Richard Sennett

Die Kultur des Neuen Kapitalismus

Cover: Die Kultur des Neuen Kapitalismus
Berlin Verlag, Berlin 2005
ISBN 9783827006004
Gebunden, 160 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Welche menschlichen Folgen hat die politische Ökonomie, in der wir leben? Manche nennen das System "neoliberal" und erwecken so den Anschein, als handle es sich dabei um nichts Neues, sondern lediglich um die Ausweitung der Marktwirtschaft auf einen globalen Maßstab. Andere meinen, neue Informations-, Transport- und Produktionstechnologien hätten die Welt in einem Ausmaß umgestaltet, das für unsere Großeltern unvorstellbar gewesen wäre.
Für Richard Sennett geht die ganze Diskussion jedoch am eigentlichen Kern der Sache vorbei. Die tatsächlichen psychologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Kapitalismus zeigen sich laut Sennett vielmehr daran, wie Institutionen organisiert sind und wie die Menschen in ihnen leben. Der "neue Kapitalismus" betrifft also ein soziologisches Ganzes und nicht bloß Wirtschaft oder Technologie. Die Institutionen, in denen wir uns bewegen, haben nach Sennetts Überzeugung unsere Zeitwahrnehmung verändert: Arbeitsplatz, Sozialstaat und Gemeinschaftsleben sind als Bezugsrahmen einem immer rascheren Wandel unterworfen; Ursachen lassen sich kaum noch Wirkungen zuordnen; Absichten und Vorhaben verlieren sich in einem Netz von Unwägbarkeiten und Zufälligkeiten, über die Einzelne und Gruppen immer weniger Kontrolle haben. Kurzum: Institutionelles Leben vermag nicht mehr als Erzählrahmen zu dienen, als eine Geschichte, in der Menschen eine signifikante - aktive - Rolle spielen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.07.2005

Ein bisschen enttäuscht ist Uwe Justus Wenzel von Richard Sennetts neuem Werk "Die Kultur des neuen Kapitalismus". Erst einmal bedrückt ihn die Melancholie, die den einstigen "Neuen Linken" ergriffen hat angesichts der herrschenden kapitalistischen Zustände: Das ist nicht das, was wir damals gewollt haben - darauf laufe Sennetts Haltung hinaus. Nächster Wermutstropfen: Vieles von dem, was das neue Buch liefert, hat Wenzel schon in einem früheren gelesen, in "Der flexible Mensch", das überdies im Untertitel auch noch so hieß wie das nun vorgelegte Werk. Und schließlich bedauert Wenzel, dass der an der London School of Economics lehrende Verfasser "kein Meister der messerscharfen Analyse" ist. Manche Beobachtung, so Wenzel, verläuft sich, vieles endet in einem kritischen Impressionismus autobiografischer Tönung. Dabei stimmt der Rezensent den Thesen des Buches durchaus zu. Die gegenwärtige unscharfe Verfasstheit von Unternehmen laufe auf eine Erosion der Kategorie "Verantwortlichkeit" hinaus, und daraus folgt, Sennett zufolge, eine Erosion des Vertrauens. Auch gerät die traditionelle - protestantische - Arbeitsethik, wie sie Max Weber beschrieben hat, mit der Ungewissheit der persönlichen Zukunft des Arbeitnehmers, die aus seinem Zwang zur ungehemmten Flexibilität entsteht, in Konflikt: "in instabiler Arbeitsumgebung und bei vollständig ungewisser Zukunft" verliert der Weber'sche "Aufschub der Belohnung" seinen Sinn. Das Aufkommen des "entfesselten Konsumenten" betrachten sowohl Sennett als auch sein Rezensent mit Skepsis: Die diesem Konsumentenmodell zugrunde liegende "Ideologie der Potenz" offenbare ihre Absurdität beispielsweise in Geräten, die "10.000 Musikstücke im Zigarettenschachtelformat" anbieten.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.07.2005

Der Soziologe Richard Sennett beginnt seine Analyse der kapitalistischen Kultur der Gegenwart mit einem Rückblick auf die von Max Weber beschriebenen Anfänge der Bürokratisierung, schreibt Rezensent Robert Misik und fasst kurz zusammen, worum es dabei geht: In Auseinandersetzung mit Max Webers These vom "Gehäuse der Hörigkeit" pointiere Sennett gerade die Freiheitsmomente der herkömmlichen hierarchischen Strukturen - indem er die Verlässlichkeit eines erwerbbaren und nach dem Erwerb verwendbaren "handwerklichen Könnens" betone. Dies sei heute, so Sennetts These, fast gänzlich entwertet. Zur "paradigmatischen Figur" sei der Unternehmensberater geworden, der nicht stabilisiere, sondern irritiere. Das Neue werde zum Wert an sich, die Welt des Konsums breite sich aus, bis in die Politik. Der Rezensent will Sennett in seinen Analysen gar nicht grundsätzlich widersprechen, kann aber nicht umhin, den "beträchtlichen kulturkritischen Mief" zu bemerken, der aus diesen allzu einseitigen Untersuchungen aufsteige. Und ein wenig fragt er sich schon, wie weit es mit der Freiheit innerhalb der Bürokratie wirklich her war und ob nicht doch die Spielräume für "Kreativität" in der Gegenwart gewachsen sind.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.06.2005

Immerhin eine Überlegung in Richard Sennetts Gedanken zum Kapitalismus findet Gnade vor Wolfgang Englers kritischem Blick. Ganz richtig bemerke Sennett, dass sich ein Verhaltensmuster aus der Wirtschaft auf die Politik übertragen hat: die Betonung der Differenz. Die Politiker wollen sich von ihren Kontrahenten abgrenzen und betonen die Unterschiede überproportional, die heutzutage aber inhaltlich recht ähnlichen politischen Positionen werden reduziert auf Personen und Äußerlichkeiten, der Bürger zum Konsumenten degradiert, der nurmehr auf den nächsten Reiz wartet. Die inhaltliche Arbeit bleibe auf der Strecke. "Prestige schlägt Brauchbarkeit". Die Lösung Sennetts für die Flucht aus der "doppelten Zange von Macht- und Marktfetisch" ist Engler aber zu schwammig. Der Verweis auf Grundeinkommen, Parallelinstitutionen wie Gewerkschaften und schließlich "zünftisch-bürgerliche" Tugenden scheint ihm eher der Ausdruck einer "unbestimmten" Hoffnung als ein realistischer Lösungsansatz zu sein.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.06.2005

Richard Sennett habe es in seinem jüngsten Buch geschafft, seine notorische "Neigung zum Impressionistisch-Anekdotischen" unter Kontrolle zu halten, vermerkt der Rezensent Bruno Preisendörfer, der von der wissenschaftlichen Standards entsprechenden Systematik sehr angetan ist. Der Rezensent sieht mit den behandelten Fragen einen Diskurs fortgeführt, den Sennett in seinem letzten Buch "Der flexible Mensch" begonnen habe. Obwohl der Autor seit 1997 in Großbritannien lebe und von der Situation der Mensch dort spricht, seien seine Gedanken hilfreich auch im Hinblick auf die "Lage in Deutschland", bemerkt Preisendörfer. Besonders interessant findet er Sennetts Gedanken einer "Klassentrennung innerhalb der Mittelschicht", die sich in den Besitzstandsinteressen der Verlierer und den Zukunftsinteressen der Gewinner ausdrückt.