Hans Magnus Enzensberger

Hammerstein oder Der Eigensinn

Eine deutsche Geschichte
Cover: Hammerstein oder Der Eigensinn
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783518419601
Gebunden, 375 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Unter Mitarbeit von Reinhard Müller. Kurt von Hammerstein war Chef der Reichswehr, ein Grandseigneur, ein unerschütterlicher Gegner des Nationalsozialismus, ein unbestechlicher Zeuge des Untergangs seiner Klasse, des deutschen Militäradels. Seinen Abschied nahm er, nachdem Hitler seine Weltkriegspläne 1933 in einer Geheimrede offengelegt hatte. Aber es geht auch um die Lebensläufe seiner Frau und seiner sieben Kinder: gezeichnet von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, von Verrat, Widerstand, Spionage und Sippenhaft. Und nicht zuletzt geraten jene Personen ins Fadenkreuz, die zu einem gefährlichen Doppelleben gezwungen waren: vom letzten Reichskanzler der Weimarer Republik über die Agenten der KPD bis zu jener Drogistin, die in Kreuzberg Deserteure und Juden versteckte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.05.2008

Mit gehörigem Sicherheitsabstand zum Vorabdruck des Buches in der eigenen Zeitung bespricht FAZ-Feuilletonchef Patrick Bahners nun Hans Magnus Enzensbergers historisch-literarische Experimental-Collage "Hammerstein". Ein langer Einstieg in die Rezension beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Enzensberger zu 1968 und mit Enzensbergers Kritik an der ritualhaften deutschen Nachkriegs-Fixierung auf das Jahr 1933. Dem scheint nun Enzensbergers eigene Konzentration auf eben dies Jahr, in dem Kurt von Hammerstein Hitlers Machtergreifung nicht verhindert hat, zu widersprechen. Aber gerade um die eigentümliche Perspektive auf die Geschichte, die die Figur Hammersteins ihm erlaubt, geht es, so Bahners, Enzensberger. Als Chef der Heeresleitung hätte Hammerstein womöglich Hindenburg dazu überreden können, Hitler nicht mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Das ist aber nicht der zentrale Punkt - sehr viel eher interessiere Enzensberger an seinem Protagonisten dessen "Inaktivismus", gerade im Widerspruch zur auch auftretenden Gegenfigur des zu allem entschlossenen Juristen Carl Schmitt. Geschildert werde so "eine Lebenswelt, die wundersamerweise im Schreckensstaat intakt blieb". Enzensberger spielt sich nicht als Historiker auf - aber er gibt, so Bahners' Resümee, den Historikern raffiniert ausgelegten Stoff zum Nachdenken.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.01.2008

Für Rezensent Alexander Cammann ist dies ein genau recherchierter, "kunstvoller Abenteuer- und Familieroman des 20. Jahrhunderts" mit "hochspannendem Plot", dessen einzelne Szenen kunstvoll ineinander geschnitten sind: Ein aus seiner Sicht ebenso populäres wie kunstvolles Buch "ohne Anspruch auf Weltliteratur". Der Rezensent listet aber auch ein paar negative Eindrücke auf. So etwa findet er Hans Magnus Enzensbergers historische Reflexionen im Buch eher "anspruchslos und onkelhaft". Auch der immer wieder "mantrahaft eingestreute" Rekurs auf die Faulheit seines Helden bei "gleichzeitiger überragender Intellektualität" ist für Cammann zu augenscheinlich ein Enzensbergersches Identifikationsmoment. Trotzdem ist die Summe der Leseeindrücke positiv. Auch weil Enzensberger in diesem Buch der Ansicht des Rezensenten nach so anschaulich wie kaum jemand zuvor geschildert hat, dass die ideologischen Fronten des "Weltbürgerkrieges" im letzten Jahrhundert weitaus weniger übersichtlich waren, als es bisher schien.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.01.2008

Volker Ullrich liefert das Contra zu Hans Magnus Enzensbegers Buch über Reichswehrgeneral Kurt von Hammerstein, das die Zeit-Redaktion offensichtlich gespalten hat. Er hält es für eine "Zumutung", für "konfus" und "seltsam hilflos". Für ihn reiht Enzensberger hier Anekdoten, Glossen und fiktive Interviews aneinander, nichts wird ausgeführt oder eingehender behandelt, alles nur gestreift: Die Person Hammersteins bleibe ebenso blass wie die Porträts seiner tatsächlich recht schillernden Söhne und Töchter. Nichts erfährt Ullrich über Hammersteins Haltung zur Republik und nichts über das militärische Milieu, das ihn prägte. "Mehr als fahrlässig" findet er Enzensbergers Umgang mit Quellen: So entstelle Enzensberger eine Notiz von Hammerstein aus dem Jahr 1932, in der es heißt: "Wenn die Nationalsozialisten legal zur Macht kommen, soll es mir recht sein. Im andern Fall werde ich schießen." Daraus werde in dem fiktiven Totengespräch: "Wenn es nach mir gegangen wäre, ich hätte schon im August 32 auf die Nazis schießen lassen."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.01.2008

Die Zeit ist über Hans Magnus Enzensbergers Buch über den Reichswehrgeneral Kurt von Hammerstein so gespalten, dass sie es in einem Pro und Contra abhandelt. Jörg Lau ist begeistert: Er hält diese Collage, in der er das gesamte Jahrhundert der Extreme aufscheinen sieht, für ungemein spannend. Dabei ist es nicht allein die zwischen Hellsichtigkeit und Bitterkeit changierende Figur Hammerstein, die ihn fasziniert, es sind die Töchter und Söhne, die sich dem Widerstand anschließen, dem 20. Juli und dem kommunistischen. Sie wandern mit ihren jüdischen Ehemännern nach Palästina aus, spionieren für die KPD die militärischen Kreise ihres Vaters aus oder gehen nach Moskau. Einer wird Opfer der stalinistischen Säuberungen, die andere macht nach dem Krieg Karriere in der SED. Auch die Form, in die Enzensberger diesen Stoff füllt, stimmt für Lau: "Großartig, wie der Dichter hier das heruntergekommene Genre der Dokumentarliteratur wiederbelebt." Kritik von Historikern an etwaigen Unstimmigkeiten will Lau nicht gelten lassen: Selbst schuld, wenn sie sich Hammerstein-Material entgehen lassen!

