Oskar Negt

Wozu noch Gewerkschaften?

Eine Streitschrift
Cover: Wozu noch Gewerkschaften?
Steidl Verlag, Göttingen 2004
ISBN 9783865210531
Gebunden, 175 Seiten, 14,00 EUR

Klappentext

Warum für die 35-Stunden-Woche streiken, wenn Wirtschaft und Politik längere und flexiblere Arbeitszeiten als Allheilmittel preisen? Wieso den Flächentarif verteidigen, wenn Einzellösungen gefragt sind? Wozu noch Gewerkschaften, wenn es immer weniger Arbeiter und Gewerkschafter gibt? Statt gesellschaftliche Reformen mit voranzutreiben, gelten die Gewerkschaften selbst in den eigenen Reihen mehr und mehr als Reform- und Wachstumsbremse. Dabei könnten sie, wenn sie denn wollten, gerade in der jetzigen Krise, die einen Umbau der Arbeitswelt und der gesamten Gesellschaft erfordert, Impulse für neues solidarisches Handeln geben. Oskar Negt, der die Entwicklung der Gewerkschaften seit vielen Jahren kritisch begleitet, plädiert in seiner Streitschrift für eine grundlegend neue Zukunftsperspektive.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.03.2005

Als "wichtiges Buch" würdigt Warnfried Dettling diese "Streitschrift wider die Resignation", die Oskar Negt, der "Altmeister der kritischen Sozialwissenschaften", nun vorgelegt hat. Im Zentrum des Buchs sieht Dettling die Frage, was Politik in der heutigen Zeit noch bedeuten kann - einen Abwehrkampf gegen die Eigendynamik einer wirtschaftlichen Rationalität in der Gesellschaft oder die öffentliche Einmischung aller in ihre gemeinsamen Angelegenheiten? Negt suche die Gewerkschaften für den zweiten Begriff von Politik zu gewinnen, darin sehe er auch ihren Beitrag für die Zukunft. Den Rückgang von Mitgliedern, Ansehen und Einfluss bei den Gewerkschaften deute er letztlich als Zeichen einer tiefgreifenden Sinn- und Orientierungskrise, gegen die er den Gewerkschaften die "Flucht nach vorn" empfehle: "die Erweiterung ihres Horizonts und ihres Begriffs von gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen sowie die Wiederentdeckung des politischen und des kulturellen Mandats", wie es Dettling zusammenfasst. Er hebt hervor, dass Negt für die Gewerkschaften entsprechend neue Handlungsfelder entwickelt, die den veränderten Realitäten der Arbeits- und Lebenswelt gerecht werden. Er verdeutliche dieses  "neue" politische Mandat der Gewerkschaften an Themen wie Geschlechterbeziehungen, "Work-Life Balance", und den Chancen und Problemen, die die Wechselbeziehungen zwischen Altern und Arbeitsmarkt aufwerfen. Negt entwerfe nicht nur ein neues Profil für die Gewerkschaften im 21. Jahrhundert, "eindrucksvoll" dokumentiere er zudem "dass und wie eine linke Tradition ihre Sprache wieder finden kann."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.01.2005

"Ungewöhnlich interessant" findet Volker Ullrich die Streitschrift Oskar Negts zu einer der "Schlüsselfragen unserer Gegenwart" und freut sich, dass die kritischen Intellektuellen des Landes offenbar ihre Sprache wiedergefunden haben. Gegen die These, die Gewerkschaften hätten sich in Zeiten der Globalisierung und des entfesselten Kapitalismus überlebt, trete Negt an und lege dabei die Symptome der gesellschaftlichen "Krise" gleich zu Beginn "schonungslos" offen: Mehr als ein Drittel ihrer Mitglieder hätten die Gewerkschaften zwischen 1991 und 2003 verloren, zitiert Ullrich den Autor, was aber nicht an der hohen Arbeitslosigkeit liege, sondern an der "kulturellen Erosionskrise", also dem Verlust traditioneller Werte. Die Gewerkschaften dürfe man nicht einfach aufgeben, sonst werde der Sozialstaat "in seinem Kern beschädigt". Demokratie ohne Sozialstaat sei aber nicht denkbar, resümiert Ullrich weiter. Dennoch kritisiere der Autor auch die Gewerkschaften. Er empfiehlt ihnen, sich nicht auf eine "trotzige Verteidigungshaltung" zu versteifen, sondern ihr Interessensfeld auf andere Lebenszusammenhänge wie Familie oder Ökologie auszuweiten.