Reinhart Koselleck

Begriffsgeschichten

Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache
Cover: Begriffsgeschichten
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783518584637
Gebunden, 600 Seiten, 38,00 EUR

Klappentext

Mit zwei Beiträgen von Ulrike Speer und Willibald Steinmetz sowie einem Nachwort zu Einleitungsfragmenten Reinhart Kosellecks von Carsten Dutt. Im Zentrum von Reinhart Kosellecks Werk steht die Begriffsgeschichte, deren Paradigma er - der "denkende Historiker", wie Hans-Georg Gadamer ihn einmal genannt hat - maßgeblich entwickelt und zur Grundlage des von ihm mitherausgegebenen Großlexikons der "Geschichtlichen Grundbegriffe" gemacht hat. Die Begriffsgeschichte Koselleck'scher Prägung wendet sich ganz spezifisch gegen eine abstrakte Ideengeschichte. Sie richtet sich auf den tatsächlichen Sprachgebrauch im sozialen, politischen und rechtlichen Leben. Dabei werden konkrete Erfahrungen und Erwartungen an der Gelenkstelle zwischen sprachgebundenen Quellen und politisch- sozialer Wirklichkeit ausgemessen.
Mit dieser Sammlung von 25 Untersuchungen hinterlässt ihr Autor ein Vermächtnis. Er erzählt die Geschichte unserer, der modernen Welt, anhand der Begriffsgeschichten von "Staat", "Revolution", "Aufklärung", "Emanzipation", "Bildung" und "Utopie". Stets wird dabei der Doppelstatus dieser Begriffe, ihre Indikatoren- und Faktorenrolle im historischen Prozess, deutlich. Die semantisch-pragmatische Analyse der Begriffe macht Kontinuitäten ebenso wie Umschlagpunkte der Sozial- und Kulturgeschichte sichtbar und gibt so eine eigene Form geschichtlicher Erfahrung frei: Die Historie der Begriffe wird zum Medium der historischen Selbstaufklärung der Gegenwart.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.12.2006

Der in diesem Jahr gestorbene Historiker Reinhart Koselleck hat diesen Band mit "Begriffsgeschichten" aus 30 Jahren zwar noch zusammengestellt, allerdings nicht mehr selbst abschließen können, teilt Gustav Seibt mit. Darin geht der Autor, der sich vor allem mit revolutionärer Sprache um 1800 befasst hat, historischen Begriffswandlungen nach, sei es der antike "Kreislauf der Verfassung", der zur modernen Revolution wird, oder der antike Bürgerbegriff, der vom mittelalterlich-neuzeitlichen Stadtbürger abgelöst wird, erklärt der Rezensent. Nach Koselleck zieht ein Wandel der Begriffe, wenn auch zeitlich verschoben, immer auch einen gesellschaftlichen Wandel nach sich. Diesen Verschiebungen genau und scharfsichtig nachzuspüren, preist Seibt als die besondere Gabe des Autors. Er vergleicht die Begriffsgeschichten mit Lichtstrahlen, die in eine unübersehbare Finsternis strahlen, und findet, dass dieser Band in "jeder Bibliothek" stehen sollte, weil sie die Rezeption von Texten der Vergangenheit verändern.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.12.2006

Als Historiker hat der zu Beginn dieses Jahres gestorbene Reinhart Koselleck seine Arbeit gern in den Zusammenhang aktueller politischer Debatten gestellt, meint Michael Jeismann. So habe sich der Autor, dessen gesammelte Aufsätze zur "Begriffsgeschichte und Semantik" nun postum erschienen sind, beispielsweise 1979 eingehend mit der "modernen Ökologie" und ihre Implikationen für die Politik auseinander gesetzt und seine Befunde hätten noch heute Bestand, stellt der Rezensent fest. Bei diesem Thema sieht Koselleck zwei "Systeme" aufeinander stoßen, nämlich das des technisch-ökonomischen Fortschritts und das der sich selbst erhaltenden Natur, wobei er ein früheres Grundvertrauen in die Segnungen der Technik schwinden sieht, referiert der Rezensent, der das Buch offenbar mit großem Interesse gelesen hat.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.12.2006

