Kazuo Ishiguro

Als wir Waisen waren

Roman
Cover: Als wir Waisen waren
Albrecht Knaus Verlag, München 2000
ISBN 9783813501681
Gebunden, 356 Seiten, 21,47 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Sabine Herting. England in den Dreißigerjahren, die Zeit zwischen den Weltkriegen. Christopher Banks ist der berühmteste Detektiv des Landes, und seine Fälle halten die Londoner Gesellschaft in Atem. Doch es gibt einen Fall, den Banks noch nicht bewältigt hat, der ihn quält und bis in seine Träume verfolgt: das Rätsel um das Verschwinden seiner Eltern. Es geschah in den Tagen seiner Kindheit in Shanghai. Beide sollen sie gekidnappt worden sein , und beide waren sie in den damals florierenden Opiumhandel verstrickt; der Vater als Profiteur, die Mutter als erklärte Gegnerin. Kann es sein, dass Banks es nur deshalb zu derart grandioser kriminalistischer Meisterschaft gebracht hat, um endlich seinen eigenen Fall, seine eigenen Probleme zu lösen? Er macht sich auf den Weg nach Shanghai, zurück in die Stadt seiner Kindheit, wo die Kämpfe zwischen Chinesen und Japanern nicht viel mehr als Ruinen hinterlassen haben...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.11.2000

Andreas Krüger beschreibt diesen Roman als ein "sehr nachdenkliches und kluges Buch über das, was vom letzten Jahrhundert übrigbleiben wird: Private Lives". Konsequent aus der persönlichen Perspektive, den gesellschaftspolitischen Aspekt vernachlässigend, erzähle der Protagonist Christopher Banks seine Geschichte: wie er seine Eltern im Shanghai vor dem ersten Weltkrieg verliert, als Waise in ein englisches Internat kommt, ein erfolgreicher Detektiv wird und schließlich nach Shanghai zurückkehrt, um das Verschwinden seiner Eltern aufzuklären. Man muss den Erinnerungen des Erzählers jedoch misstrauen, so der Rezensent und führt als Beispiel Akira, den japanischen Freund Banks an, dem dieser im nachhinein ein "gebrochenes Pidgin-Englisch" andichtet, dass Akira nie gesprochen hat. Gerade dieses "subtile Spiel mit der Sprache" macht für Krüger die größte Qualität des Buchs aus. Kritik übt er jedoch an der Übersetzung, von der er sich gewünscht hätte, dass sie "weniger wortgetreu am Original" klebt, sondern sich mehr an den "deutschsprachigen Romanen jener Jahre" orientiert.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.09.2000

Überrascht und begeistert ist Susanne Mayer, die gesteht, süchtig nach den Büchern des Autors zu sein. Überrascht ist sie, weil der Roman wie ein Krimi daher kommt und scheinbar "Handfestes" anbietet. Doch bald stellt sich heraus, so Mayer, dass dieses Buch in Wahrheit mit dem Krimigenre wenig gemein hat und tatsächlich eine psychologische und philosophische Untersuchung über "Menschen in kontrollierter Verzweiflung" ist. Wie stets gehe es dem Autor um Fragen nach der Schuld der Protagonisten. Die Rezensentin lobt auch die Übersetzerin, der es gelungen sei, den "hartnäckigen Fluss" der Sprache Ishiguros in adäquates Deutsch zu übersetzen. Betrübt ist Mayer nur über die langen Pausen zwischen zwei Romanen von Ishiguro: fünf Jahre.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.09.2000

Ishiguros fünfter Roman "Als wir Waisen waren" eine Neubearbeitung der Grundidee seines vierten Romans "Die Ungetrösteten", erklärt Rezensentin Angela Schader. Der Held der Geschichte, Christopher Banks, wurde auf mysteriöser Art von seinen Eltern getrennt und im Erwachsenenleben dann Detektiv. Das Grundmotiv des Romans beschreibt Schader in ihrer ausführlichen Rezension als "die Quest eines glanzlos scheiternden Heilsbringers in der diffusen Unordnung der Welt", und sie scheint einigermaßen zufrieden mit der Umsetzung und Weiterentwicklung dieser Idee, wenn sie auch einige Einschränkungen formuliert. Da wäre zum einen das "resignativ gebrochene Happy End", das ihr Unbehagen bereitet und wo sie ein offeneres Ende bevorzugt hätte. Auch missfällt ihr die Ausgestaltung der weiblichen Nebencharaktere, deren Schicksal das von Christopher Banks widerspiegelt: "Diese Dopplungen allerdings belasten eher das Erzählkonstrukt, als das sie ihm relevante Dimensionen hinzufügen". Mit ihrer Kritik stellt Schader jedoch nicht die grundsätzlichen erzählerischen Qualitäten Ishiguros in Frage. Seine Romane bezeichnet sie als "meisterhafte Etüden der Selbsttäuschung und des Selbstverrates". Vor diesem Hintergrund kritisiert sie ihn differenziert: "Ishiguro hat als Schriftsteller so viel Können und Format bewiesen, dass über solche Schwächen zumindest nachzudenken ist."