J. M. Coetzee

Die Kindheit Jesu

Roman
Cover: Die Kindheit Jesu
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013
ISBN 9783100108258
Gebunden, 352 Seiten, 21,99 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. Emigration, Einsamkeit, das Rätsel einer Ankunft: In einem fremden Land finden sich ein Mann und ein Junge wieder, wo sie ohne Erinnerung ihr Leben neu erfinden müssen. Sie müssen nicht nur eine neue Sprache lernen, sondern auch dem Jungen eine Mutter suchen. In einem dunklen Glas spiegelt J. M. Coetzee unsere Welt, so dass sich alles Nebensächliche unseres Umgangs verliert und die elementarsten Gesten sichtbar werden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.11.2013

Angela Schader ist begeistert von der Fähigkeit des Autors, alle aus dem Titel sich ergebenden Erwartungen des Lesers aufs Beste zu enttäuschen. Die Kindheit Jesu hat statt weder an einem besonders himmlischen noch an einem besonders infernalischen Ort, stellt die Rezensentin fest. Und auch über Coetzees Figur im Buch ist der Heiligenschein für Schader nur vage auszumachen, in den Reden der anderen etwa. Wo ein anderer Autor vielleicht metaphysisch ordentlich ausgeholt hätte, beglückt Coetzee die Rezensentin mit sparsamer Kolorierung und angenehm zwischen Rätsel und Banalität, respektive Diesseits und Jenseits oszillierenden Handlungselementen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.10.2013

Wenn Lothar Müller einen Roman von John M. Coetzee aufklappt, fühlt er sich normalerweise wie vor einer Prüfung, so sehr verbindet er mit diesem Autor das Bild des ernsten, intellektuellen und vor allem anspruchsvollen Schriftstellers. In seinem neuen Roman "Die Kindheit Jesu" offenbart Coetzee sich aber als heimlicher Schelm, verrät der Rezensent, während er den Leser mit dem Titel hochoffiziell auf die Bibel verweist, bedient er sich eigentlich eines anderen Buches als Bezugspunkt: des "Don Quijote". Coetzee stößt zwei Fremde, den fünfundvierzigjährigen Simón und den fünfjährigen David, in eine Welt, deren Bewohner nach dem Grundsatz leben, dass jedes Sehnen nach mehr, jede Utopie sinnlos ist, weil hinter der Erfüllung nur wieder neues Verlangen wartet, berichtet Müller: "Nichts fehlt". Doch der Roman ist als Form nur aus diesem Sehnen geboren und kaum ein Buch verkörpert diese Idee so gut wie eben der "Don Quijote", den Coetzee David zum Lesenlernen in die Hände spielt, weiß der Rezensent. Man kann dieses Buch als "ein Evangelium nach Cervantes" lesen, verkündet Müller: als eine heimliche Offenbarung der Wahrheit im Roman.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.10.2013

Die Bücher von J. M. Coetzee sind immer intellektuelle Abenteuer, weiß Ijoma Mangold. In seinem neuen Roman "Die Kindheit Jesu" erschafft der Autor diesmal eine Welt, die der unseren in vielem ähnelt, die er aber von dem Ballast der Historie befreit und mit einem eigenen, uns fremden Moral- und Konventionssystem ausgestattet ist, berichtet der Rezensent. In diese Welt schickt Coetzee zwei Neuankömmlinge: Simón und den Knaben David, dessen er sich auf der Überfahrt angenommen hat, beide sind Flüchtlinge aus anderen Gefilden, denen die Lebensweise der Ortsansässigen ebenso fremd ist wie dem Leser, erklärt Mangold. Besonders Simón hadert mit der leidenschaftslosen Gelassenheit der Menschen, die zwar umfangreich über "die Stuhlheit des Stuhls" reflektieren können, aber denen jedes Begehren abgeht, sogar beim Sex, fügt der Rezensent hinzu. Coetzees "ethnologische Unparteilichkeit" erlaubt bis zum Schluss kein eindeutiges Urteil, was denn die bessere Lebensweise sei, lobt Mangold.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.10.2013

Eine Botschaft sucht Judith von Sternburg im neuen Roman von J. M. Coetzee vergebens. Dennoch macht ihr dieser dystopische Roman Freude, teils wegen seiner parodistischen Elemente, teils wegen der großen, laut Sternburg sehr direkten Einfachheit von Coetzees Erzählweise. Dass diese immer wieder durchbrochen wird, von Beckettschen Einlagen, dass die Handlung um eine diesseitige Jesus-Figur samt Anhang schillert zwischen dem Eindruck, es mit einem Text über afrikanische Flüchtlinge in Südeuropa zu tun zu haben, und dem, vom Autor in ein jenseitiges Zwischenreich entführt zu werden - all das ist für die Rezensentin von beträchtlichem Reiz.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.10.2013

Gar nicht düster wie sonst erscheint J. M. Coetzee dem Rezensenten Markus Gasser in seinem 13. Roman über die Kindheit Jesu in neuerer Zeit, eine Art Christuslegende. Die Figur des David jedenfalls ist Gasser schon mal ans Herz gewachsen, ebenso der Apostel Johannes als Autostopper und die tennisspielende Jungfrau. Beim Lesen gehen Gasser darüber hinaus einige Konstanten dieses Autors auf: Die Behandlung des Romans als Gleichnis, Coetzees mal derber, mal feiner Pathos verhindernder Humor (ganz wichtig bei diesem Stoff, meint Gasser), sein karger Stil, die religiöse Bildlichkeit. Für Gasser eine lohnende Lektüre.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.10.2013

Schade, dass J.M. Coetzee trotz Nobelpreis und gewiss auch einigem Publikumszuspruch keinen wirklichen literarischen Bezugspunkt in Deutschland darstellt, klagt Rezensent Dirk Knipphals unter Verweis auf den literarischen Genuss, den Coetzees Romane, und insbesondere sein vorliegender neuester, bieten. Dieser, verfasst im kristallklarem schnörkellosem Stil, lege gleich drei Lesarten nahe, wie Knipphals schreibt: "Die Kindheit Jesu" lässt sich als Geschichte einer Immigration, als Auseinandersetzung mit biblischen Motiven und deren medientechnischen Grundlage, der Schrift, oder auch einfach als reifes Spätwerk eines Meisterautors verstehen, der sich nichts mehr beweisen muss, wenn er in großer Freiheit über die großen Dinge des Lebens meditiert. Doch sollte man sich nicht zu sehr auf eine dieser Lesarten konzentrieren, um sich nicht um den Genuss der anderen zu bringen, rät der Kritiker im höchsten Entzücken über "ganz kurz hingetuschte, aber ungeheuer eindrucksvolle Szenen". Nach Lektüre dieses zum Ende fast schon einen thriller-artigen Sog entwickelnden Buchs bleibt Knipphals jedenfalls nur, hiesigen Lesern beherzt zuzurufen: Entdeckt endlich Coetzee!
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