Thomas Pynchon

Gegen den Tag

Roman
Cover: Gegen den Tag
Rowohlt Verlag, Reinbek 2008
ISBN 9783498053062
Gebunden, 1569 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl und Dirk van Gunsteren. "'Gegen den Tag' umspannt den Zeitraum zwischen der Weltausstellung in Chicago 1893 und den Jahren kurz nach dem Ersten Weltkrieg und führt von den Arbeiterunruhen in Colorado über das New York der Jahrhundertwende, London und Göttingen, Venedig und Wien, den Balkan, Zentralasien, Sibirien zur Zeit des Tunguska-Ereignisses und Mexiko während der Revolution ins Paris der Nachkriegszeit, Hollywood während der Stummfilmära und an ein, zwei Orte, die auf keiner Landkarte zu finden sind. Während sich die weltweite Katastrophe schon am Horizont abzeichnet, beherrschen hemmungslose kapitalistische Gier, falsche Religiosität, tiefe Geistlosigkeit und böse Absichten an hohen Stellen das Bild. Derweil treibt Thomas Pynchon sein Spiel. Figuren unterbrechen ihr Tun, um größtenteils alberne Liedchen zu singen. Seltsame und abseitige Sexualpraktiken werden ausgeübt, obskure Sprachen gesprochen, und das nicht immer idiomatisch richtig. Kontrafaktische Ereignisse finden statt. Vielleicht ist dies nicht die Welt, aber mit ein, zwei kleinen Änderungen könnte sie es sein." T.P.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.06.2008

Alles, was gegen Thomas Pynchons neuesten Ziegelstein von einem literarischen Wurf eingewendet wurde und einzuwenden ist, lässt sich postwendend, findet der Rezensent Christoph Bartmann, auch ins Positive drehen. Es sei ja keine Frage, dass hier eine klare durchgehende Handlung, überhaupt eine nachvollziehbare narrative Grundstruktur, eine zentrale These und überhaupt so manches, was das durchschnittlich Realistisch-Gekonnte anderer Gegenwartsliteratur ausmacht, nicht zu finden sei. Aber alles, was einem Pynchon hier schenke, ist auf seine Weise ganz einzigartig und es gelte eben, so wird Mae West zitiert, dass "von etwas Gutem zuviel wunderbar" sei. So gibt es: zuviel Personal, zu viele Geschichten, zu viele "alberne Liedchen", zuviel "abseitige Sexualpraktiken" und eventuell sogar - das könnte, meint Bartmann, aber das Grundmotiv sein - auch zuviel Elektrizität in "dunkelloser Nacht". Das alles wird in durchaus anarchistischer Absicht durcheinander- und als beabsichtigtes Durcheinander der Leserin und dem Leser dargebracht und wenn man es mit irgendetwas vergleichen wolle, dann müsse man schon zurück vor den Realismus des 19. Jahrhunderts. An Laurence Sterne hat Bartmann da gedacht oder an Francois Rabelais. Die hatten mit einer gekonnten Unordnung noch kein Problem und wenn es einen gibt, so darf man den Rezensenten verstehen, der auch unsere Zeit das kunstvoll zusammengehäufte Chaos als bessere Wirklichkeit lehrt, dann ist das der große Thomas Pynchon.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.05.2008

Guido Grafs Rezension gibt einen Vorgeschmack auf die Komplexität von Thomas Pynchons jüngstem "monströsen" Werk, das der Rezensent als "vierdimensionalen Roman" feiert. Es geht, soviel kann man der enthusiastischen Kritik entnehmen, um die Riemannsche Zetafunktion, die bereits im 1973 erschienenen "Enden der Parabel" eine wichtige Rolle gespielt hat und die hier nun zum Strukturprinzip des ganzen Buches wird, wie der Rezensent zu erklären versucht. Pynchons Streifzug durch die Geschichte, der am Ende des 19. Jahrhunderts einsetzt und bis zum Ersten Weltkrieg reicht, geht laut Graf der Frage nach, wie die katastrophale Entwicklung des 20. Jahrhunderts auch einen ganz anderen Verlauf hätte nehmen können, und berechnet auf knapp 1600 Seiten das "Spiel des Zufalls oder des Chaos". In dem hunderte von Figuren aufweisenden Romangeschehen verberge sich bei aller Lust an kalauerndem Witz und erotischen Verwerfungen nichts weniger als "hochpräzise Fundamentalontologie", eine der Riemannschen These folgende "unendliche Annäherung an den Nullpunkt", so der tief beeindruckte Rezensent. Pynchon dringt mit diesem "Romanwunderwerk" tief in die Mathematik und in die Geschichte ein, preist Graf, der im letzten Satz dann noch die beiden Übersetzer Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl für ihre Übertragung ins Deutsche hochleben lässt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 15.05.2008

