Karl-Markus Gauß

Die versprengten Deutschen

Unterwegs in Litauen, durch die Zips und am Schwarzen Meer
Cover: Die versprengten Deutschen
Zsolnay Verlag, Wien 2005
ISBN 9783552053540
Gebunden, 235 Seiten, 21,50 EUR

Klappentext

Fotos von Kurt Kaindl. Elektrenai, 1962 als "erste atheistische Stadt der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen" aus dem Boden gestampft; Smolnik, die mittelalterliche Bergbaustadt im Süden der Slowakei; Kudrjawa, eine vergessene Containersiedlung im ukrainischen Niemandsland: drei Orte in Osteuropa, drei Schauplätze deutscher Geschichte und Gegenwart. Von der Ostsee bis ans Schwarze Meer ist Karl-Markus Gauß, der literarische Kartograph des unbekannten Europa, gereist, auf der Suche nach den versprengten Deutschen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.01.2006

Einen "unermüdlichen Stenograf des Peripheren" erblickt Rezensentin Sabine Berking in Karl-Markus Gauß, der seit vielen Jahren die Grenzregionen Europas bereist, um die dortigen Minderheiten zu besuchen. Seine Bücher wecken bei ihr das Gefühl, "zum Voyeur eines kulturellen Exodus zu werden". Zugleich versteht sie sie als "Warnrufe": Vielfalt und Toleranz in der Gegenwart könne nur praktizieren, wer mit dem Erbe der Vergangenheit sorgsam umgehe. Das gerät nach Ansicht Berkings oft in Vergessenheit, so wie auch die deutschen Minderheiten in Osteuropa, denen sich Gauß im vorliegenden Buch widmet. Die Namen von Landschaften wie Bessarabien, die Zips, Transsylvanien oder das Memelland sind zu ihrem Bedauern heute ebenso vergessen wie Geschichte der Menschen, die diese Grenzländer bewohnten. Gerne folgt Berking dem Autor auf seiner Reise durch diese Gebiete. Sie berichtet über Kudrjawka, einen "Ort ohne Geschichte und ohne Zukunft, Höllenheimat für eine rußlanddeutsche Restmasse", über die Schicksal der "Wolfskinder" in Litauen und über die Zips, ein Gebiet im Osten der Slowakei. "Ins Gauß-Archiv der 'sterbenden Europäer'", befindet Berking nicht ohne Wehmut, "sind nun auch die deutschen Minderheiten Osteuropas aufgenommen".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.11.2005

Karl-Markus Gauß war wieder unterwegs an den Rändern des offiziellen Europas - und hat sich auf die Spuren eines "exotischen Volksstamms" gemacht, der - einer blass erinnerten Vergangenheit nach - sich als deutsch versteht und "in der Diaspora Osteuropas langsam ausstirbt". Die heute in Litauen, der Ukraine und der Slowakei Lebenden sind Nachfahren der Kolonisten des 19. Jahrhunderts. Gauß sucht diese Nachfahren auf und porträtiert sie, und zwar, das findet die Rezensentin Katharina Döbler sehr angenehm, mit der ihm eigenen "Empathie und Ironie". Vorgestellt werden Gruppen im slowakischen Hopgarten oder im Memelland, wo es zu durchaus fruchtbaren Durchlässigkeiten zwischen deutscher und litauischer Kultur gekommen ist. Der Rezensentin drängt sich angesichts dieser Erzählungen die "Frage nach der Nationalität" auf. Was heißt es, deutsch zu sein, für diese "versprengte Deutschen" zeitlich und räumlich so fern einer einstigen Heimat? Es gibt, so Döbler keine eindeutige Antwort auf die Frage, die Gauß selbst so "explizit" gar nicht stellt. Offenkundig sieht sie es aber als großes Verdienst des Buches, dass man dieser Frage bei der Lektüre nicht ausweichen kann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.10.2005

Eva-Elisabeth Fischer zeigt sich von den Funden, die Karl-Markus Gauß auf der Suche nach den Spuren einer "einst millionenstarken", wenn auch keineswegs "homogenen" Bevölkerungsgruppe in Osteuropa dokumentiert, ziemlich betroffen. "Schrecken und Gelächter" lösen die Begegnungen und Begebenheiten aus, die Gauß auf seiner Reise erlebt, meint die Rezensentin, die bei fortschreitender Lektüre eine immer stärkere "Ödnis im Magen" verspürt. Denn was Gauß hier beschreibt, ist ein nicht mehr rückgängig zu machender "Verlust", eine "ethnische und kulturelle Auslöschung", so Fischer erschüttert. Der Autor analysiert "luzide und souverän" all die "politischen Irrungen", die zu Vertreibung und Ermordung geführt haben anhand der Menschen, denen er auf seiner Reise durch Osteuropa begegnet, und er schildert sie dabei durchaus in all ihrer "Ambivalenz", lobt die Rezensentin. Auf sie wirkt das Buch vor allem wie ein "vielstimmiger Chor über Trost- und Ausweglosigkeit", denn die meisten deutschstämmigen Menschen, denen Gauß begegnet ist, haben ihre Sprache und Kultur verloren und durften während des Sozialismus auch ihren Glauben nicht offen ausüben, wie die Rezensentin berührt erklärt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.09.2005

Beeindruckend findet Rezensent Richard Wagner diese Reisereportage von Karl Markus Gauss über die "versprengten Deutschen". Er würdigt den Autor, der schon zahlreiche Ausflüge an die Ränder Europas zu verlorenen und ausgegrenzten Volksgruppen hinter sich hat, als "virtuosen Spurensucher", der sich nun den letzten Deutschen im Osten Europas zuwendet. Dafür habe er drei Gebiete - Litauen, die slowakische Zips und das Schwarzmeergebiet der Ukraine -, bereist, die geschichtsträchtigen Orte besucht und mit den Menschen dort gesprochen. Dabei hüte sich Gauss davor, Schicksale ethnisch herauszuheben. Wagner erkennt in Gauss? anekdotischer Darstellungsweise eine Vorliebe für das Skurrile, "das archaisch, nicht angepasst und für die Gegenwart wenig brauchbar erscheint". Die Darstellung der slowakischen Zips beginne etwa mit dem Dorf Hopgarten, das so abgelegen sei, dass man 1945 die Bewohner, die entgegen dem Vertreibungsbefehl den Ort nicht verlassen wollten, schließlich in Ruhe ließ. Gespannt folgt Wagner auch Gauss? Reisen nach Litauen, wo sich vier Gruppen gegeneinander als deutsche Minderheiten behaupten, und ans Schwarze Meer, etwa ins Dorf Elsass, eine Autostunde von Odessa, wo Deutsche nur noch auf dem Friedhof zu finden sind. Das Resümee des Rezensenten: "Das Buch vermittelt einen schonungslosen Einblick in die historischen Verwerfungen Ostmitteleuropas und deren Folgen für die Gegenwart."