Steffen Mensching

Jacobs Leiter

Roman
Cover: Jacobs Leiter
Aufbau Verlag, Berlin 2003
ISBN 9783351029722
Gebunden, 426 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Ein Mann aus Deutschland steht auf der 28th Street in Chelsea, Manhattan, und sucht einen Buchhändler. Er trifft auf Jack, alias Jacob, alias Jacov, seinen zukünftigen Geschäftspartner, Lehrer und väterlichen Freund. Jack bietet ihm 4000 alte deutsche Bücher zum Kauf an, kostbare und wertlose Bände, die aus Europa nach Amerika kamen. Der Mann ist hin und her gerissen. Was soll er mit dieser Emigrantenbibliothek? Da beginnen die Bücher zu erzählen...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.09.2003

An einen echten Großstadt- und New York-Roman traut sich heute kein Schriftsteller mehr heran, vermutet Friedhelm Marx. Was aber macht ein New York-Stipendiat, der diese persönlich wichtige Erfahrung auch literarisch veräußern möchte? Er stöbert in Buchhandlungen und kommt so ganz nebenbei auf sein Thema. Steffen Mensching hat 1998 in New York gelebt und ist durch Zufall auf eine deutsch-jüdische Emigrantenbibliothek gestoßen, die er einem Antiquar abkaufte, erklärt Marx. Statt der Bücher interessierten Mensching die Spuren oder Lebenszeichen, die deren Besitzer in den Büchern hinterlassen hatten. Eine Romanidee war geboren, Mensching begann die Lebensgeschichte dieser Emigranten zu recherchieren. Im Roman nun, erläutert Marx, verbindet Mensching seine Recherchen mit der eigenen Familiengeschichte, ergänzt diese Episoden um Antiquariatsgeplauder, New-York-Reflexionen und so weiter. Leider würden die spannenden Lebensgeschichten dadurch auseinander gerissen, kritisiert Marx, während die Refexionen über New York und das Schreiben allgemein eher "fad" ausfielen. Eine gute Romanidee, die das Medium Buch propagiere, sich aber selbst untergrabe, bedauert Marx.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.09.2003

"Muss man 4.000 Bücher kaufen, um eins schreiben zu können?", fragt Rezensent Jens Bisky und gibt nach Lektüre dieses Romans die selige Antwort: "Unbedingt." In einer New Yorker Antiquariat, berichtet Bisky, ist Mensching auf viertausend deutsche Bücher gestoßen, hat sie gekauft, gelesen, recherchiert und deren Geschichte zu einem Panoptikum organisiert, das die alte Rivalität zwischen Literatur und Geschichte neu belebt, denn hier führt "der Aufbruch in die Welt (...) in eine Bibliothek". Daher ist dies auch kein herkömmlicher New-York-Roman, der die Stadt als solche zelebriert, sondern das Bild des Erzählers selbst, eine "Chronik der eigenen Welt", in Tagebucheinträgen und Rechercheberichten, mit der Mensching vielleicht gerade das eingefangen hat, was an New York tatsächlich bemerkenswert ist, nämlich dass sich jeder Besucher "sein eigenes Universum aufbauen" kann und muss. Sein "New York eines Archivars" nimmt den Leser mit seiner meist "kurzatmigen", schlaglichtartigen Sprache gefangen, und weckt in ihm die Spannung, hinter jedem Satz auf "etwas Unerwartetes" zu stoßen, macht ihn damit gleichermaßen zum Chronisten. "Jacobs Leiter", so Biskys Fazit, ist ein "intelligenter, witziger, kraftvoller" und konsequenter Roman, "eigenwillig und individuell gerade in dem Willen, fremde Geschichten zu erzählen", eine äußerst willkommene, "seltene Erscheinung".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.06.2003

Wie häufig in begeisterten Kritiken ergibt sich dem Leser, vor lauter atemlosen Nacherzählen, kein ganz klares Bild vom Buch. Ein Roman ist das, so viel kann man festhalten, auch wenn die Kritikerin Kathrin Schmidt zu Beginn ihres Artikels sagt: "Ist was anderes, denke ich, und bin doch gefesselt." Versuchen wir zu rekonstruieren: Ein Schriftsteller hat ein Stipendium für New York, lernt einen alten Mann mit riesiger Bibliothek kennen und rekonstruiert aus dieser Bibliothek die deutsch-jüdischen Emigrantengeschichten der ehemaligen Buchbesitzer. Ein "fulminantes Journal" resümiert die Rezensentin, ein Buch, das "größtmögliche Recherchegenauigkeit" mit "dichterischer Freiheit", in Einklang bringe. Man wird diese "Jacobsleiter" hochsteigen müssen, um sie ganz zu begreifen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.06.2003

Steffen Mensching ist dem Rezensenten sympathisch: ein DDR-Oppositioneller, der das Regime mit seinen Clownereien lächerlich machte, der die Öffentlichkeit nicht scheute und auch in der Bundesrepublik seinen Weg gefunden hat: als Kabarettist wie als Schriftsteller. So sieht Uwe Stolzmann den Autor, der nun nach einem Stipendiumsaufenthalt als "writer in residence" in New York den obligatorischen "Text für die Daheimgebliebenen" abliefert, wie Stolzmann etwas spöttisch anmerkt. Die dem Roman zugrundeliegende Idee ist ebenso einfach wie überzeugend, erklärt der Rezensent: die beim Trödler gefundene deutsch-jüdische Emigrantenbibliothek dient als Anlass, nicht nur die Geschichte der Bücher sondern auch ihrer Vorbesitzer zu erzählen. Dabei flicht der Autor auch eigene biografische Stränge mit ein, berichtet Stolzmann. Er findet es bewunderswert, wie Mensching es schafft, die verschiedenen (gründlich recherchierten Biografien) miteinander ins Gespräch kommen zu lassen. Nur einen Fehler hat der schöne Roman, gibt Stolzmann zu: er ist ein Palimpsest, ein uferloser Text, der "Jahre, Orte, Schicksale verschlingt und stets aufs Neue von selbst überschreibt". Ein klarer Fall von Überlänge.