Himmelhoch jauchzend der Beginn von Fritz J. Raddatz' Rezension: Als "rasendes Feuerrad", als "fast einmalige epische Leistung" bejubelt er dieses Buch, das zwar zeitlich so halbwegs einzusortieren ist, nämlich um die vorletzte Jahrhundertwende - nur ist damit noch gar nichts darüber gesagt, was man in der von Pynchon geschaffenen Welt so alles vorfindet. "Tungusische Rentierherden" nur zum Beispiel und eine "Zulu-Theatergruppe", aber auch Gewerkschafter und es gibt einen Schlachthof-Besuch und sprechende Wölfe und noch viel mehr Gemensch und Getier der ganz unwahrscheinlichen Art. Aber, und das macht das "wahnwitzige Genie" des Autors für Raddatz nicht zuletzt aus: Er belässt es nicht bei Zauber und Fantasie. Er verleibt der erfundenen Welt scharfe "Splitter der Realität" ein, er erzählt eben auch die bittere Gewaltgeschichte der Moderne. So weit, so völlig uneingeschränkt enthusiastisch. Dann aber erlahmt, plötzlich fast, des Rezensenten Schwung. Und zwar, versichert Raddatz, weil auch das Buch flügellahm wird, irgendwann jenseits der Tausend-Seiten-Marke. Was zuvor einzigartig war, lese sich jetzt wie James Bond, wie Karl May, ja "parfümiert" und "pläsierlich". Das durchweg grandios übersetzte Buch erweist sich so als "ein Wunderwerk der Prosa", das als Heißluftballon startet, am Ende aber ziemlich durchhängt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.05.2008

Das Buch ist umfangreich, der Autor ein Mythos und der Plot kaum zu entwirren. So viel steht für Wiebke Porombka jedenfalls fest. Dass alles im Chicago des Jahres 1893 seinen Ausgang nimmt und Licht und Schatten des erst heraufziehenden 20. Jahrhunderts in sich aufnimmt, daran ist auch nicht zu zweifeln. Dass Thomas Pynchon seinem Willen zur Verarbeitung allen möglichen literarischen, wissenschaftlichen und politischen Wissens nicht aufgegeben hat, ist keine Frage: "Phantasma um Phantasma der Moderne" werden miteinander in Beziehung gesetzt. Figuren gibt es unendlich viele, aber in Webb Traverse, der durch Sprengstoffattentate den Fortschritt aufhalten will, erkennt die Rezensentin etwas wie ein "Alter Ego" des Autors. Als Verbindungsprinzip des wilden Nebeneinanders von Tollem und Schönem erkennt Porombka das romantische Prinzip des Witzes, der eigenwillige Verbindungen stiftet, wo zuvor keine waren. Spezifisch "postmodern" wird der Witz aber als "Kalauer" und so könne, wer mag, auch in diesem Roman wieder die "kindliche Freude am groben Unfug" genießen. Nicht wirklich zu entnehmen ist der Rezension, ob Porombka nun findet, dass der ganze Aufwand sich lohnt. Oder vielmehr: Das ist dann doch, findet sie, ganz entschieden Geschmackssache.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.04.2008

Für Angela Schader sind die Romane von Thomas Pynchon Kultbücher der besonderen Art, die für die Verlage zwar keinen wirtschaftlichen Erfolg versprechen, aber dennoch auf eine eingeschworene Leserschaft bauen können. Pynchons jüngster Roman ist mit über 1500 Seiten sein umfangreichstes Werk und hebt zur Zeit der Chicagoer Weltausstellung 1893 an, teilt die Rezensentin mit. Im Mittelpunkt stehen der rebellische Minenarbeiter Webb Traverse und seine drei Söhne; der Arbeitskampf im Bergbau von Colorado, technologische Erfindungen und Fortschrittsglaube ziehen sich als roter Faden durch dieses Buch, erklärt Schader. Bewährt chaotisch ist die Handlung und es entfaltet sich ein höchst komplexes Motivsystem, das mittels eines Islandspats, durch dessen transparenten Körper man alles doppelt sieht, seine doppelbödige Struktur und seinen Unterbau der Wirklichkeit erhält. "Virtuos" findet die begeisterte Rezensentin das Erzählkonstrukt dieses Romans und sie bewundert das Raffinement, mit dem weitere Bedeutungsebenen und historische Kontexte eingebunden sind. Schader schwärmt von der unerschöpflich scheinenden "Sprachkraft" und dem Einfallsreichtum Pynchons und auch wenn sie zugeben muss, dass die Lektüre ihre Leser stark fordert, preist sie sie als geradezu magisches Leseerlebnis. Ihre Lobeshymne abschließend besingt sie auch die Übersetzung ins Deutsche durch Nikolaus Stingl und Dirk van Gunsteren als gekonnt und Pynchons Sprache und Witz angemessen.
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