Kevin Vennemann

Nahe Jedenew

Roman
Cover: Nahe Jedenew
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005
ISBN 9783518124505
Kartoniert, 142 Seiten, 8,00 EUR

Klappentext

Nahe Jedenew, einem Kindheitsort, spielen Anna, Marian und ihre Freunde Vater-Mutter-Kind und Verstecken, sie bauen sich ein Baumhaus gegen lauernde Gefahren. Sommer für Sommer; im Zeitraffer geht die Kindheit zu Ende. Nahe Jedenew, einem gedachten polnischen Dorf zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, zerbricht mit den hereinbrechenden deutschen Besatzern jene funktionierende Zweckgemeinschaft, die Juden und Katholiken dort über die Jahre verbunden hatte. Bauern verbreiten mit den Besatzern singend und grölend Angst und Schrecken, plündern die Höfe ihrer Nachbarn, legen Feuer.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 13.07.2006

Kevin Vennemanns "Nahe Jedenew" ist ein "schreckliches" und "schmerzhaftes" Buch, meint Rezensent Florian Kessler. Aber das soll es auch sein, meint er, denn es verarbeitet das Thema der Judenverfolgung in Europa. Kessler lobt, dass die Grausamkeiten von damals durch diesen "Kunstgriff" angemessen dargestellt würden. Die Hauptfiguren des Romans sind die Ich-Erzählerin und ihre Zwillingsschwester: Kinder, die in ihrem Versteck vor den Häschern ihr kurzes Leben noch einmal Revue passieren lassen. Vennemann sei es hervorragend gelungen, die Perspektive der unschuldigen Kinder einzunehmen und auf diese Weise eindrucksvoll zu schildern, wie schnell und unvermutet nachbarschaftliche und freundschaftliche Beziehungen aufbrechen und sich in Feindschaft verwandeln können. Durch diese originelle Sichtweise hebe sich der 1977 geborene Autor angenehm von der Masse ab, stellt Kessler beeindruckt fest, und erwartet schon das nächste Buch.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.04.2006

"Solche Schwerelosigkeit bei einer solchen Bürde!" - Alexandra Kedves gerät ins Schwärmen, und zwar nicht nur darüber, wie "geschmeidig" Kevin Vennemann in seinem ersten Roman die Geschichte von jüdischen Kindern in Polen erzählt, die im Zweiten Weltkrieg die Ermordung ihrer Familie durch die Nachbarn miterleben. Kedves kann sich kaum vorstellen, dass Vennenmann weit nach dem Krieg geboren wurde, so überzeugend schreibt er aus der Perspektive eines Kindes "in böser Zeit". Die Rezensentin hat das Buch nicht nur gefesselt, sondern manchmal geradezu geängstigt. Dass die Lektüre "unheimlich", ja zuweilen "unerträglich" wird, schreibt Kwedves der "formalen Kunstlosigkeit" Vennemanns zu. Dabei sei der Stil keineswegs trocken, sondern "flüssig" und mit einer eigenen Melodie. "So viel Musik bei so viel Massaker!". Die Häufung der Ausrufezeichen zeigt es an: Alexandra Kedves hat dieses "kleine literarische Wunder" von den Socken gehauen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.02.2006

Helmut Böttiger hat höchstes Lob zu vergeben. Der Debütroman des 1977 geborenen und in Berlin lebenden Kevin Vennemann stelle nicht nur das Talent des Autors unter Beweis sondern rage als "literarisches Versprechen" unter den Neuerscheinungen der jungen Literatur der letzten Jahre heraus. Sprachlich virtuos umgesetzt, in der Schwebe gehalten und doch leicht zu lesen sei die Geschichte über zwei adoleszierende, vermutlich jüdische Schwestern in einem osteuropäischen Landstrich, die sich Ende der dreißiger Jahre mit dem Leben zweier Bauernfamilien verknüpfe. Dass der Autor die genauen Zeit- und Ortsverhältnisse, ebenso wie gesicherte Annahmen über die Beziehungen des Romanpersonals weitgehend im Unklaren lasse, und in ein "flirrendes Erzählkontinuum" versetzt, immer wieder neu kombiniere, mache die große Anziehungskraft des Buches aus und fordere das Assoziationsvermögen des Lesers heraus, so der Rezensent. Man befinde sich eben immer nur "nahe Jedenew", wie es der Titel schon verspreche.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.01.2006

Georg Diez ist hingerissen. Der "erste Kriegsroman einer neuen Generation" erzähle traurigschön von den Erlebnissen einer polnischen Familie, die von den katholischen Nachbarn an die Nazischergen verraten wurde. Viel mehr an Inhalt ist dem Rezensenten nicht zu entlocken, zu sehr nehmen ihn ein sonderbare Ton und der kreisende Impuls des Romans in Anspruch, der auf "provozierend melodiöse" Weise den Zweiten Weltkrieg erzähle, "als sei es eine Kindergeschichte". Wie mit der Zoomtaste an der Kamera hole der Autor die Ereignisse und Menschen an sich heran und halte sie in der Schwebe. Nicht die eigene Vergangenheit werde erzählt, sondern der Blick auf die Geschichte als Gegebenes, die als solches zum Material und Mythos wird. Trotzdem sei Vennemanns Buch nicht unbedingt unpolitisch, sondern erzähle die alte Geschichte von Misstrauen und Missgunst neu, zwar ohne "neue Einsichten hinzuzufügen", jedoch in einem "neuen, eigenen Ton".