Giorgio Agamben

Homo sacer

Souveräne Macht und bloßes Leben
Cover: Homo sacer
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783518120682
Kartoniert, 200 Seiten, 10,00 EUR

Klappentext

Aus dem Italienischen von Hubert Thüring. Der homo sacer ist die Verkörperung einer archaischen römischen Rechtsfigur: Zwar durfte er straflos getötet, aber nicht geopfert werden, was auch seine Tötung sinnlos und ihn gleichsam unberührbar machte - woraus sich der Doppelsinn von sacer als "verflucht" und "geheiligt" ableitet. Giorgio Agamben stellt im Anschluss an Foucault und als philosophische Korrektur von dessen Konzept der Biopolitik die These auf, dass Biopolitik, indem sie den Menschen auf einen biologischen Nullwert zurückzuführen versucht, das nackte Leben zum eigentlichen Subjekt der Moderne macht. In KZ-Häftlingen, aber auch in Flüchtlingen von heute sieht er die Verkörperung des homo sacer und des nackten Lebens. Er begründet philosophisch, dass diese Möglichkeit nicht nur historisch ist.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 30.04.2002

In seinem Buch "Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben" sucht der Philosoph Giorgio Agamben das Rätsel der nationalsozialistischen Verbrechen zu lösen. Ein Versuch, der nach Einschätzung der Rezensentin Ulrike Hermann gescheitert ist. Wie Hermann darlegt, will Agamben zeigen, dass Menschenrechte und Konzentrationslager keinen Gegensatz bilden, sondern untrennbar zusammengehören, und dass die Proklamation der Menschenrechte die Lager überhaupt erst ermöglicht und zum Paradigma staatlicher Souveränität gemacht hat. Wie Agamben diesen Nachweis führt, kann die Rezensentin nicht überzeugen. Angefangen von Agambens von Carl Schmitt fraglos übernommener Definition von Souveränität, die für Hermann alles andere als selbstverständlich ist, über sein dunkles Motiv des "homo sacer", einer Figur des "archaischen römischen Rechts" hin zu den Konzentrationslagern: Hermann wirft Agamben vor, dass er zu deduktiv vorgeht, ohne wirklich klar zu sein. Wenn sich Agamben beispielsweise fragt, ob die "Struktur der Souveränität und die Struktur der sacratio nicht irgendwie verknüpft sind", dann ist das für die Rezensentin symptomatisch für Agamben Arbeitsweise. Mit "irgendwie verknüpft" beschreibe Agamben seine Argumentationsmuster unerwartet luzide. Wie sich die Konzentrationslager letztlich erklären lassen, bleibt eine Frage, auf die Agamben laut Rezensentin keine Antwort gibt. Stattdessen tarne er "unbegründete Hypothesen". Das ist nichts ungewöhnliches in der Philosophie und wäre nicht weiter schlimm, findet Hermann, wären da nicht die "impliziten politischen Konsequenzen" von Agambens Eklektizismus, die ihn gefährlich machten. Denn: Wenn Demokratie und Diktatur nicht mehr unterscheidbar sind, wie Agamben behauptet, so die Rezensentin, "warum sollte eine Gesellschaft dann gegen den Rechtsradikalismus mobilisieren?"

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.04.2002

Giorgio Agambens viel beachtetes Buch, so Uwe Justus Wenzels Einstig in seine Rezension, ist auch eine Relektüre von Thomas Hobbes' Staatstheorie: der souveräne Staat, der Leviathan, ist dem Werwolf gleich, vereint "Wildnis und Kultur, Gewalt und Politik " in sich, der Natur- und der Rechtszustand sind zwei Seiten derselben Medaille. Es geht um den Ausnahmezustand als permanente Möglichkeit, aus dem sich, nicht ohne Gewalt, das Recht wie die Politik immer wieder speisen. Ob sich das, worauf Agamben hinaus will, überhaupt "klar und deutlich" in Begriffe fassen lässt, da bleibt Wenzel skeptisch. Jedenfalls hat Agamben eine Figur gefunden, die die Doppelung von Ein- und Ausschluss ins und aus dem Recht verkörpert: den Homo Sacer der Antike, der straflos getötet, aber nicht geopfert werden darf. An ihm beschreibt er die "Zone der Indifferenz", die, so Agamben, im Herzen noch des liberalen Rechtsstaats liegt, ja, auch diesen erst begründet. Wenzel hat seine Zweifel an der totalen Verallgemeinerbarkeit dieser Figur, vieles erscheint ihm nicht wirklich durchdacht, der Zug in "apokalyptische Prophetie" eher bedenklich. Die "Unerbittlichkeit", die "schneidende Intelligenz" Agambens haben ihn dennoch beeindruckt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.03.2002

