen Seelen und den Belastungen des Angestelltendaseins" berichtet.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.03.2007

"Gut wie immer" findet Rezensent Jörg Magenau Wilhelm Genazinos neuen Roman, der ihn besonders mit Prägnanz und aphoristischer Verdichtung beeindrucken kann. Jeder einzelne Satz könne zur Not auch für sich bestehen, schreibt der Rezensent. Wieder einmal stehe ein mittelmäßiger Mittelschichtler im Zentrum von Genazinos gut entwickelter Beobachtungsgabe. Und zwar samt seiner mittelmäßigen bis missratenen Lebens- und Liebesbemühungen, deren Trostlosigkeit wie Vergeblichkeit dem Rezensenten gelegentlich leichte Herzschmerzen bereiten. Neu ist für Magenau, dass es diesem Autor offensichtlich auch recht mühelos gelingt, surreale Momente in seine Geschichte zu integrieren: dem Helden Dieter Rotmund fällt eines Tages "wie ein welkes Blatt" ein Ohr ab. Bei aller Freude über den Roman spürt man zwischen den Zeilen aber auch dezentes Misstrauen gegenüber der handwerklichen Präzision anklingen, mit der Genazino seine misanthropischen Merksätze und geschmackvollen Geschmacklosigkeiten im Roman ausstreut.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.02.2007

Die Zeitredaktion hat sich nicht auf eine Meinung zu Wilhelm Genazinos neuem Roman "Mittelmäßiges Heimweh" einigen können, und lässt Eberhard Falcke und Ulrich Greiner pro und contra Position beziehen. Als Genazino-Fan hat Falcke in dem Roman alles gefunden, was er zu seinem Glück braucht: die unvergleichliche Haltung seines Helden zwischen kontrollierter Verzweiflung und tollkühner Bescheidenheit", die Genazino-typische "Peinlichkeitsverdichtung" und den unnachahmlichen Blick aufs Unwesentliche. Dass bei Genazino keine "superinteressanten Charaktere" zu finden seien, mache genau die Größe dieses Autors aus. Greiner ist dagegen ganz anderer Meinung. Für ihn hat sich Genazinos literarisches Rezept, Alltagsbanalitäten "humorvoll nachsichtig" zu verdoppeln, erschöpft. Immer die gleichen sich selbst befragenden Gestalten, die Greiner "manchmal klug", aber immer "fruchtbar harmlos" findet. Und die viel beschworenen Witze Genazinos findet er einfach nur schlecht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.02.2007

Schon der Titel verrate dem Leser, dass er hier eine geballte Ladung von dem wunderbaren Stoff zu erwarten habe, aus dem die Romane von Wilhelm Genzino nun einmal gemacht seien. Rezensent Martin Lüdke serviert zu dieser Ankündigung eine kleine Einführung für Novizen: Der Held sei wieder einer dieser miesepetrigen und bekennend mediokren Typen, die ihre notorische Misanthropie beim Flanieren zu kultivieren pflegten. Die kleinen Beobachtungen mit ihrer gnadenlosen, aber nicht humorlosen Quintessenz seien auch dieses Mal, belehrt uns der Rezensent, die große Stärke des "beachtlichen" Buches. Auch halte der Autor nicht zurück mit Einblicken in das rundherum missratene Privatleben seines Helden. Die Überraschung aber, und etwas völlig Neues beim "guten alten Genanzino", lässt der Rezensent schließlich die Katze aus dem Sack, seien nonchalant hingeworfene Feststellungen, wie der Held nach und nach Körperteile verliere, sein Ohr beispielsweise liege plötzlich zu seiner Verwunderung unter dem Tisch.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.02.2007

Mit großer Begeisterung legt Rezensent Roman Bucheli allen Leser diesen Roman ans Herz, dessen "hinreißende", eigentlich "erschütternde" Komik ihn ebenso in Euphorie versetzt, wie die "stupende Genauigkeit" und "geradezu zärtliche Hingabe" dieses Autors bei der Beschreibung von Details. Auch der Held des Romans, ein gewisser Herr Rotmund, hat es Bucheli angetan. Die Mittelmäßigkeit von Herrn Rotmunds Leiden an der Welt, seine gelegentlichen Wehmutsattacken gehen im gleichzeitig unter die Haut und an die Lachmuskeln. Denn Wilhelm Genazino erspare seinem Helden nichts. Mit "Vergnügen und Behagen" bereite er vor seinem Leser Innenansichten eines beschädigten Lebens aus, und zwar, wenn man dem Rezensenten glaubt, ebenso unnachsichtig wie barmherzig. Und es ist dieses Spannungsverhältnis, dem das Buch für den Rezensenten seine "melancholische Komik" und "sein tragikomisches Pathos" verdankt.