Götz Aly

Hitlers Volksstaat

Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus
Cover: Hitlers Volksstaat
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005
ISBN 9783100004208
Gebunden, 464 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Götz Aly betrachtet aus einem Blickwinkel, der sie als Gefälligkeitsdiktatur zeigt. Hitler, die Gauleiter, Minister und Staatssekretäre agierten als klassische Stimmungspolitiker. Sie fragten sich täglich, wie sie die Zufriedenheit der deutschen Mehrheitsbevölkerung sichern konnten. Auf der Basis von Geben und Nehmen erkauften sie sich deren Zustimmung oder wenigstens Gleichgültigkeit durch eine Fülle von Steuerprivilegien, mit Millionen Tonnen geraubter Lebensmittel und mit der Umverteilung des "arisierten" Eigentums von verfolgten und ermordeten Juden aus ganz Europa. Den Deutschen ging es im Zweiten Weltkrieg besser als je zuvor, sie sahen im nationalen Sozialismus die Lebensform der Zukunft - begründet auf Raub, Rassenkrieg und Mord.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.05.2005

Mit ein wenig zeitlichem Abstand zur auf- und abwogenden Diskussion in Deutschland bezieht nun auch die NZZ Stellung zu Götz Alys "steilen Thesen" zum Thema nationalsozialistischer Wohlfahrtsstaat. Das zentrale Argument, dass nämlich die Zustimmung der Deutschen zum Nazi-Regime in nicht geringem Maße durch soziale Wohltaten erkauft war, die sich dem genozidalen Raubmord an den Juden und der Ausplünderung der besetzten Gebiete verdankten, hält der Rezensent Christoph Jahr für "grundsätzlich überzeugend". Er schränkt seine Zustimmung allerdings mit dem Hinweis auf die schwierige Quellenlage wieder etwas ein. Mangels genauer Zahlen und Belege müssten Alys Überlegungen in mancher Hinsicht "spekulativ" bleiben. Distanz zu den Thesen des Autors markiert Jahr auch auf einem anderen Gebiet: Wenn Aly die Nähe der nationalsozialistischen Sozialpolitik zu der des Nachkriegs-Deutschland herausstreiche, gehe er womöglich nicht zuletzt der Propaganda des Dritten Reiches auf den Leim.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.03.2005

Höchst aufschlussreich findet Rezensent Niels Werber Götz Alys Buch "Hitlers Volksstaat", das die Wirkmächtigkeit der Finanz- und Wirtschaftspolitik im Dritten Reich erschließt. Der Autor weise nach, dass Europa verhungern musste, damit sich die Wehrmachtsoldaten in den okkupierten Gebieten billig mit Waren eindecken konnten. Als prominente Kronzeugen, die Aly für diese Praxis anführt, nennt Werber Ernst Jünger, der in Paris kostbare antiquarische Seltenheiten erwarb, und den jungen Soldaten Heinrich Böll, der in Briefen an die Familie von Kakao, Butte, Modeartikeln und Delikatessen schwärmte, die er billig kaufte und portofrei nach Köln expedierte. Aly erkunde nicht nur den systemstabilisierenden Effekt dieses Kaufrausches - die materielle Zufriedenheit von Soldaten und Heimatfront und eine zumindest "passive Loyalität" der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung -, er zeige auch, dass das von deutschen Finanz- und Wirtschaftsexperten erdachte und mit Hilfe der Wehrmacht installierte System, das alle Waren heim ins Reich lenkt, "die Enteignung und Ermordung der europäischen Juden und das Verhungern großer Bevölkerungsteile in den okkupierten Gebieten kühl einkalkuliert hat." Als "staunenswert perfid" charakterisiert Werber dieses System, das Rauben in Kaufen verwandelte und nahezu jeden Reichsbürger und Landser zu seinem Nutznießern machte. Ausführlich erläutert er den Reichskreditkassenschein (RKK), eines der vielen Instrumente dieses Systems. Aly zeige ferner, wie Wehrmacht und Finanzbürokratie skrupellos auf jüdisches Vermögen zurückgriffen, um Belastungsspitzen ihres Währungsregimes auszugleichen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.03.2005