Zunächst mit großer Faszination, dann aber auch mit gehöriger Skepsis liest Thomas Assheuer das Buch des italienischen Philosophen. Ausführlich legt der Rezensent dar, wie Agamben den rechtlosen Flüchtling, dem nichts als das nackte Leben bleibt, als Grundfigur der heutigen globalen Machtkonstellation beschreibt und sie auch der Demokratie als eine Gegenfigur zur eigenen Abstraktheit einschreibt. Hergeleitet wird sie nach Assheuer aus einem Gegensatz zwischen dem "politischen" und dem "biologischen" Körper, der dem abendländischen Denken nach Agamben seit Aristoteles wesentlich sei. Und nur der "politische" Körper hat Rechte. So produziert das Abendland den Rechtlosen als Kehrseite seines Rechts. Bis hierhin aber mag Assheuer dem Autor nicht folgen. Zu sehr schnurren ihm etwa der Auschwitz-Häftling und der Koma-Patient, dessen Beatmungsapparat abgeschaltet wird, zu ein und der selben abstrakten Grundfigur zusammen. Assheuers Hauptvorwurf gegen Agamben ist denn auch, dass er den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur am Ende verwischt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.03.2002

Vor sieben Jahren ist das Buch des italienischen Philosophen Giorgio Agamben im Original entstanden, seither - so der Rezensent Thomas Lemke - zum "intellektuellen Bestseller" gereift, nun endlich ist es auch in deutscher Sprache zu haben. Agamben untersucht in seiner Studie, die "philosophische Reflexion und politische Analyse" verbindet, eine Figur des archaischen römischen Rechts, den "Homo Sacer", der den aus dem göttlichen wie dem menschlichen Recht Ausgeschlossenen bezeichnet, der straffrei getötet werden darf. An dieser Figur, die er durch die Geschichte bis in die Gegenwart verfolgt, will Agamben die "Logik der Souveränität" belegen, die, auf der Rückseite der gewährten Rechte, auch ihren radikalen Entzug einbegreift. Dieses Strukturprinzip, das im Fall des Ausschlusses zur Reduktion aufs "nackte Leben" führt, findet Agamben beim Insassen des Konzentrationslagers ebenso wieder wie, mitten unter uns, beim Komapatienten. Thomas Lemke bedauert zwar, dass Agamben gelegentlich historisch zu undifferenziert argumentiert, rechnet ihm aber die Tatsache, dass er von der politischen Theorie sonst verdrängte Themen wie "Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Körper und Medizin" ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, als großes "theoretisches Verdienst" an.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.02.2002

Der Veroneser Philosophieprofessor ist längst ein Geheimtipp, behauptet Urich Raulff und bedauert, dass der Suhrkamp Verlag dieses Werk des deutschesten unter den ausländischen Philosophen Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen der deutschen Öffentlichkeit präsentiert. Aber heute ist es soweit, und gleich am ersten Erscheinungstag schreitet Raulff zur Tat und stellt den Lesern diesen an Foucault einerseits und an deutsche Philosophen wie Heidegger, Arendt, Kantorowicz und Schmitt anschließenden Denker vor. Raulff erläutert den Titel des Buches "Homo sacer": dies sei ein Begriff aus dem römischen Recht, der einen Mensch bezeichnet, "der 'heilig' ist, obwohl oder weil er im Bann steht", schreibt Raulff. Er stehe für die Grenze zwischen göttlichem und menschlichem Recht, für den politischen Raum, in dem man "töten kann, ohne einen Mord zu begehen". Raulff schlägt mit Agamben einen großen Bogen zu Foucault, wonach sich tendenziell jede Politik in Biopolitik verwandele, d.h. die Grenzen des Lebens und die Entscheidung über das Leben immer ununterscheidbarer würden. Ähnlich wie Wolfgang Sofksy, wenn auch mit anderen Begriffen, betreibe Agamben eine Untergrabung der Zivilisationsgeschichte, meint Raulff, aus der sich jeder Geschichtsoptimismus verflüchtigt habe. Eine Selbstreflexion des Agamben'schen Theoriestandorts steht für Raulff noch aus.
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