Als "tief schürfendes Kompendium über den reflektierten Gebrauch sozialer und politischer Sprache" würdigt Stephan Schlak diesen nachgelassenen Band mit Aufsätzen des inzwischen verstorbenen Reinhart Koselleck. Die gesammelten Studien dokumentieren für Schlak das hohe Ethos der unermüdlichen Begriffsarbeit des Historikers. Koselleck betrachte Begriffe nicht nur als Indikatoren für den historischen Wandel, sondern als selbst geschichtsmächtige Faktoren, wie er an Kampf- und Parteibegriffen wie "Geschichte", "Fortschritt", "Freiheit" deutlich mache. Erstaunlich findet Schlak die kritische Betrachtung des Begriffs der Nation, die er von dem vermeintlich konservativen Historiker nicht erwartet hätte. Generell bezeugen die Aufsätze seines Erachtens, wie sehr sich Koselleck von seinen einstigen Mentor Carl Schmitt gelöst hat. So sieht er in den "Begriffsgeschichten", Kosellecks "Vermächtnis", dann auch ein "wirksames Gegenmittel gegen neue Feinderklärungen".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.10.2006

Rezensent Thomas Meyer feiert diesen posthum erschienenen zweiten Band von Reinhart Kosellecks Beiträgen zur Geschichte politischer und sozialer Begriffe als "kantiges", aber hochkarätiges Werk von hohem geschichtsphilosophischem Erkenntniswert. Der im Februar 2006 verstorbene Historiker bewältige und bereite in seinen "Begriffsgeschichten" riesige Stoffmassen auf, und zwar auf eine methodisch und erkenntniskritisch "einmalige Weise", wie der Rezensent mit großer Demut protokolliert. Kosellecks Methode beschreibt Meyer als Registrierung der Veränderung eines Begriffs auf der "Zeitachse", und seine Analyse im "Nachvollzug" der diese Veränderung bewirkenden Ereignisse. Aus Sicht des Rezensenten erreicht diese Methode allein schon durch ihr Erkenntnisinteresse "die Totale der Geschichte", jedoch ohne sie in ein "Erklärungsmodell zu überführen" - was entscheidende Qualität empfindet. Auf diesem Weg durchkreuze der Autor auch die "geschichtsphilosophische Hoffnung", dass irgendetwas je begrifflich komplett auf den Punkt zu bringen sei. Der Rezensent berichtet von "großer intellektueller Freude" bei der Lektüre und erweist im übrigen auch dem Suhrkamp-Verlag für diese, durch zwei Register erschlossene, "vorzügliche Edition" seine Referenz.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.10.2006

Als "Vermächtnis" bezeichnet H. D. Kittsteiner den Band mit gesammelten "Begriffsgeschichten", der als eine theoretische, methodologische und selbstkritische Bilanz von Reinhart Kosellecks Wirken gedacht war. Koselleck konnte den Band aber nicht mehr selbst fertigstellen. In seiner überwiegend auf den Inhalt konzentrierten Besprechung geht Kittsteiner ausführlich auf die einzelnen Kapitel ein. Der fünfte Teil mit der Überschrift "Von der Begriffsgeschichte zur begriffenen Geschichte" regt den Rezensenten zu einigen Gedankenspielen an. Wie Koselleck diesen gedanklichen Sprung bewerkstelligt hätte, hätte Kittsteiner außerordentlich interessiert, müsse aber letztlich offen bleiben, da die für dieses Kapitel eigentlich vorgesehene Skizze fehlt. Große Historiker jedoch, meint Kittsteiner voller Respekt, dürfen große Fragen hinterlassen.