Rainald Goetz

Johann Holtrop

Abriss der Gesellschaft. Roman
Cover: Johann Holtrop
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
ISBN 9783518422816
Gebunden, 343 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

Ein Chef stürzt ab. "Johann Holtrop" erzählt die Geschichte eines Chefs aus Deutschland in den Nullerjahren. Der charismatische, schnelle, erfolgreiche Vorstandsvorsitzende Dr. Johann Holtrop, 48, seit drei Jahren Herr über 80.000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von fast 20 Milliarden weltweit, ist aus der Boomzeit der späten 90er Jahre noch ganz gut in die neuen, turbulenten, wirtschaftlich schwierigeren Zeiten gekommen. Die Handlung setzt ein im November 2001 und erzählt in drei Teilen, wie im Lauf der Nullerjahre aus Egomanie und mit den Widerständen wachsender Weltmissachtung, der Verachtung der Arbeit, der Menschen, der Gegenwart und des Rechts, ganz langsam und für Holtrop selber nie richtig klar erkennbar, ein totaler Absturz ins wirtschaftliche Aus, das persönliche Desaster und das gesellschaftliche Nichts wird, so abgrundtief und endgültig, wie sein früherer Aufstieg unwiderstehlich, glorios und plötzlich gewesen war.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.10.2012

Die Gehässigkeit dieses auch sonst rundum gelungenen, im Innern eines Medienkonzerns angesiedelten Romans schätzt Andreas Fanizadeh sehr. Um große Adjektive ist der Rezensent insbesondere auch vor dem Hintergrund der bislang recht verhaltenen Reaktionen der Literaturkritik zudem nicht verlegen: Gerade über die gescholtene grelle Personenzeichnung und Goetz' ätzende Zuspitzungen freut er sich wie ein Schneekönig und bringt genüsslich viele Passagen aus dem Buch zum Besten, die Goetz' böse Abrechnung eindrucksvoll unterstreichen. Als "bohemistische Unerbittlichkeit" in der Tradition Thomas Bernhards bezeichnet der vom lauthals Loslachen bald glücklich erschöpfte Fanizadeh schlussendlich diese Methode, die den Betrieb schonungslos seziert.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.09.2012

Der Rezensent Rainer Moritz lässt keine Zweifel daran, dass er von Rainald Goetz' Roman nicht viel hält. In "Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft" sei der Name Programm. Es gehe um den gleichnamigen Unternehmer, der, gewollt paradigmatisch für die Gesellschaft, uneingeschränkt seiner Geldgeilheit fröne und sich mit Stimulanzien aufputsche. "Abriss der Gesellschaft" sei doppelt zu verstehen: es gehe Goetz sowohl um einen Überblick als auch um eine Demontage unserer heutigen Lebenswelt. Politik und Medien gehen dem gerissenen Holtrop gleichermaßen auf den Leim. Der Autor wolle das "moralisch Verkommene" der neuen Generation in den Chefetagen aufzeigen, meint der Rezensent, aber Goetz bleibe konstant vorhersehbar und plakativ, schreibe aus einer "Attitüde des Rechthabens und Besserwissens". Besonders böse ist Moritz' Mitleidsbekundung an den Lektor, der vor Goetz' Formulierungen kapitulieren musste. Ein Rezensent zelebriert seinen Verriss.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.09.2012

Goetz setzt "neue Maßstäbe" für den Gesellschaftsroman, deklamiert Rezensent Martin Halter, der diesen so doppeldeutigen, wie eindeutig zu verstehenden "Abriss der Gesellschaft" mit offensichtlich grimmiger Freude gelesen hat. Das "System" jedenfalls, um das es in diesem "Panorama" geht, also die Medienbranche im boomenden Kapitalimus der Nuller Jahre, in dem erst die Finanzkrise die arrogant karrieristische Titelfigur vom Höhenflug in die Reha-Klinik stürzen lässt, erscheint dem Rezensent mit dem Autor jedenfalls als nicht mehr reformierbar, sondern als Fall für die "Totalabrissbirne Goetz", dessen Rage, Witz und "hitzköpfige Sprachgewalt" den Rezensent, trotz mancher "ebenso hilflosen wie überflüssigen Kommentare", sichtlich beeindruckt. Bei aller Freude muss Halter aber auch einräumen, dass ihn manche Passagen in ihrem maximalistischen Zorn dann doch "selbstgerecht" wirkt und ihn ermüdet hat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.09.2012

