Hans Magnus Enzensberger

Die Geschichte der Wolken

99 Meditationen
Cover: Die Geschichte der Wolken
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518413913
Gebunden, 146 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Hans Magnus Enzensberger schaut in diesen 99 Meditationen genau hin: Die Wolken sind ihm Fremdes und Gleichnis menschlichen Lebens. Er hält das einzelne Kleine, das Flüchtige fest und gibt ihm die Würde des Moments; und er fragt nach dem Ewigen, sucht das Gesetz, in dem Geborenwerden und Sterben nur zwei Seiten des Vergänglichen sind. "Das Ende der Welt kommt ohne Beobachter aus", heißt es, aber so lange lässt Enzensberger sich die Neugier nicht nehmen. Und nicht die Gelassenheit, sich mit einer Spezies zu beschäftigen, von der eines feststeht: "dass sie uns überleben wird/um ein paar Millionen Jahre/hin oder her".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.06.2003

Ein Poet befindet sich stets auf der Suche nach neuen Metaphern, und so behilft sich die jüngste Lyrik häufig mit Formeln aus dem Fundus der Naturwissenschaften, behauptet Ijoma Mangold und bezeichnet diesen Semantik-Transfer als "in aller Regel eine poetische Erschleichung" oder auch als "verschwiemelte Synthese aus Präzision und Mysterium", der selbst Hans-Magnus Enzensberger seiner Meinung nach schon häufiger erlegen ist. Im neuesten Gedichtband ist das alles ganz anders, beteuert Mangold. Zwar nehme Enzensberger Naturphänomene ins Blickfeld, doch gerade dort, wo der Reduktionismus der Naturwissenschaften das Phänomen selbst zu beseitigen droht, erklärt Mangold seine Begeisterung, schalte sich der Lyriker Enzensberger ein und verhelfe der "emergenten Form" zu ihrem Recht. Ein flüchtiges Recht, weil ein flüchtiges Phänomen, und gerade deshalb könne man sich eigentlich gar keinen besseren Gegenstand vorstellen, gesteht Mangold, da Wolken ununterbrochen Bedeutung erzeugen und wieder auflösen. Der Wolken-Zyklus bildet den Abschluss des Gedichtbandes, der für Mangold eine ungeheure ästhetische Leichtigkeit birgt, so dass er sich, gesteht er, manches Mal gefragt habe, ob nicht die Grenze zur Leichtfertigkeit überschritten sei. Aber nein, winkt er ab, das Leichte gelte es als kostbares Gut zu hüten, eine moralische Implikation, die Enzensberger in geglückter Form reflektiere.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.06.2003

Man könnte gleich am Anfang der Besprechung durch Jochen Jung stutzig werden: selten beginnt eine Rezension mit solchem Generallob des Autors, selbst wenn selbiger, 73-jährig "altersheitere Gedichte", wie die Unterzeile zur Rezension verheißt, vorgelegt haben soll. Auch das Lob des "mit Aufwand" hergestellten Buches macht misstrauisch - und so wartet man nicht vergebens auf die Kritik der vorgelegten Gedichte. Mit einem "na ja" und einem "nun denn" kommentiert Jung ein paar der "hübsch beschriebenen" Dinge, die in den letzten Zeilen der Gedichte dem Leser dann eben doch eher belehrend vor die Nase gehalten werden. Jung nennt es darauf "aufmerksam machen wollen", was ihm am Essayisten Enzensberger über die Jahre so gefallen hat, am Dichter jedoch wohl weniger beeindruckt. Dennoch gibt es am Ende wieder Lob, insbesondere für die titelgebenden Wolkengedichte. Hier zeigt Enzensberger, "der immer schon das leichte, Federnde, Zauberische und Veränderliche geliebt und beherrscht hat", etwas, das einfach nur da ist, wenn "nicht wichtig, dann doch widerspruchsfrei, unmissverständlich und glorios". Soll also, nach so vielem Denken, am Ende nur "das Wetter" übrig geblieben sein, fragt Jung sich selbst. Aber nein, es sind, wie Enzensberger selbst sie genannt hat, "Meditationen", schreibt Jung, und erklärt sich wieder ganz einverstanden mit dem von ihm so Bewunderten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.05.2003

99 Gedichte des fliegenden Roberts der deutschen Lyrik, in denen es um nicht weniger, so Andrea Köhler, als "Gott und die Welt" geht - die dann aber, im vierten Teil, doch auf das zulaufen, was der Titel annonciert: "Die Geschichte der Wolken". Für das, was eine Wolke ist, findet erst mal die Rezensentin - als wär das ein Wettbewerb - das eine ("eine helle Verflüchtigung") und das andere ("eine tosende, blitzende, krachende Ballung") Bild und lässt dann Enzensberger selbst zu Wort kommen, der eher lapidar feststellt, sie, die Wolken, hätten "keine Ahnung vom Sterben". Um Vergänglichkeit geht es also. Daneben aber geraten auch die Marotten des Zeitgeists ins Visier, nur um im nächsten Gedicht von den "profanen Epiphanien" der Liebe abgelöst zu werden. Allzu ernst und allzu bitter wird der Dichter dabei nie, es bleibt, so die Rezensentin, die "Beiläufigkeit" sein Markenzeichen. Ob das nun leise Kritik sein soll, eine Schleierwolke, die Schatten wirft aufs sonst sehr helle Lob, ist so recht nicht zu ergründen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.04.2003

In seinem jüngsten Gedichtband "Die Geschichte der Wolken" hat der Rezensent Martin Lüdke den "alten" Enzensberger vorgefunden. Und das ist nicht nur eine Tatsache (schließlich ist der Dichter nicht mehr der Jüngste und seine ehemals "scheidende Stimme" ist "mild" geworden), sondern ist auch als Lob und Tadel gedacht. Lob, weil Enzensberger immer noch über das gleiche Talent zur fast "klimatischen" gesellschaftlichen Frühdiagnose verfüge, über die gleiche Ironie, die nichts "ernst meint", aber alles "ernst nimmt", über die gleiche "Bildung", die eben zu Enzensbergers "Erfahrungshorizont" gehöre. Tadel, weil sich auch "Ermüdungserscheinungen des Repertoires" offenbaren, denn zwar habe Enzensberger "die klassische Moderne hinter sich gelassen", doch er bediene sich noch ihrer Mittel. Dies sei ihm aber genauso bewusst wie egal, meint der Rezensent, denn hier steht die Person Enzensberger für das "lyrische Ich" gerade. Ein "alter Mann mit junger Stimme", dessen Gedichtzyklus "Die Geschichte der Wolken" zum "Schönsten" gehört, was er geschrieben habe. Für Lüdke gilt, was schon immer galt: "Ein neuer Gedichtband von Hans Magnus Enzensberger ist immer ein Ereignis."