Susan Sontag

Das Leiden anderer betrachten

Cover: Das Leiden anderer betrachten
Carl Hanser Verlag, München 2003
ISBN 9783446203969
Gebunden, 151 Seiten, 15,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser. Fünfundzwanzig Jahre nach ihrem Epoche machenden Essay "Über Fotografie" beschäftigt sich Susan Sontag mit dem Thema Kriegsfotografie: Sie rekapituliert die historische Entwicklung, nennt die Vorläufer der Dokumentaristen des Krieges und revidiert ihre einstige Ansicht, dass der Mensch durch solche Bilder abstumpfe. Im Gegenteil: "Das Bild sagt: setz dem ein Ende, interveniere, handle. Und dies ist die entscheidende, die korrekte Reaktion."

Im Perlentaucher: Rezension Perlentaucher

Wer die letzten Jahre aufgehört hat, Susan Sontags Bücher zu lesen, weil er nicht zusehen wollte, wie eine der klügsten Autorinnen freiwillig auf die Benutzung ihres Verstandes verzichtete, um langweilig-konventionelle Romane zu schreiben, der hat jetzt das große Vergnügen, wieder einen Essay von ihr zu bekommen, der nicht nur thematisch an "On Photography" von 1977 anknüpft, sondern auch wieder scharfsinnig analysiert und souverän urteilt wie sonst kaum jemand... (Die Besprechung bezieht sich auf die amerikanische Ausgabe)
Lesen Sie mehr in Arno Widmanns 'Vom Nachttisch geräumt'

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Für Rüdiger Zill steht dieses Buch Kriegsfotografie im "Schatten seines Vorgängers" von 1977, dem Essay "Über Fotografie", in dem Susan Sontag dargelegt hatte, wie über Fotos "öffentlich geredet" wird. Im vorliegenden Text nun untersucht Sontag die Entwicklung und Veränderung von zunächst gemalten und dann fotografierten "Gräueldarstellungen", erklärt der Rezensent. Dabei stellt er einen entscheidenden "Kurswechsel" zu den 1977 geäußerten Thesen der amerikanischen Autorin fest: Hatte sie in ihrem früheren Essay kritisiert, dass maßloser Gebrauch von Bildern gegenüber fremdem Leid abstumpft, so betone sie im vorliegenden Text, dass Bilder nun mal das Wirkungsvollste sind, wenn es darum geht, fremde Erfahrungen zu vermitteln. Dabei verabschiedet Sontag sich notgedrungen auch von der "Fundamentalkritik" an Fotografen, wonach diese, statt einzugreifen, lediglich Bilder machten und damit schuldig würden, so Zill zustimmend. Er bemerkt angetan, dass der Band "mehr" ist als nur "ein weiteres Buch über Bilder", weil es auch über die "prinzipielle Unüberwindlichkeit von Erfahrungsschranken" reflektiert.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.08.2003

Eine schlüssige und vor allem alle Aspekte des Themas Kriegsbilder abdeckende Arbeit ist dieses Essay von Susan Sontag auf jeden Fall, findet der Rezensent Gerrit Bartels: Die Autorin "leuchtet die Problematik vor allem der Kriegsfotografie von allen Seiten aus" und analysiert im Zuge dessen auch, warum es so schwierig ist, von Fotos zu Mitgefühl oder gar zum Handeln bewegt zu werden. Trotz dieser Skepsis leistet Sontag aber eine "kritische Revision" der These, die sie vor 30 Jahren in ihrem Essayband "Über Fotografie" aufgestellt hat: Damals stand die "Manipulation durch die Medien, ihr Abstumpfungspotential" im Zentrum ihrer Analyse. Heute glaubt sie, dass die Bilder eines Krieges durchaus auf den Betrachter wirken können - vor allem wenn der selber Erfahrungen mit Krieg und Gewalt gemacht haben. Sontag glaubt demnach durchaus an eine Wirkungskraft der Bilder: "Ihr sozusagen positiv gewendetes Schockpotenzial gilt es zu erhalten oder freizulegen".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.08.2003

Rezensentin Julia Encke zeigt sich beeindruckt von Susan Sontags neuem Essay "Das Leiden anderer betrachten", der mit einigen Selbstkorrekturen der Autorin aufwartet. Wie Encke berichtet, hat sich Sontag zeitlebens mit Schockfotos auseinandergesetzt. Als Urszene dieser Beschäftigung beschreibt sie Sontags Schock, als diese, zwölfjährig, im Juli 1945 zufällig in einer Buchhandlung auf Aufnahmen aus Bergen-Belsen und Dachau stieß. Sontags Einschätzung der Fotografie hat sich nach Auskunft Enckes gewandelt: Geißelte sie in ihren frühen Fotografie-Essays das Fotografieren noch als "chronisch voyeuristische Beziehung zur Welt", die Bedeutung aller Ereignisse einebne, so fordert sie in ihrem neuen Essay, sich von den Schockfotos heimsuchen zu lassen - um nicht zu vergessen, was Menschen einander anzutun in der Lage sind. Dennoch zeige Sontag keine Fotos. "Das Problem", zitiert Encke die Autorin," besteht nicht darin, dass Menschen sich anhand von Fotos erinnern, sondern dass sie sich nur an die Fotos erinnern." Encke hebt hervor, dass Sontag nachdrücklich auf den Konstrukt-Charakter von Fotografie aufmerksam macht. Deshalb bevorzuge Sontag das geschriebene Wort, resümiert Encke, "sie will erzählen und tauscht Bilder gegen Worte".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.08.2003

Soll man hinschauen bei den Fotos von Saddams Söhnen? Sind sie ein Skandal? Oder gehören sie an die Öffentlichkeit? "Böse Fragen stehen im Raum", schreibt Susanne Mayer, und auch bei Susan Sontag, "immer noch ein guter Scout im Gestrüpp der Moderne", gebe es keine einfachen Antworten, im Gegenteil: ihr Buch über die Kriegsfotografie sei ein "Komplexität geradezu auskostendes Gespräch". Neue Fragen werden gestellt: Was ist der Gegenstand von Fotos, auf denen Kriegsopfer zu sehen sind? Wer sendet sie? Wissen wir genau, was wir da sehen? Nein, wir brauchen eine Bildunterschrift, und dann bilden wir uns eine Meinung. Authentizität? Wie naiv! "Kein Kriegsfoto", formuliere Sontag, "steht außerhalb der 'Ikonografie des Leidens'", jedes Einzelne greife unvermeidlich auf unsere "kollektiven Bilderinnerung" zurück. Und trotzdem bestehe Sontag im Gegensatz zu früher darauf, dass Bilder gemacht werden müssen - "Kriege, von denen es keine Fotos gibt, werden vergessen, sagt sie. (...)Und Opfer möchten, dass wir ihre Leiden sehen." Nur, fragt Mayer: "Wer ist Opfer, wer Täter? Und warum?"