Walter Kappacher

Selina oder Das andere Leben

Roman
Cover: Selina oder Das andere Leben
Deuticke Verlag, Wien 2005
ISBN 9783552060180
Gebunden, 255 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Stefan, Lehrer, nimmt das Angebot Heinrich Seifferts - den er im Jahr zuvor in Arezzo kennen gelernt hat - an, sein altes abgelegenes Bauernhaus in der Toskana zu bewohnen. Der Leser erlebt, wie Stefan sich das Haus und die Umgebung bewohnbar macht, wie er bekannt wird mit den Menschen im Dorf, wie er Heinrich besucht, der seine Nichte Selina aus Deutschland erwartet. Es sind die Jean-Paul'schen Themen Liebe, Tod und Unsterblichkeit, die sich langsam entwickeln.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.01.2006

Geradezu ins Schwärmen gerät Rezensent Gustav Seibt über Walter Kappachers Toskana-Roman "Selina oder Das andere Leben". Die im österreichisch-italienischen Alltag der achtziger Jahre angesiedelte Geschichte über einen jungen Lehrer aus dem Salzburger Land, der sich eine Auszeit nimmt und einen verfallenden Bauernhof im toskanischen Pratomagno-Gebirge renoviert, hält Seibt zwar für ganz "undramatisch". Dennoch findet er den Roman überaus faszinierend. Er vergleicht Kappachers Stil mit dem des späten Adalbert Stifter. Von diesem habe Kappacher die "feststellende, karge Manier", die "musivische Langsamkeit", die "Einwickelung des Geschehens und des zeitlichen Fortgangs in statisches Benennen" übernommen. Wie Stifter gelinge es Kappacher, "seine Leser in ein eigenes Zeitmaß zu versetzen, sie mit meditativer Langsamkeit zu beglücken, mit einem Sprachrhythmus, der auf äußerliche Klangfülle verzichten kann, weil das Gesetz dieses Stils Durchsichtigkeit ist, ja etwas auch Moralisches: Reinheit." Noch eine zweite literarische Größe kommt Seibt bei der Lektüre in den Sinn: An Jean Paul erinnert ihn das sich bei der Lektüre einschleichende Gefühl für die Unwahrscheinlichkeit, dass überhaupt etwas existiert. Als bewundernswert lobt er dabei den Takt, mit dem Kappacher seine metaphysischen Motive unter der Oberfläche hält. Sein Fazit: ein "wundervoller Roman".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 28.12.2005

Stephan Reinhardt ist von diesem Roman, in dem ein Salzburger Lehrer für ein Jahr in ein baufälliges Haus in der Toskana zieht um dort seine schriftstellerischen Ambitionen in die Tat umzusetzen, sehr eingenommen. Ihn fesselt die ruhige und "behutsame" Art, mit der Walter Kappacher das alltägliche Leben seines Protagonisten beschreibt und er findet, dass der Autor mit der rückwärts gerichteten Perspektive, aus der der Lehrer von diesem Jahr erzählt, "leicht und mühelos umgeht". Dabei verknüpfe Kappacher verschiedene Erzählebenen miteinander, neben den alltäglichen Kampf um Haus und Garten trete die "Sehnsucht" des Protagonisten nach einem "anderen Leben" sowie die Erlebnisse in der Kunstwelt Italiens, durch die der Lehrer der Zurückgezogenheit seines italienischen Domizils zu entfliehen versucht. Mitunter kommt Reinhardt die "bedächtige Sprache" des Autors mitunter doch etwas "umständlich-brav" vor, erzählt werde aber durchweg "sicher" und in überzeugender Logik.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2005

Titel und Roman spiegelten Jean Pauls Romanfragment "Selina", seine "Apologie der Schöpfung" genauso wie seine Neigung zum Abgründigen, erläutert Rezensent Paul Jandl. Walter Kappchers "Selina oder das andere Leben" erzähle von nicht mehr als einem Sommeraufenthalt der Hauptfigur in einem toskanischen Dorf, vom "langsamen Leben" unter einem beunruhigend schönen Sternenhimmel. In seinen Mitteln sei der Roman durchweg "sparsam", berichtet der Rezensent, aber gerade deswegen sei die Gesamtwirkung "fulminant". Mit "Selina" habe Autor wie schon in seinen früheren Romanen eine aufs Wesentliche reduzierte "Studie des Alltags" geschrieben. Der verrinnenden Zeit könne man bei Kappacher geradezu zusehen. Wenn der Protagonist die Ginsterbüsche rodet oder das Dorf seine katholischen Feste feiert, jedes Detail sei gleichermaßen wichtig, und dies entspreche, so der Rezensent, einer "philosophischen Haltung". Dabei zeichne der Autor keineswegs eine alternative Idylle zu einer vermeintlich schlechten modernen Welt, denn auch in der friedvollen toskanischen Welt blieben der Tod und andere Kehrseiten bei Kappacher nicht ausgespart. Neben dem scheinbar einfachen Leben in der Toskana macht der Rezensent die Welt der Literatur als zweites wichtiges "Bezugssystem" des Romans aus. Wie alles andere komme auch dies "zurückhaltend" und "unaufdringlich" daher, ohne jede bildungsbürgerliche Attitüde. Dem Autor, schließt Rezensent Jandl, sei mit "Selina oder das andere Leben" ein "großes kosmisches Kippbild" gelungen.