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.01.2008

Was für ein Verriss! Bisher hat Hans Magnus Enzensberger mit seinem Buch über den von den Nazis geschassten Militäraristokraten Kurt von Hammerstein vor allem Lob eingeheimst, vor Götz Aly findet er keine Gnade. Vielleicht, weil Aly mit dem Blick des Historikers prüft, ob Enzensberger die interessanten Punkte trifft. Aly hält Hammerstein durchaus für eine beispielhafte Figur - als Mann, der sich wie so viele andere eben nicht zur Tat aufraffen konnte, "den tragischen Helden Tatenlos". Von Eigensinn keine Spur! Auch dass Enzensberger die Kontakte Hammersteins zum kommunistischen Widerstand so betont, wundert Aly. Ebenso viele Freunde hatte der Herr im rechten, antirepublikanischen Milieu und unter Hitler-Anhängern. Und dass Enzensberger die Demokraten der Weimarer Republik allesamt als "Politiker des Mittelmaßes" und unfähigen Haufen denunziert, geht ihm so auf die Nerven, dass er zu einer kurzen, aber einschlägigen Ehrenrettung Weimars anhebt. Literarisch ordnet er das Werk eher der Fernsehvorlage zu: die fiktiven Interviews findet er "eitel", die Dialoge "witzfrei" und die Schnitttechnik erinnert ihn an Guido Knopp.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.01.2008

Gewiss, im engeren Sinne Neues erfährt man nicht in Hans Magnus Enzensbergers literarisierter historischer Recherche, so der Rezensent Ulrich M. Schmid. Ein sehr lesenswertes Buch ist es dennoch. Weil zum einen das Interesse an den zwölf Schreckensjahren nie versiegen wird und darf. Und weil die Familienkonstellation der Familie Hammerstein-Equord doch vieles an Typischem wie auf spannende Weise Untypischem versammelt. Einer, der bei den Nazis nicht mitmachen will, ist Kurt von Hammerstein, der 1934 als Chef der Heeresleitung der Wehrmacht zurücktritt. Anders als zwei seiner Töchter hat er natürlich nicht die mindesten kommunistischen Neigungen, aber mit manchem Vertreter des Widerstands ist er befreundet. Enzensberger schildert das in Fakten und in einem Stilmittel der Fiktion, das eine lange historische Tradition hat: in Totengesprächen, in denen er seinen Dialogpartnern Erfundenes, aber Plausibles in den Mund legt. Der Rezensent bescheinigt dem Autor eine "subtile Regie" des aus unterschiedlichem Material komponierten Textes und weiß auch den Enzensberger-typischen "Blick des Unaufgeregten" sehr zu schätzen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.01.2008

Als "intelligente Collage" aus unterschiedlichsten Darstellungstechniken lobt Rezensent Jürgen Busche Hans Magnus Enzensbergers Buch über den letzten Chef der Heeresleitung der Weimarer Republik, der er unter anderem gute Einblicke in die Strukturbedingungen des preußisch-deutschen Militärs verdankt. Ihn interessiert das aus seiner Sicht darin begründete Versagen dieser "qualitativ so überragenden Institution" im Nationalsozialismus sowie das letztlich fatale elitäre Selbstbewusstsein seiner Führung, die reale militärische Erfahrung geringer als Herkunft und Intellektualität gewertet hätte. Dies hat sich dann bald als die Schwachstelle gezeigt, an der die Nazis die Wehrmacht als festen Block hätten aufbrechen können, wie Enzensberger scheinbar überzeugend darzulegen versteht. Aber auch die im Buch erzählte Geschichte der "kommunistisch verstrickten" Töchter Kurt von Hammersteins stieß auf sichtliches Rezensenteninteresse.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.01.2008

Als gelungenen "Coup" lobt Ina Hartwig diesen Versuch Hans Magnus Enzensbergers, faktensichere historische Recherche mit fiktionalisierenden Elementen zu versetzen. Die Geschichte, um die es geht, ist die der Adelsfamilie Hammerstein. Protagonist der Familie wie des Buches ist Kurt von Hammerstein, bei Hitlers Machtergreifung Chef der Heeresleitung der Reichswehr. Dem "österreichischen Gefreiten" begegnet er mit Verachtung, ein Jahr später tritt er zurück; er hat Kontakt zum Widerstand, wird aber bis zu seinem Tod 1943 nicht selbst als Widerständler aktiv. Ganz anders seine Töchter mit ihren entschieden linken, teils kommunistischen Sympathien. Spannend ist Enzensbergers Buch, so Hartwig, nicht zuletzt, weil er auf Forschungen des Historikers Richard Müller zurückgreifen kann. Und von mehr als historischem Interesse sei es, weil Enzensberger in imaginären Totengesprächen die Mitglieder der Familie Hammerstein "ungemein lebendig" werden lässt. Dass die außerdem eingestreuten "Glossen" das Niveau dieser Gespräche nicht erreichen, fällt da für die Rezensentin nicht sehr ins Gewicht.