Irene Dische

Großmama packt aus

Roman
Cover: Großmama packt aus
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2005
ISBN 9783455014587
Gebunden, 368 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser. Die gute Katholikin Elisabeth Rother kennt kein Tabu, ganz egal, ob es sich um ihr Ehebett, um die Juden, um den Lieben Gott oder um die Gestapo handelt. Allerdings gibt es keine Katastrophe, nicht einmal die Flucht nach Amerika oder der Zweite Weltkrieg, die sie so sehr beschäftigt wie ihr weitverzweigter Clan. Irene Dische löst ein ewiges Problem der Literatur: das der Autobiografie. Bekanntlich verstrickt sich jeder in ein Lügenknäuel, der sein eigenes Leben beschreiben will. Aus diesem Dilemma befreit sich die Autorin, indem sie sich dem gnadenlosen Blick ihrer überlebensgroßen Großmama aussetzt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.03.2006

Mit ihren Erzählungen "Fromme Lügen" hatte Irene Dische 1989 einen ganz neuen Ton angeschlagen, erinnert Rezensentin Andrea Köhler: In "putzmunterer Rollenprosa" erzählte die Deutsch-Amerikanerin vom bitteren Schicksal ihrer jüdischen Familie. Den "forsch-komischen" Ton schlage sie nun auch in ihrem neuen Roman "Großmama packt aus" an, doch Köhler mag sich nicht auf ihn einlassen. Zwar findet sie Disches Idee, sich selbst aus der Sicht einer recht unzimperlichen Großmutter zu erzählen, sehr gewitzt und auch den "Quasselton" recht amüsant, der "fröhliche Ignoranz mit resolutem Anstand und unfreiwilliger Komik" paart. Aber auf die Dauer hat die Rezensentin der Roman ermüdet, der nach und nach zu einer "Anekdotensuada" ohne Biss werde.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.11.2005

Jörg Magenau erinnert zunächst mit Verve daran, wie ungeheuerlich Irene Disches Erzählband "Fromme Lügen" von 1989 war, in welch respektlosen und - avant la lettre - politisch unkorrekten Ton sie über den Holocaust geschrieben hat. Doch was damals unerhört, seufzt Magenau, ist längst eine literarische Modeerscheinung - "von den Billers bis zu Eva Menasse". Den neuen Roman aus autobiographischer Perspektive der jüdischen Amerikanerin mit deutschen Vorfahren verortet er als einen neuen Anlauf, mit wiederkehrenden Motiven. Die Ich-Erzählerin und Großmutter von Irene Dische, Elisabeth Rochers, spannt den Bogen über ein ganzes Jahrhundert und rekapituliert in nicht versiegendem Erzählfluss noch aus dem Grab das Leben dreier Frauengenerationen. "Als paradoxen Versuch eines Familienromans unter weitgehender Abwesenheit der Familie" formuliert der Rezensent noch sein schwankendes Urteil. Im Verlauf des Romans jedoch überwiegen für ihn die Schwächen in der erzählerischen Komposition, die er in der dominierenden und allwissenden Perspektive der Großmutter, die aus dem Leben der Enkelin Irene Dische berichtet, auseinanderfallen sieht.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.10.2005

Michael Naumann gesteht, "hingerissen" zu sein: Ein solch entzückender, kluger, tieftragischer und hochkomischer Roman! Und mit solch üppiger Verschwendung erzählt: Short Storys, Romanstoffe, Opernlibretti - alle paar Seiten was Neues, und insgesamt ergibt alles ein "Gesamtbild bürgerlicher Familienkatastrophen". Naumann fühlt sich, als halte er nicht ein Buch, sondern ein "Kaleidsokop" in den Händen, in dem es bei jeder Drehung eine andere Konstellation zu bewundern gibt. Die Familie, das sind die Rothers/ Disches, inklusive einer schriftstellerisch tätigen Tochter namens Irene. Aber, warnt Naumann, wer hier nicht nur Nähe, sondern Deckungsgleichheit mit der Autorin vermutet, ist auf dem falschen Dampfer: Schließlich erzählt auch die Großmama aus dem Jenseits, und zwar mit "an Boshaftigkeit grenzender Liebe". Fazit: Dische zeige in ihrer amerikanischen Familiengeschichte, dass diese nicht unbedingt so trostlos gesehen werden müssen wie von Cheever, Updike oder Ford: "Das Leben endet tödlich, klar, aber der Weg zum Ende ist amüsanter, als unser konstant schlechtes Gewissen es suggeriert."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.10.2005

Helmut Böttiger zeigt sich bereits vom ersten Satz dieses Romans wenig angetan. Es handelt sich um den Monolog von "Großmama", die eine 365 Seiten andauernde Tischrede hält und dabei redet, "wie ihr der Schnabel gewachsen ist", erklärt der Rezensent. Irene Dische stelle schon in den ersten launigen Sätzen klar dass es ihr um eine "vergnügliche Lektüre" gehe, mit der sie sich "vertraulich zwinkernd" hauptsächlich an ein weibliches Lesepublikum wendet, gleichzeitig aber lege sie offensichtlich Wert auf einen ernsteren zeitgeschichtlichen Rahmen, so Böttiger irritiert und schon etwas spöttisch. Und so spricht die alte Frau manchmal "unfreiwillig komisch", mitunter auch wirklich "witzig" von der begrenzten Zeugungskraft ihres jüdischen Ehemannes Carloder lässt wie nebenbei fallen, dass seine gesamte Familie von den Nazis umgebracht wurde, so der Rezensent, der vermutet, dass sich Dische hier an "jüdisch-amerikanischen Selbstironikern" wie Philipp Roth oder Woody Allen orientiert. Zwischen Disches "saturierter Salon-Prosa" und den beiden Autoren besteht allerdings eine "beträchtliche Fallhöhe", stellt Böttiger kühl fest. Wenn die alte Frau dann auch noch die Enkelin, die sich als Irene Dische selbst herausstellt, ins Gespräch bringt und sie als "drogen- und hippiemäßig rummachende" junge Frau vorstellt, befällt den Rezensenten das "unangenehme Gefühl", dass er hier Zeuge eines "primären Narzissmus" wird.
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