Raymond Geuss

Privatheit

Eine Genealogie
Cover: Privatheit
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783518583555
Broschiert, 142 Seiten, 14,90 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Karin Wördemann. Für die politische Theorie und Praxis ist keine andere Unterscheidung so wichtig wie diejenige zwischen "öffentlich" und "privat". Doch lassen sich beide Sphären tatsächlich so problemlos differenzieren, wie wir in unserem Alltag unterstellen? Raymond Geuss bestreitet das. In seinem Buch unterzieht er das alte Begriffspaar privat/öffentlich einer von Nietzsche und Foucault inspirierten Genealogie. Drei konkrete Fallstudien problematisieren die schwierige Grenzziehung: Diogenes, der auf dem Marktplatz masturbiert, Cäsar, der den Rubikon überschreitet, sowie Augustinus, der sich ganz seinem eigenen Seelenheil widmet. Geuss' Fazit: Die Unterscheidung fällt in sich zusammen. Das jedoch hat gravierende Auswirkungen auf die Politik und das politische Denken.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.03.2003

Uwe Justus Wenzel empfiehlt diesen Band allen, "denen immer schon alles klar ist", lesen würden ihn aber wieder wohl nur die, "denen es nicht so geht". Er lobt diese Untersuchung des in Cambridge lehrenden Geuss' als einen "tastenden, klugen Essay", der ein Bewusstsein für die historische Kontingenz der uns so selbstverständlichen Unterscheidung von "öffentlich" und "privat" schaffe. Geuss gehe es dabei, meint Wenzel, außerdem um eine "Anatomie" des Liberalismus samt seiner "ihm eigenen Widersprüchlichkeiten". Die Belege für seine These, wonach die Unterscheidung von "öffentlich" und "privat" schon immer sehr Verschiedenes unterschieden und bezeichnet hat, habe Geuss' in der Begriffs- und Realgeschichte der Antike gesucht und gefunden. Geuss "genealogischer Blick" fällt zunächst auf Diogenes von Sinope, dann auf Rom und schließlich auf Augustinus. So gelinge es Geuss, vor allem drei sehr verschiedene Möglichkeiten nachzuweisen, "Öffentlichkeit" beziehungsweise "das Private" zu verstehen: Öffentlichkeit als Ort, an dem "nichts geschieht, was nicht von irgendjemand beobachtet wird"; Öffentlichkeit als Ort der Angelegenheiten, "die jeden angehen"; und anhand von Augustinus' Innerlichkeit schließlich zeige Geuss ein Verständnis von Privatheit, das diese auf das reduziert, zu dem "kein anderer Mensch (direkten) Zugang hat." Wenzel vermutet, dass für Geuss wohl nur dieser letzte Hort des Privaten der kulturellen Kontingenz gänzlich entzogen sei -- was ja keinen sehr beruhigenden Ausblick auf die Zukunft des Liberalismus eröffnet.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.11.2002

Begeistert zeigt sich Rezensent Christoph Menke vom neuen Buch des englischen Philosophen Raymond Geuss. Er würdigt Geuss' Kritik der liberalen Vorstellung des Privaten als Musterbeispiel an politischer Philosophie. In der Tradition der Genealogie Nietzsches und Foucaults gelingt es Geuss dem Rezensenten zufolge zu zeigen, dass der Begriff der Privatheit, der im modernen Liberalismus vorherrscht, unter dem Schein seiner Natürlichkeit seine repressive Praxis verbirgt, und damit zur Ideologie wird. "Die Genealogie", erklärt Menke, "zeigt hingegen, dass sich hinter jeder Inanspruchnahme von Privatheit Wertungen verbergen, die nicht nur begrifflich disparat, sondern gesellschaftlich kontrovers, ja antagonistisch sind." Er hebt hervor, dass Geuss - indem er den begrifflichen Schein zerstört und auf die ideologischen und geschichtlichen Implikationen des Begriffs der Privatheit hinweist - das Versprechen einer politischen Philosophie erneuert. Damit steht er für Menke in der großen Tradition der frühen kritischen Theorie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.10.2002

Eine Genealogie vertrete den Anspruch, sinniert Beate Rössler, über "historische Illustrationen" hinauszugehen. "Eine Genealogie" heißt es im Untertitel der Untersuchung des englischen Philosophen Raymond Geuss über das Spannungsverhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Dem Gradmesser der Rezensentin kann diese "Genealogie" nicht standhalten. Zwar lobt Rössler Geuss' "amüsanten" und "gut lesbaren" Stil, der mehr als ein Fachpublikum anspreche, auch haben ihr die drei historischen Beispiele - Diogenes von Sinope, Caesar und Augustinus - anhand derer Geuss das unterschiedliche Verständnis von Privatem und Öffentlichem aufzeige, gefallen, doch reicht das der Rezensentin noch lange nicht. "Genealogische Kritik" müsse Aspekte der Macht, der Identität und der Subjektkonstitution miteinbeziehen. Und genau das habe Geuss mit seinen zwar "schönen", aber "anekdotenhaften" Beispielen unterlassen.