Sandor Marai

Befreiung

Roman
Cover: Befreiung
Piper Verlag, München 2010
ISBN 9783492053723
Gebunden, 194 Seiten, 16,95 EUR

Klappentext

Aus dem Ungarischen von Christian Kunze. Mit einem Nachwort von Laszlo F. Földenyi. Dezemberkälte liegt über dem belagerten Budapest, zwischen Todesangst und Erschöpfung wartet die junge Erzsebet zusammen mit den anderen Bewohnern im Keller eines Hauses auf ihr Schicksal. Tag und Nacht, Mittag und Morgen sind unterscheidungslos geworden. Inmitten von stehlenden, streitenden Menschen empfindet sie dennoch eine Art Milde, denn nun ist er endlich da, der Augenblick der Wahrheit. Während die anderen vor den heranrückenden Belagerern fliehen, beschließt Erzsebet zu bleiben. All ihre Sinne sind hellwach, als plötzlich ein junger Russe den Keller betritt. Geprägt von der Intensität des eigenen Erlebens, erzählt Sandor Marai von Freiheit, Anstand und dem letzten Augenblick seiner sich selbst zerstörenden bürgerlichen Welt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.09.2010

Rezensent Franz Haas lässt keinen Zweifel daran, dass die Bücher, die Sandor Marai bis 1943 geschrieben hat, für ihn keine große Literatur sind: Zuviel gezierte Melancholie über das untergehende Bürgertum mit seinen Biedermeiersofas und alternden Erzherzoginnen schlägt ihm da entgegen. Das ändert sich schlagartig mit dem 1945 verfassten Roman "Die Befreiung" über das Kriegsende in Budapest, das Marai selbst miterlebt hat. Eigentlich war der Roman nie zur Veröffentlichung vorgesehen, denn Marai fasste 1943 den Entschluss, nur noch Tagebuch und "für die Schublade" zu schreiben. Eine Gruppe von Ungarn sitzt im Keller und wartet, bis die Kampfhandlungen zu Ende sind. Marai wirft einen unbarmherzigen Blick auf diese Leute, so Haas: Es sind vor allem Mitläufer, die den faschistischen ungarischen Pfeilkreuzlern beim Aufspüren von Juden geholfen haben oder zumindest die Augen vor deren Untaten verschlossen haben, und die sich jetzt schon mal Gedanken darüber machen, wie man sich mit den sowjetischen Besatzern arrangieren kann. Ihren Kampf ums Überleben beschreibt Marai mit "würgender Drastik", so der sichtlich beeindruckte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.08.2010

Auch wenn Sandor Marai selbst wohl dagegen gewesen sein dürfte, freut sich Rezensent Karl-Markus Gauß über die Veröffentlichung des bereits 1945 in wenigen Wochen verfassten Romans "Befreiung". Neben den bekannteren, fast zu "glatt polierten" Werken Marais erscheine diese frühe Erzählung "weniger elegant" und "kompositorisch unfertig", verleihe der Geschichte damit aber gleichzeitig etwas erfreulich "Unmittelbares". In einem Luftschutzkeller lasse Marai eine Gruppe von Menschen zusammenkommen, die sich vor den Wirren der letzten Kriegswochen verstecken. Wie ein Querschnitt durch die ungarische Gesellschaft wirke diese Gruppe, die über die Bedeutung von Befreiung sinniere. Dabei gehe es nicht nur um die Befreiung von Hunger, Bombenangriffen und deutschem Militärregiment, sondern vor allem um die Befreiung von Illusionen, so der Rezensent. Gebannt verfolgt der Kritiker Marais verzweifelte Suche nach Werten und nach Erklärungen für die Grausamkeiten in seiner Heimat und verzeiht ihm darüber gern manch historische Fehldarstellung.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.05.2010

Dies ist ein Roman aus dem Nachlass von Sandor Marai, den der Autor nie veröffentlichungsfertig überarbeitet hat. Das merkt man durchaus, wie Andreas Kilb feststellt, manches wirkt etwas unfertig und unbalanciert, ein wichtiger Handlungsstrang etwa werde nicht zu Ende geführt. Entstanden war das Buch, das von einer jungen Frau erzählt, die am Kriegsende von einem sowjetischen Soldaten vergewaltigt wird, unter dem unmittelbaren Eindruck der Erlebnisse des Jahrs 1945. Dem Tagebuch Marais aus der Zeit kann Kilb sogar entnehmen, dass vieles, das im Roman geschildert wird, sich tatsächlich zutrug. Und darin bestehe dann gerade die Stärke dieses Buchs: Man merkt ihm, so Kilb, die zeitliche und emotionale Nähe des Autors zu dem, was er schildert, auch in einem guten Sinn an.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.03.2010

Rezensentin Judith von Sternburg liest Sandor Marais Roman "Befreiung", nach Angaben des Autors 1945 in sieben Wochen geschrieben und erst 2000 im ungarischen Original erschienen, das Unfertige, aber zugleich auch das "Atemlose" deutlich ab. Die schrecklichen Geschichten, die Marai hier in drei großen rückblickenden Abschnitten erzählt, wirken ungeheuer authentisch und unmittelbar, so die Rezensentin beeindruckt. Der erste Teil spielt im faschistisch besetzten Budapest in unmittelbarer Erwartung der sowjetischen Truppen, im zweiten Teil findet man sich in der Enge eines Schutzkellers wieder, im dritten Block wird - so genau wie "lapidar" - von der Vergewaltigung der Hauptfigur Erzsebet berichtet, fasst Sternburg zusammen. Insbesondere die Schilderungen aus dem Schutzkeller haben die Rezensenten als die besten Passagen des Romans beeindruckt, denn hier stellt Marai die schier unfassbare "Anpassungsfähigkeit" der Menschen dar, die ihre Situation hinnehmen und eben das Beste draus zu machen suchen. Bitterböse berichte Marais von der Ermordung eines Juden in ihrer Mitte, der man sich auch kurz vor der "Befreiung" durch die Sowjets nicht widersetze.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 18.03.2010

Als sehr bewegend stellt uns Dieter Borchmeyer Sandor Marais erst 2000 im ungarischen Original erschienen Roman "Befreiung" vor, in dem er das Ende des Faschismus in Ungarn und die "Befreiung" durch die Rote Armee in schmerzlicher Intensität geschildert sieht. Der ungarische Autor hat diesen Roman 1945 innerhalb weniger Wochen geschrieben, ihn allerdings nicht zur Veröffentlichung freigegeben, weiß der Rezensent, dem durchaus auffällt, dass der Autor dieses Buch nicht stilistisch überarbeitet hat, es also Längen und Unstimmigkeiten aufweist und überhaupt einen gewissen Fragmentcharakter hat. Dafür sei dieses Werk derart authentisch und wahrhaftig, dass Borchmeyer über derlei leicht hinwegsehen konnte. Es berührt ihn sehr, wie illusions- und rücksichtslos, dafür aber ohne Menschenhass und Larmoyanz Marai die Gesellschaft in völliger Auflösung auf der Grenze "zwischen Leben und Tod" schildert. Dass dieser grandiose Roman von seinem Verfasser nicht der Veröffentlichung wert zu sein schien - man hat ihn nach Marais Sebstmord 1989 auf einem Dachboden gefunden - , lässt Borchmeyer nur noch ehrfürchtiger von diesem "großen Epiker des 20. Jahrhunderts" sprechen.
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