Fernando Pessoa

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares

Cover: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares
Ammann Verlag, Zürich 2003
ISBN 9783250104506
Gebunden, 576 Seiten, 49,90 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Richard Zenith. Aus dem Portugiesischen von Inés Koebel auf der Grundlage der Übersetzung von Georg Rudolf Lind. Längst gehört "Das Buch der Unruhe" zum Kanon der Weltliteratur, und man darf es als unerwartetes Geschenk empfinden, daß nun weitere 280 Seiten dieses Werks vorliegen. Um gut die Hälfte erweitert ist die Neuausgabe, deren Textabfolge auf Grundlage der neu gefundenen Texte eine gänzlich neue Anordnung erfahren hat. Ein Hauptwerk der europäischen Literatur erscheint somit erstmals vollständig, teils in überarbeiteter und teils in neuer Übersetzung.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 29.11.2003

Fernando Pessoa, der "wichtigste portugiesische Autor" des 20. Jahrhunderts, war nicht ein Autor, sondern gleich mehrere - Figuren, die er sich erträumt oder erdacht hatte, berichtet Rezensent Jörg Sundermeier. Es wäre ein Fehler, Pessoa mit dem Hilfsbuchhalter Bernardo Soares zu verwechseln. Die Übersetzerin der Neuausgabe des "Buches der Unruhe", Inés Koebel, scheint aber eben diesem Irrtum auf dem Leim gegangen zu sein, stellt Sundermeier fest. Die "Autobiografie ohne Ereignisse", der umfangreichste Teil des Buches, scheine ihr - wie auch dem portugiesische Herausgeber Richard Zenith - als die Autobiografie des "wahren" Pessoa zu gelten. Die Texte und Textfragmente des Buchmanuskripts, Zettel ohne Bauplan und genaue Anweisungen, habe Zenith thematisch geordnet. Dadurch wird die Lektüre des Buches im Vergleich zur alten Ausgabe nach Einschätzung Sundermeiers "anstrengender". Einerseits wegen der Unzahl von gedanklichen Wiederholungen, andererseits, weil aus dem kontrollierten und bissigen Melancholiker, als den man Soares bislang kannte, ein Romantiker geworden sei, der seine narzisstische Gekränktheit kaum verbergen könne. Dass Zenith den Zustand des Materials offen gelegt hat, würdigt Sundermeier als "großes Verdienst der Neuausgabe", auch wenn die Anordnung des Materials Pessoa möglicherweise nicht gefallen hätte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 30.07.2003

Nicole Henneberg singt eine Hymne zu Ehren von Fernando Pessoa, doch will sie niemanden in den Schlaf wiegen, sondern im Gegenteil auf das zutiefst Beunruhigende in seinem großen Roman hinweisen, das auf Deutsch erst jetzt erfahrbar wird. Nie mehr, schreibt sie, werde man versucht sein, "diesen Autor nur als sanft-traurigen Erzähler Lissabons anzusehen". Er erstehe stattdessen als Meister der "geträumten Soziologie", der so weit wie möglich vom Leben wegtrat (ohne wegzuschauen), um als "Nervenmaschine" jede Regung in sich festzuhalten: ein "unsentimentaler, stellenweise sogar grausamer Beobachter seiner selbst", der seine "Masken und Schreibhaltungen" schmerzhaft ausspielte und "die Einheitlichkeit des Ichs zersplittern (ließ) wie einen herabfallenden Eiszapfen". Davon zeuge, so Henneberg, dieses "radikal moderne" Textkonvolut, die Gesamtheit der Fragmente eines Schreib- und Denklebens, ausbuchstabiert in der fiktiven Handschrift von Pessoas Alter Ego Bernardo Soares, die in der alten Übersetzung im Namen eines unterstellten Leserinteresses nur begradigt und zur Hälfte zu lesen war. Die neue Übertragung von Inès Koebel, schreibt Henneberg, ist im Ton "härter" und "klarer", und vor allem ist sie ungekürzt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.05.2003

Vor zwanzig Jahren erschien Pessoas Hauptwerk - das, wie Joachim Sartorius einen vielleicht ein wenig übertreibenden Freund zitiert, "lebensprägend für eine Generation" wurde - erstmals in deutscher Sprache. Nun eine Neuausgabe, um 260 Seiten ergänzt, die nichts entscheidend Neues hinzufügen, aber Ergänzungen liefern, die der Rezensent nicht mehr missen möchte. Eine Dramaturgie hat die ganz nach innen gewendete Geschichte des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares ohnehin nicht, die Eintragungen des Protagonisten in sein "Buch der Unruhe" verbinden sich, so Sartorius, nach Art der "Kacheln eines portugiesischen Innenhofes", messen, nach und nach, den "inneren Raum" des Weltverhältnisses von Soares aus. Und dieses Verhältnis ist geprägt von einem düsteren Gefühl der Nichtzugehörigkeit, es geht um ein Leben, das tot scheint, einen Tod im Leben, um "nichtige Wirklichkeit". Diese Notate, zu sich selbst gesprochen, fügen sich nichtsdestoweniger, befindet Sartorius, zu einem "bewegenden, niederziehenden, großartigen Buch". In seiner neuen Form hat es nichts verloren und nur gewonnen, die alte "Magie", der "schimmernde Magnetismus", den der Rezensent erinnerte, ist geblieben und um Eintragungen gleicher Güte ergänzt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 24.05.2003

Ausführlich erläutert Georges Güntert in seiner Besprechung die Entstehungsgeschichte dieser Neufassung des "Buches der Unruhe", das eine lose Sammlung von Fragmenten aus Fernando Pessoas literarischem Nachlass vereinigt und die 1985 erschienene Ausgabe um weitere identifizierte Texte erweitert. Für Güntert hat sich die jahrzehntelange Arbeit der Entzifferung definitiv gelohnt, erleichtere sie dem Leser doch erheblich den Zugang zu diesem "Zufallsbuch seines Nachsinnens", wie Pessoa seine erste Fassung genannt hatte. Das Bild, das sich in dieser "Autobiografie ohne Fakten" von Pessoa (in Gestalt des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares) auftut, hat Güntert dabei tief beeindruckt. Fasziniert schildert er Pessoas Weltbild aus Wolken, Nebelschwaden und Meeresgeruch - "ein sich in nichts auflösendes Traumgebilde". Dabei können sich durchaus Abgründe auftun, "wenn dieser Träumer die Welt bewusst betrachtet", versichert der Rezensent: Denn dann werden wir alle zu Buchhaltern, schließen die Bilanz, "und der unsichtbare Saldo spricht immer gegen uns".