Nach der Lektüre von Rainald Goetz' groß angekündigtem Roman "Johann Holtrop" muss Rezensent Lothar Müller gestehen, dass er mehr von dem für seine Beobachtungsgabe berüchtigten "Gegenwartsreporter" erwartet hätte. Die Geschichte um den Vorstandsvorsitzenden Johann Holtrop, der hier vom Höhepunkt seiner Macht über die Krise bis zum Absturz begleitet wird, hat den Kritiker leider in mehrerlei Hinsicht enttäuscht: Nicht nur der Protagonist, der an den Ex-Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann AG, Thomas Middelhoff, angelehnt ist, sondern auch die anderen Figuren erscheinen Müller wie den Medien entnommene "Readymades", deren Maskeraden trotz des erklärten Vorhabens nicht durchschaut werden. Das liegt, so der Kritiker, nicht zuletzt an der unbeholfenen Figur des Erzählers, die in "hochdramatischen Erregungsauftritten" und einem Übermaß an angestrengter Terminologie - etwa: "Interessantizismus" - Zeitungsstoffe und Bürokommunikation analysiert, ohne diese jedoch so kunstfertig nachzubilden wie etwa die Romanciers des 19. Jahrhunderts. Auch wenn der Rezensent dem in diesem Roman ausgiebig verarbeiteten Zeitungsstoff einige interessante Thesen über den Geist der Nullerjahre entnimmt, erscheint ihm dieses Buch, das nur mühsam die Romanform aufrecht erhält, zu durchsichtig.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.09.2012

Andreas Platthaus zeigt sich unbeeindruckt vom Hype um den neuen Roman von Rainald Goetz. Tatsächlich scheint ihn "Johann Holtrop" nicht wirklich überzeugt zu haben. Literarisch geht das Werk für ihn nicht über "Irre" hinaus. Im Blick auf die Beschreibung und Inszenierung der Figuren fühlt er sich immer wieder an jenen Roman erinnert. Goetz' Beschreibung der Managerwelt basiert nach Einschätzung von Platthaus "weniger auf Anschauung als auf Anschmiegung". Er hält dem Autor vor, so "selbstherrlich" zu schreiben, wie sein Personal geschildert wird: Da geht es mitunter geschmacklos, albern, verletzend und skrupellos zur Sache. Andererseits findet Platthaus einige Szenen von großer Komik. Ja, er attestiert dem Roman "eine der komischsten Szenen der deutschen Literatur" (S. 178 f.). So kommt er letztendlich zu dem durchwachsenen Urtei: als Zeitdiagnostiker und Satiriker kann er Goetz gut finden, als Romancier gefällt er ihm weniger.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.09.2012

Die Wirklichkeit in deutschen Konzernen ist um einiges komplizierter als Rainald Goetz es hier darstellt, meint Zeit-Wirtschaftsredakteur Rüdiger Jungbluth, der das Buch neben Iris Radischs literarischer Kritik auf seine Wahrscheinlichkeit überprüfen darf. Dafür erzählt Goetz "reduzierter und böser" als die Realität, meint der Rezensent. Mühelos hat er eine Reihe von Personen aus dem Politik- und Wirtschaftsleben wiedererkannt, die Zahl derer, die sich beleidigt fühlen könnten, liegt seiner Schätzung nach im zweistelligen Bereich. Imponiert hat ihm wohl auch die Erfindung sehr realitätstreu klingender Wörter für wirtschaftliche Vorgänge, die es gar nicht gibt: "Abschreibungsdispo" oder "Finalverbindlichkeits-Swaps" zum Beispiel. Kurz: Der Kritiker scheint sich nicht gelangweilt zu haben. Aber am Ende war es ihm doch zuviel mit der Verachtung, die Goetz seinen Romanfiguren entgegenbringt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.09.2012

Dieser Roman kreist um einen echten Konzernmanager, Thomas Middelhoff, erklärt Rezensentin Iris Radisch. Rainald Goetz hat ihn wohl als Vorlage für seine Hauptfigur benutzt, um seinem Roman mehr Gewicht zu geben, glaubt sie. Denn Goetz wolle hier nicht einfach eine Geschichte erzählen, sondern ein ganzes Zeitalter der Raffgier vorführen. Für Radisch ist das nur zum Teil gelungen. Zu eindimensional sind ihr die kaltherzigen bösartigen Machtfiguren des Romans. Sie fühlt sich eher an die Tagesschau erinnert als an ein Balzacsches Sittengemälde. Doch immer dann, wenn Goetz die konkreten Beziehungen in dieser Männer-Macht-Welt beschreibt, ist Radisch gefangen. Das Schulterklopfen, das Ignorieren, die ganze Feinfühligkeit, die in den Umgang mit den Nächsthöheren investiert wird, die findet sie hervorragend beschrieben. Nur als Zeitgemälde überzeugt sie der Roman nicht.