Keinen Zweifel lässt der in Cambridge lehrende Wirtschaftshistoriker J. Adam Tooze daran, dass er Götz Aly für einen faszinierenden Außenseiter der deutschen Geschichtswissenschaft hält, der bisher eindrucksvolle Arbeit geleistet hat. Seine Kritik an diesem neuen Buch fällt deswegen aber nicht weniger scharf aus. Im Grunde sei, das formuliert Tooze ganz unumwunden, die zentrale These, dass sich das Hitler-Regime die Zustimmung durch sozialstaatliche Bequemlichkeiten für die Bürger erkauft habe, einfach falsch. Die Rechnungen, die Aly zu den Enteignungen jüdischen Besitzes, zur Ausbeutung eroberter Länder aufmache, stimmten nicht, deshalb erwiesen sich die "provozierenden" Behauptungen bei genauerem Hinsehen als "vollkommen haltlos". So zeige der Vergleich mit Großbritannien, dass in Deutschland mehr Steuern gezahlt wurden als dort - und die "Sparkasseneinlagen", die von der Inflation "ausgelöscht" wurden, beziehe Aly in seine Bilanz erst gar nicht mit ein. Sehr wohl, so ein weiterer Kritikpunkt, wären die wahren Verhältnisse der zum Thema erschienenen Literatur zu entnehmen gewesen. Die aber werde von Aly "weitgehend ignoriert".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.03.2005

Hier hat der angesehene und nicht zu Übertreibungen neigende Historiker Hans Mommsen eine Rezension geschrieben, bei der man meint, sein Herz pochen zu hören: War der Nationalsozialismus ein Regime der kleinen Leute? Ist der selbstmörderische Expansionismus der nationalsozialistischen Politik die Kehrseite einer nach innen um Harmonie und Fortschritt bemühten Sozialpolitik? Geschah der Holocaust zum Wohl des deutschen Volkes? Erklärt sich die breite Zustimmung der Bevölkerung aus der Tatsache, dass sie direkt von Holocaust und Raubkrieg profitierte? "Äußerst provokativ" seien Götz Alys Thesen, merkt Mommsen an, aber er tut sie keineswegs ab, sondern berichtet, dass Aly ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet hat, um seine Thesen eindrucksvoll zu belegen. Es sind nach Mommsen vor allem die von der Forschung bisher weitgehend ignorierten Akten des Reichsfinanzministeriums, die etwa belegen, dass der Zweck der Progromnacht für die Nazis auch darin lag, die Juden durch eine "Sühnesteuer" auszupressen, und so das gähnende Loch in der Staatskasse aufzufüllen. Auch die erbarmungslose Ausbeutung der eroberten Länder diente demnach zum guten Teil der Ruhigstellung der Massen in Deutschland, die es Hitler mit Loyalität bis zum bitteren Ende dankten. "Nicht so sehr langfristige ideologische Visionen als selbsterzeugte Zwänge führten zur Eskalation des Verbrechens, ohne bei der Funktionselite auf Widerstand zu stoßen", resümiert Mommsen seine Erkenntnis aus dem Buch. Die Platzierung seiner Rezension als Aufmacher des Feuilletons zeigt, welches Gewicht die Zeitung dem Buch zumisst.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.03.2005

"Dieses Buch gehört zu den seltenen Werken, die unseren Blick auf die düsterste und folgenreichste Periode der deutsche Geschichte neu schärfen", schreibt Volker Ullrich voller Hochachtung für Götz Alys neues Buch über den Nationalsozialismus. Den Autor schätzt Ullrich bereits seit seinen Büchern "Vordenker der Vernichtung" und "Endlösung" als "interessantesten Außenseiter" unter den deutschen Historikern. Das neue Werk "Hitlers Volksstaat" charakterisiert Ullrich als "Spätfrucht der materialistischen Geschichtsschreibung". Wie der Rezensent referiert, beschreibt Aly den Nationalsozialismus als eine Gefälligkeitsdiktatur, die ihre zunächst labile Herrschaft dadurch festigte, dass sie die Deutschen in großem Maße korrumpierte. Die Nazis schufen ein gigantisches wohlfahrtspolitisches Programm und sicherten sich die Loyalität der kleinen Leute durch eine gewaltige Umverteilung. Finanziert wurde das Volkswohl zum einen durch die Enteignung und Ermordung der europäischen Juden, zum anderen durch die "rücksichtlose Ausplünderung der eroberten und besetzten Länder Europas". Zum ersten Mal sieht Rezensent Ullrich hier in der "gebotenen Schärfe" die "Methoden der Krigsfinanzierung" durchleuchtet und das Augenmerk auf bisher weniger beachtete Funktionsträger des Regimes gerichtet. Auch die privaten Beutezüge von "Hitlers zufriedenen Räubern" sieht Ullrich sehr anschaulich beschrieben. Allerdings erhebt der Rezensent auch Einwände gegen Alys Darstellung. So aufschlussreich Ullrich diese Darstellung des Staatsraubs findet, so hält er doch das Motiv der materiellen Korrumpierung für überschätzt. Der fanatische Eifer, mit dem der Krieg geführt und der Holocaust betrieben wurde, kommen ihm eindeutig zu kurz. Aber, macht Ullrich abschließend deutlich: dies schmälert nicht Götz Alys Leistung.